Eine Chance für die Digitalisierung

Uffizien-Chef Eike Schmidt über die Corona-Krise


Eike Schmidt neben dem Porträt des Papstes Leo X. (1517-18) und seiner Cousins, den Kardinälen Giulio de' Medici (links) und Luigi de' Rossi in der Raffael-Ausstellung im römischen Museum Scuderie del Quirinale. Sie wurde Anfang März nach der Eröffnung gleich wieder geschlossen.

Eike Schmidt neben dem Porträt des Papstes Leo X. (1517-18) und seiner Cousins, den Kardinälen Giulio de' Medici (links) und Luigi de' Rossi in der Raffael-Ausstellung im römischen Museum Scuderie del Quirinale. Sie wurde Anfang März nach der Eröffnung gleich wieder geschlossen.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Geschlossene Museen sind in Italien bereits Alltag. Der Direktor der Uffizien betrachtet die Krise als Chance, die Digitalisierung voranzutreiben.

In Bayern sind die Museen seit dem Wochenende geschlossen. Die italienische Regierung ordnete aufgrund der Corona-Krise bereits am 7. März ein Verbot aller kulturellen, religiösen und sportlichen Veranstaltungen an. Betroffen ist damit auch das berühmteste Museum des Landes, die Uffizien in Florenz. Wir haben uns mit Uffizien-Direktor Eike Schmidt übers Museummachen unter besonderen Umständen unterhalten. Telefonisch war er problemlos erreichbar.

AZ: Herr Schmidt, seit Sonntag, 8. März, sind die Museen in Italien geschlossen. Was bedeutet Corona für die Uffizien?
Eike Schmidt: Für uns bedeutet das zunächst, dass uns diese Pandemie während einer neuen Erfolgskurve getroffen hat. Bis Ende Februar sind wir im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gewachsen. Es wurde dann aber immer weniger, nicht zuletzt aufgrund der Schulschließungen, durch die dann keine Schulklassen mehr ins Museum kamen. Es gab zuvor ja schon einige Schließungen in der Lombardei, das war zunächst für die Toskana noch weiter weg. Aber dann ging es sehr schnell bis zum Dekret des Ministerpräsidenten vom 8. März.

In Deutschland erreichten uns teils apokalyptische Bilder aus Italien, wie beurteilen Sie das dortige Krisenmanagement?
Meiner Meinung nach funktioniert es sehr gut. Hut ab vor den Italienern, dass sie es geschafft haben, durch gezielte, klare Kommunikation den Betrieb innerhalb von zehn Tagen herunterzufahren. Im Vergleich zu China zeigt das, dass so etwas auch in einer Demokratie möglich ist.

Gab es angesichts der Maßnahmen Widerstand aus der Bevölkerung?
Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es zu Revolten in Gefängnissen gekommen ist, als dort die Besuche von Angehörigen untersagt worden sind. Ansonsten ist das hier alles in höchstem Maße diszipliniert abgelaufen. In den Uffizien haben wir unseren Betrieb innerhalb von wenigen Tagen runtergefahren. Die Personalabteilung hat zunächst allerdings Überstunden geschoben, weil es darum ging, die Mitarbeiter so schnell wie möglich ins Home Office zu schicken. Das ist uns jetzt auch zu 100 Prozent gelungen.

Was passiert in einem Haus wie den Uffizien, wenn es von einem Tag auf den anderen schließen muss?
Wir haben in den Montagsmodus geschaltet. Montag haben wir ja immer geschlossen, da werden dann Dinge erledigt, zu denen man im Alltagsgeschäft nicht kommt. Der Frühjahrsputz ist jetzt zum Beispiel schon erledigt. Ansonsten können wir unsere Reparaturarbeiten nun die ganze Woche laufen lassen. Gleichzeitig mussten wir aber auch die Wachpläne völlig neu organisieren, um einen maximalen Schutz für das Haus zu gewährleisten. Eine Herausforderung bedeutet diese Situation auch für unsere Digitalabteilung, die nun viel mehr Arbeit hat als sonst. Nachdem ja unser physisches Angebot jetzt unzugänglich ist, haben wir das digitale Angebot auf all unseren Kanälen stark hochgefahren. Dazu zählen neben der Website Twitter, Instagram und neuerdings auch Facebook, wo wir innerhalb der ersten drei Tage gut 30 000 neue Follower gewonnen haben.

