Ein Türöffner für Bayerns Wirtschaft
Ilse Aigner im Iran: "Ein Land mit 1001 Möglichkeiten"
6. November 2015, 21:32 Uhr aktualisiert am 6. November 2015, 21:32 Uhr
Nur das Kopftuch verrutscht gelegentlich und muss von der Ministerin hin und wieder ordnungsgemäß zurechtgezupft werden. Kein Wunder. Ilse Aigner ist überzeugte Katholikin aus Bayern, das erste Mal im Iran und hat vorher nur einmal ein Kopftuch getragen: beim Papstbesuch.
Aber das ist schon das Einzige, was die stellvertretende Regierungschefin bei ihrer viertägigen Mission in dem Gottesstaat für die Zeit eines Wimpernschlags ablenkt. Ansonsten ist die Wirtschaftsministerin voll konzentriert und hellwach bei ihren intensiven Gesprächen mit hochrangigen Vertretern der iranischen Führung. Und die Bilanz ihrer Iran-Reise? "Es waren sehr, sehr positive Gespräche", sagt Aigner.
Das liegt auch daran, dass Bayern und der Iran traditionell gute Beziehungen pflegen. Das symbolisiert die Ministerin gleich am ersten Tag ihrer Reise, als sie zum obligatorischen Kopftuch Trachtenlook trägt: eine grüne Leinenweste, darüber eine graue Strickjacke und schwarze Tanzschuhe an den Füßen. Das sind aber nur äußerliche Zeichen der kulturellen Beziehungen zwischen Bayern und dem Iran. Denn die Ministerin will der bayerischen Wirtschaft vor Ort dabei helfen, geschäftliche Kontakte wiederzubeleben und neue Geschäfte anzubahnen. "Das ist auch der Hauptzweck der Reise", erklärt Aigner.
Folgen des westlichen Handelsembargos spürbar
Und so geht es durch vollgestopfte Teheraner Straßen von Termin zu Termin, von einem Gespräch zum anderen - zum Ölminister, zum Industrieminister oder zum Vize-Gesundheitsminister. Ein straffes Programm, da muss schon mal improvisiert werden. So bleibt der Ministerin kaum Zeit zum Essen. Im Bus fragt sie, ob jemand noch Keksreste in der Tasche hat. Sie sind zwar nicht gerade gesund, aber zumindest ein kleiner Imbiss, um den Hunger zu lindern. Zudem hat Aigner keinen Kontakt nach Hause. Dabei steckt zu Hause nicht nur die Bundesregierung in einer tiefen Krise, sondern auch ihre Partei, die CSU, und die Schwester CDU streiten sich heftig - wegen der Flüchtlingsproblematik. Und wenn der Ministerpräsident und Parteichef Horst Seehofer noch so oft bei seiner Stellvertreterin anruft: Es herrscht Funkstille. Nicht, weil Aigner mit Seehofer nicht reden will, sondern weil ihr Mobiltelefon hier in Teheran keinen Empfang hat.
Dafür ist der Empfang für Aigner im Iran recht freundlich. In Teheran reicht ihr als Frau keiner der Minister oder Spitzenfunktionäre der Wirtschaft die Hand. Ihre Firmenkontakte wollen sie aber dennoch haben. Denn die Folgen des westlichen Handelsembargos gegen den Iran sind überall spürbar, die Probleme des Landes wachsen mehr und mehr. Das schnelle Bevölkerungswachstum erhöht den Druck. Nachdem der Streit um das iranische Atomprogramm beigelegt ist und die Sanktionen gegen das Land wohl im Frühjahr wegfallen werden, will die Regierung in Teheran den wirtschaftlichen Rückstand schnell wieder aufholen und das Land modernisieren. Und der Iran weiß, dass dafür ausländische Partner notwendig sind.
Wettlauf hat begonnen
Das wissen umgekehrt natürlich auch die westlichen Wirtschaftsnationen, die in dem ölreichen Golfstaat enormes Potenzial für ihre Geschäfte sehen. Immerhin öffnet sich ein attraktiver Markt von der Größe der Türkei. Daher sondieren derzeit Wirtschaftsdelegationen aus allen Ländern den Iran. Keiner will sich die Gelegenheit entgehen lassen, starke Wirtschaftsbeziehungen mit dem Land aufzubauen, wenn die Schranken im Frühjahr fallen sollen. Aus Deutschland sind die Niedersachsen und Baden-Württemberger schon da gewesen. Eine "enorme Zahl von Delegationen" sei schneller gewesen, bemerkt der deutsche Botschafter Michael von Ungern-Sternberg. Macht aber nichts. Denn: "Diese Delegation ist praktischer angelegt", sagt Irans Vize-Wirtschaftsminister Seyed Reza Norouz-Zadeh, der zugleich Chef des Industrieverbands ist.
