Kultur
Sturm im Guinnessglas
4. Januar 2023, 15:38 Uhr aktualisiert am 4. Januar 2023, 15:38 Uhr
Das ist britischer Humor: Der irischstämmige Londoner Martin McDonagh hatte Mitte der 90er nach eigenen Angaben sieben Theaterstücke verfasst. Alle fanden auch eine Bühne - bis auf eines: "The Banshees of Inisherin". "Mangels Qualität", wie Martin McDonagh selbst rückblickend in einem Interview mit dem "New Yorker" erklärte. Jetzt hat er ironischerweise genau diese Geschichte selbst verfilmt. Und herausgekommen ist ein erfrischender Film gegen den diversen oder feministischen Zeitgeist, ohne sich mit ihm anzulegen. Denn es geht in dieser schwarzen Tragikomödie um eine reine Männerfreundschaftsgeschichte. Frauen kommen nur am Rande vor: als Schwester, die irgendwann die Koffer packt, weil sie nicht als alte Jungfer zwischen bornierten Männern enden will. Oder als unheimlich einsame Alte, die man als Hexe fürchtet und die als "Banshee", also einer Art Unheilsfee, schicksalhaft eingreift.
Alle sind arm, aber glücklich? Wenigstens der Irische Bürgerkrieg 1922/23 um den anglo-irischen Vertrag, der den Irischen Freistaat einführte, schwappt nicht auf die fiktive Insel Inisherin (gedreht wurde auf Árainn und Acaill), auch wenn die Stimmung gereizter wird und der brutale Dorfpolizist auch mal zuschlägt.
Regisseur Martin McDonagh hat (wie schon in "Brügge sehen… und sterben") wieder mit Colin Farrell gedreht: Er ist Pádraic Súilleabháin, ein etwas einfältiger Kleinbauer, der sich seiner äußerst liebenswürdigen Beschränktheit aber nicht bewusst ist.
Und auch Brendan Gleeson ist wieder dabei als Colm Doherty, der nur mit einem Hund und Grammophon lebt, Puppen und Masken bastelt, aber vor allem als beliebter Dorfschenkenmusiker am kargen gesellschaftlichen Leben im Pub teilnimmt.
Dort treffen sich die beiden Freunde: jeden Tag um Punkt zwei Uhr nachmittags auf ein Bier oder zwei oder drei… Bis der "Künstler" Colm nach Jahren der Tradition und Gleichförmigkeit aus heiterem Himmel plötzlich meint, seine Lebenszeit bisher mit wortkargem "Rumquatschen" und Klatsch verplempert zu haben und die Freundschaft aus dem Nichts brutal aufkündigt: "Ich mag Dich einfach nicht mehr!" Was nicht nur der gutmütige Pádraic nicht verstehen kann. Der will einfach so weiterleben wie bisher. Aber der bornierte Colm will jetzt etwas Bleibendes schaffen, komponieren - allein und in völliger Ruhe, die ihm Pádraic aber als anhänglicher, jetzt verstörter Freund nicht zugestehen will.
Das eskaliert, auch weil in so einem Dorf alles mit allem und jeder mit jedem verflochten ist - bis der treue Esel von Pádraic tot und die Künstlerstube von Colm abgefackelt ist, der sich als masochistisches Fanal gegen Pádraic nacheinander auch noch alle Finger abgehackt hat - und dennoch im Pub immer weiterfiedelt.
"The Banshees of Inisherin" ist das Porträt einer rückständigen, männerdominierten Insel-Gesellschaft, die sich durch Tradition, Religion und Gewohnheiten so eingespielt hat, dass sie einigermaßen stabil funktioniert. Bis eine Abweichung das labile Gleichgewicht durcheinanderbringt und in einer Art negativem Katalysator-Effekt Gewalt ausbricht. Das ist skurril, makaber, fesselnd und durch satirische Ironie auch witzig.
K: Rio, City, Leopold (alle auch OmU), Isabella (OmU), Monopol (mit englischen Untertiteln)
sowie Cinema, Museum (OV)
R: Martin McDonagh
(GB/USA/IRL, 109 Min.)