Welche digitalen Angebote bieten Sie an?
Zum Beispiel ein Format mit dem Titel "Uffizi Decameron". Bei Giovanni Boccaccio ging es im 14. Jahrhundert ja darum, dass sich zehn junge Florentiner vor der Pest in ein Landhaus flüchten und sich die Zeit dort mit Geschichtenerzählen vertreiben. Das haben wir dahingehend aktualisiert, dass wir unsere Mitarbeiter erzählen lassen. In "La mia sala" berichten etwa unsere Saalaufsichten über ihren Lieblingssaal mit ihren Lieblingskunstwerken. Zu unseren Saalaufsichten muss man übrigens wissen: Da sind viele Kunsthistoriker, Archäologen und Philologen darunter, die in den frühen 2000er Jahren, als großer Stellenmangel herrschte, als überqualifizierte Nachwuchskräfte eingestellt wurden.

Werden diese Angebote auch genutzt?
Jedenfalls: "La mia sala" ist ein Riesenerfolg, da haben wir pro Folge zehntausende, in einigen Fällen auch hunderttausende Zugriffe. Wir haben letzte Woche bereits viele Folgen gedreht, die jetzt nach und nach online gehen. Auf der Website wiederum bieten wir sogenannte Hypervisionen an, also Online-Ausstellungen. Das werden wir weiter intensivieren. Unser Zugpferd ist allerdings unser Instagram-Account mit aktuell 430 000 Followern. Da zeigen wir jeden Tag ein Kunstwerk aus den Uffizien, dem Palazzo Pitti oder aus den Boboli-Gärten. Seit der Schließung wächst das Interesse rasant. Hatten wir früher 2000 neue Follower pro Woche, sind es jetzt 6000. Allerdings haben wir auch ein weltweites Publikum, da alle Texte sowohl auf Italienisch als auch auf Englisch verfügbar sind.

Scheint fast, als würden Sie die Coronakrise als große Chance begreifen.
Natürlich. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die aktuelle Situation ist sehr bedrückend. Aber wir müssen das Ganze auch als Chance sehen und diese Chance nutzen. Es wäre suboptimal, wenn wir die Arbeit, die wir bislang auch gemacht haben, jetzt einfach nur zuhause machen. Dann könnte man gleich die Frage stellen, ob es in Zukunft überhaupt noch eigene Arbeitsplätze im Museum braucht.

Was wäre Ihre Antwort darauf?
Stattdessen muss man jetzt aus dieser speziellen Situation etwas rausholen, worauf man ansonsten nicht gekommen wäre. Und wenn man das tut, dann wird das auch honoriert. Das erfahren wir tagtäglich durch die Online-Kommentare der User. Die Bevölkerung will sich nicht nur den ganzen Tag vor den Fernseher setzen und im Sekundentakt über die aktuellste Nachrichtenlage informiert werden. Sie hat einen wirklichen Durst nach Kunst und Kultur.

Wie sieht Ihr persönlicher Alltag momentan aus? Auch nur Home Office?
Ich bin einer der wenigen, die noch ins Museum dürfen. Da kann ich diese Pause auch mal nutzen, um durch die Säle zu gehen und mir zu überlegen, ob das alles in die richtige Richtung geht. Zum Glück gibt es aber auch noch Bücher. Man hat jetzt die Gelegenheit, Sachen zu lesen, die man sonst nur im Urlaub schaffen würde.

Was liegt da bei Ihnen gerade ganz oben auf dem Stapel?
Mal sehen, ich habe ihn gerade neben mir... Die Erzählungen von Tschechow zum Beispiel, bin ich bis dato nie dazu gekommen, die will ich jetzt mal lesen. Und dann ist hier noch das Buch von Thomas Steinfeld über Italien, des ehemaligen SZ-Korrespondenten, der jetzt in Schweden lebt.

Wenn Sie Italien gerade mit einem einzigen Bild beschreiben müssten, welches wäre das?
Der Geist Italiens äußert sich in den spontanen Konzerten, die die Leute auf ihren Balkonen abhalten. Durch meine Straße ist ein Mann gegangen, der in Profi-Manier Arien geschmettert hat, da waren sofort die Leute an den Fenstern, haben sich gefreut und applaudiert und gefilmt und geteilt. Das ist ja das Tolle an unserer digitalisierten Welt, dass wir unsere Kontakte in einer Form halten können, die zuvor nicht möglich war. Das ist auch eine Erfahrung, die ich für die Uffizien aus dieser Krise mitnehme: All das, was jetzt digital geschieht, wird ein entscheidender Faktor für die Zukunft sein. Auch und gerade durch den aktuellen Austausch mit der lokalen und regionalen Bevölkerung. Wir haben Social Media und unsere Webpräsenz von Anfang an nicht als Werbemittel gesehen. Sondern es ging uns immer darum, Inhalte rüberzubringen. Und das ist jetzt auch etwas, das wir mitnehmen und weiterführen werden.