Kultur
Wie Frauen den Krieg bedrohen
2. April 2023, 17:06 Uhr
Aus dem Nebel tauchen sie auf, schreiten aus einem Loch auf die Bühne: sechs mystische Gestalten, denen Kostümbildnerin Aleksandra Pavlovic knallbunte weibliche Geschlechtsorgane auf Shirts und Hosen gemalt hat. Dazu tragen sie ebenso bunte Perücken und haben sich gerüschte Hosenrock-Elemente umgeschnallt. Jelena Kuljic, Moses Leo, Stefan Merki, Joyce Sanhá, Leoni Schulz und Maren Solty steigen in diesen Ring, um für Frauenrechte zu kämpfen. "Anti War Women - Wie Frauen den Krieg bedrohen" von Regisseurin Jessica Glause ist so etwas wie die Fortsetzung ihres Projektes "Bayerische Suffragetten", in dem Glause sich 2021 mit der Münchner Frauenbewegung beschäftigte. Diesmal wird es internationaler, im Zentrum des Abends steht der Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag.
Die Damen (und Herren) auf der Bühne sind vom ersten Moment an in revolutionärer Stimmung, verbinden Slogans von heute mit Fakten von damals. "My Body, My Choice", deklamiert Stefan Merki: "Münchens erste Gynäkologin führt kostenlose Abtreibungen durch." "Lasst euch nicht zum Lämmchen erziehen!", ruft Leoni Schulz. "Heiraten! Kinder kriegen! Haushalt führen! Weg damit!" Sie schwenken ihre Fahnen für die Frauenrechte, die im Grunde genommen ja nichts anderes sind als Menschenrechte, die eben für alle gelten, nicht nur für Männer.
Was folgt, ist so etwas wie ein sinnliches und empowerndes Reenactment eben jenes Kongresses mit thematischen und musikalischen Abschweifungen, die das Ganze trotz der komplexen Themen in einen kurzweiligen Abend verwandeln. Sie werden eine gigantische rote Klitoris aufblasen, denn die Freiheit, die sie fordern, ist immer eine lustvolle. Und jede sexuelle Revolution ist auch eine politische. Unter der Gummi-Klitoris werden sie Nino de Angelos "Jenseits von Eden" singen: "Wenn jede Hoffnung nur ein Horizont ist / Den man niemals erreicht / Dann haben wir umsonst gelebt."
Während die Männer in den Schützengräben kämpften, planten die Frauen einen großen internationalen Kongress, um mit Worten gegen den Krieg zu protestieren. Schon im Vorfeld zeigte sich, dass das kein leichtes Unterfangen ist. So antwortete die "Allianz belgischer Frauen für Frieden durch Bildung", dass es über ihre Kräfte hinaus gehe, im Krieg "mit deutschen Frauen einen Raum zu teilen". Nur das Geschlecht verbindet eben auch nicht, vor allem nicht in Zeiten des Krieges.
Die Frauen waren keineswegs eine in sich geschlossene Gruppe, sondern aufgespalten in diverse Untergruppen, verschiedene Standpunkte und Meinungen. Umso erstaunlicher, dass es den Organisatorinnen um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann tatsächlich gelang, 1500 Frauen aus 16 Ländern in Den Haag zu versammeln. Sie forderten unter anderem einen Internationalen Gerichtshof (den es heute eben dort gibt!) sowie die Verurteilung von Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung. Sie formulierten konkrete Forderungen, aber auch Utopien zur dauerhaften Herstellung und Sicherung des Friedens. Dennoch fristet dieses Ereignis mit historischer Bedeutung ein Schattendasein in der Geschichtsschreibung. Dass dieser Abend - und das Festival "Female Peace Palace", das er eröffnet - daran erinnert, ist wichtig.
Jessica Glause hat aus diversen Quellen, Berichten über den Kongress, Texten der Beteiligten und Biographien einen Text gebastelt, der die revolutionäre Stimmung von damals einfängt und sie ins Heute transportiert. Der zeigt, wie groß diese Frauen dachten und wie vielfältig ihre Themen waren. So wird Mary Church Terrell, die einzige nicht-weiße Frau, deren Eltern noch Sklaven waren, eindringlich an die Rechte der Schwarzen erinnern: "Konzentriert euch nicht allein auf eure Unterdrückung als Frau", ruft sie ihren Mitstreiterinnen zu. Maren Solty wird unter von der Decke herabsinkenden Spanischen Reitern zur eindringlichen Musik von Eva Jantschitsch die Sinnlosigkeit und Absurdität des Krieges performen: "menschen die vom land sind töten menschen aus der stadt/ menschen die nicht schön sind machen schöne menschen platt".
Indem Glause hie und da heutige Forderungen einstreut, wird bitter deutlich, dass sich in über 100 Jahren zwar einiges, aber eindeutig zu wenig getan hat. Auch heute werden Frauen und Mädchen in Kriegen vergewaltigt, auch heute wird über das Recht auf Abtreibung gestritten.
Am Ende, wenn sich die Kämpferinnen zurückziehen in den Rauch, aus dem sie erstiegen sind, hallen Sätze im Raum nach, die in ihrer Schlichtheit auf den Punkt bringen, woran es der Menschheit bis heute mangelt: "In einer Ratten essenden Welt ist es bestimmt noch wichtiger, freundlich miteinander umzugehen", sagt Stefan Merki. Und Moses Leo fügt hinzu: "Kindness und radikale Zärtlichkeit." Wie schön wäre so eine Welt, auf Utopien errichtet. Eine Welt, in der Mitgefühl vor Profit kommt, das Wir vor dem Ich. Eine Welt, in der Vertrauen nicht missbraucht wird.
Kammerspiele, wieder am Freitag 14. April, sowie 20. und 22. April , 9.,10. und 20. Mai, jeweils 20 Uhr