Kultur

Das Gegengewicht

"Holy Spider" ist ein intensiver Krimi und ein brisantes Porträt der iranischen Gesellschaft


Auszeichnung als Beste Schauspielerin bei den Filmfestspielen in Cannes: Sahra Amir Ebrahimi als furchtlose Journalistin.

Auszeichnung als Beste Schauspielerin bei den Filmfestspielen in Cannes: Sahra Amir Ebrahimi als furchtlose Journalistin.

Von Adrian Prechtel

Als "Holy Spider" im vergangenen Mai in Cannes gefeiert wurde, konnte man noch nicht ahnen, dass im Iran eine große Protestbewegung entstehen würde. Aber so ein offener, offensiver Film hätte ohnehin nie aus dem Iran selbst stammen können, und der iranische Regisseur Ali Abbasi lebt seit Jahren in Dänemark, weshalb sein schon vielfach ausgezeichneter Krimi auch als dänischer Beitrag ins Oscarrennen geht. Und natürlich wurde nicht in Maschhad gedreht, eine der sieben heiligen Städte des Islam mit dem Schrein des achten schiitischen Imams Reza, sondern in Jordanien.


"Holy Spider" ist ein Thriller um einen Frauenmörder, der tagsüber ein bürgerliches Leben als Maurer führt, aber nachts Prostituierte vom Straßenstrich mitnimmt - und erdrosselt. Nach der sechzehnten Toten misstraut eine Journalistin (Sahra Amir Ebrahimi) endgültig der Polizei und beginnt investigativ zu ermitteln, wobei sie sich riskanterweise schließlich selbst zum Köder macht. Atmosphärisch spielt "Holy Spider" fast immer nachts, auf verslumten Straßen, in engen Wohnungen und in schäbigen Verwaltungsgebäuden.

Was klassisch klingt und auch schnörkellos intensiv erzählt ist, hat einige brisante Aspekte: Der Frauenmörder ist hier kein perverser Psychopath, den man einfach als irre abtun könnte, sondern er tötet aus religiösen Reinigungsfantasien, womit er sogar zum Volkshelden aufsteigt, so dass im Prozess der religiöse Strafrichter unter Druck gerät. Auch zeigt "Holy Spider" eine korrupte, feige, sexistische Polizei. Aber es gibt im Film auch das Gegengewicht: eine mutige Frau, sogar noch eine einigermaßen kritische Presse und selbst das Justizsystem scheint - wenn es nicht um Hochpolitisches geht - noch irgendwie zu funktionieren.

Ali Abbasi kann nicht viel mit der Kinotradition seines Heimatlandes anfangen. Auch wenn er zu vielen Regisseuren von dort aufsehe, fühle er sich "nicht zu Hause im iranischen Kino", sagte er bei der Premiere in Cannes. "Und das liegt daran, dass oft alles so metaphorisch ist. Es gibt immer eine Blume im Wind, die ein Symbol für irgendeine Sache sein soll." Abbasis Definition vom Filmemachen: "Ich denke, ein Film ist ein Schlag ins Gesicht, es ist kein verdammter Blumenstrauß." So einen Schlag hat er jetzt zusammen mit seiner Hauptdarstellerin Sahra Amir Ebrahimi kunstvoll, aber hart gegen die sogenannte Islamische Revolution ausgeteilt. Auch Sahra Amir Ebrahimi ein ehemaliger Star im Iran - lebt nach einer Rufmordkampagne gegen sie ebenfalls schon seit 2008 nicht mehr im Iran.

Kino: Monopol, ABC (auch OmU), City, Leopold, Theatiner (OmU)
R: Ali Abbasi (DK, 117 Min.)