"Wir sind gekommen, um zu bleiben", verspricht Aigner. Den deutschen Firmen geht es nicht so sehr um kurzfristige Geschäfte, sondern um langfristige Beziehungen zu den iranischen Partnern. Und die Aussichten sind vielversprechend. Aigners iranische Gesprächspartner, wie der Öl-, der Energie- und der Industrieminister, machen deutlich, dass sie auf breiter Ebene Chancen für mehr bayerische Geschäfte mit iranischen Partnern sehen. Sie machen aber auch unmissverständlich klar: Der Iran will nicht nur als "Exportparadies" für andere Länder wahrgenommen werden, sondern als gleichberechtigter Partner. Von den Bayern erhoffen sie sich vor allem auch Investitionen in ihr Land. "Wir wollen nicht nur importieren", formulieren die Minister in Teheran ihre Erwartungen an den bayerischen Mittelstand. "Das iranische Volk ist daran interessiert, Technologietransfer zu bekommen", erklärt Vize-Wirtschaftsminister Norouz-Zadeh. Das ist aber nicht ganz ohne Risiko für die bayerischen Unternehmer. Sie könnten die Kontrolle über ihr Know-how verlieren. Eine Angst, die es auch in China bei den dort erzwungenen Gemeinschaftsunternehmen mit inländischen Partnern gibt.
Direktes Miteinander, "wenig Tamtam"
Die Gespräche verlaufen in freundlicher Atmosphäre, werden aber nichtsdestoweniger von beiden Seiten zielorientiert geführt. "Es ist ein relativ direktes Miteinander hier, wenig Tamtam", sagt Aigner, die zwar für die bayerische Wirtschaft die Türen öffnen will, sich dabei aber selbst nicht so wichtig nimmt. Bei den Gesprächen schiebt die Ministerin die Firmenvertreter nach vorne, lässt diese reden. Viel zu tun gäbe es etwa für die Dienstleistungsbranche. Das wird bei der Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt an allen Ecken deutlich. Immenses Wachstumspotenzial bietet auch der Energiemarkt. Die Stromkapazität soll auf 8.000 Megawatt ausgeweitet werden. Schon jetzt tauchen nachts Leuchtreklamen und großzügige Straßenbeleuchtung Teheran in ein buntes Licht. Ebenso wird in der Ölindustrie ein milliardenschwerer Modernisierungsbedarf erwartet. Der Iran will auf den Weltmarkt zurückkehren und die Ölproduktion ankurbeln.
Auch deshalb stößt eine Kontaktbörse in einem Teheraner Hotel auf reges Interesse. Rund 70 bayerische sitzen 300 iranischen Managern gegenüber. "Darauf lässt sich aufbauen", freut sich Wolfram Hatz. Sein mittelständisches Unternehmen aus dem Landkreis Passau stellt unter anderem Motoren für Traktoren und Beregnungsanlagen her. Hatz war mit diesen Produkten schon vor den Sanktionen im Iran erfolgreich engagiert. Jetzt sollen die Geschäftsbeziehungen neu belebt und ausgebaut werden.
Alles in allem kommen die gut 100 Unternehmer, die Aigner auf der Iran-Reise begleitet haben, mit vielen konkreten Plänen im Gepäck aus dem Iran zurück. So sollen bayerische Firmen ein neues Krankenhaus im Iran bauen und auch das Management übernehmen. Siemens soll sich um die Gesundheitstechnik kümmern, Knauf bekommt die Lizenz für ein neues Gipswerk. Auch auf wissenschaftlicher Ebene soll die Zusammenarbeit vertieft werden. So hat Professor Wolfgang A. Herrmann, Präsident der Technischen Universität München (TUM), mit der Universität von Teheran vereinbart, die seit 2004 laufende Kooperation zu verlängern. Das ist alles mehr, als zu erwarten war. "Der Iran ist ein Land mit der Option auf 1001 Möglichkeiten", sagt Aigner. Sie hat Bayerns Wirtschaft den Zugang zum iranischen Markt geebnet und damit ihre Mission erfüllt.