Die Komponistin Gloria Coates

In luftiger Höhe


Die Komponistin Gloria Coates in ihrer Wohnung.

Die Komponistin Gloria Coates in ihrer Wohnung.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Die Komponistin Gloria Coates über ihre neue Violinsonate, in der auch ein Stück Corona steckt

Sie ist eine Grande Dame der Neuen Musik. Mit ihren 81 Jahren komponiert Gloria Coates unermüdlich. Seit 1969 lebt die Amerikanerin in München. In ihrer Wahlheimat erlebt sie jetzt auch die Corona-Krise. Sie spiegelt sich in ihrem neuesten Werk wider: der Sonata Nr. 2 für Solovioline. Für die Uraufführung bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik, wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr ein reines Radiofestival, konnte Carolin Widmann gewonnen werden. Ein überaus persönliches Werk ist das Ergebnis.

AZ: Frau Coates, wie viel Corona-Krise steckt in der neuen Violinsonate?
GLORIA COATES: Schon vor Beginn der Pandemie habe ich viel über das Stück nachgedacht. Es war ursprünglich ein Auftrag des Louth-Festivals in Irland, wo Carolin Widmann spielen sollte. Witten kam etwas später dazu, und so wurde es ein Co-Auftrag der beiden Festivals. Als gleich zu Beginn der Corona-Krise die Reihe in Irland abgesagt wurde, hatte ich bereits die Hälfte des Werks vollendet. Die ganze Welt hat sich so tiefgreifend verändert, dass ich dachte: Ich kann nicht so viel weiter vorwärtsgehen. Also bin ich zurückgegangen.

Wie meinen Sie das?
Ich bin nicht gerade jung, sogar ziemlich alt. Für dieses Stück habe ich an meine frühen Werke angeknüpft. Ich meine zum Beispiel den Stil im Streichquartett Nr. 2 von 1972. Diese Stilrichtung hatte ich in einem sehr frühen Stadium entwickelt. Auch das Glissando benutze ich schon eine Ewigkeit: seit den 1960er Jahren. Mit diesen Mitteln habe ich das neue Werk ausgestaltet, und irgendwie passt das richtig gut.

Weil die Glissando-Strukturen - mikrotonale Brechungen oder Haltetöne, die im Nichts entschwinden - eine angstvolle Stimmung ausdrücken?
Da ist sehr viel dran. Sollte ich mich mit diesem Virus anstecken, wird das für mich sehr schlimm. Ich würde wohl sterben, zumal ich schwere Herzprobleme habe und noch dazu an Asthma leide. Was in dem neuen Werk auf jeden Fall mit Corona zusammenhängt, ist das Schlagen auf den Korpus des Instruments gleich zu Beginn und erneut später. Dieser Klang ist von dieser Krise beeinflusst. Die Geige wird zu einem inneren Schlagwerk: wie der Herzschlag, ein Puls. Meine Musik kommt immer von innen.

Mit Ihren 81 Jahren und den Vorerkrankungen zählen Sie zur Risikogruppe. Wie er- und überleben Sie diese Zeit?
Ich bleibe, wie viele andere, strikt zu Hause und sehe niemanden. Das ist schwer. Hätte ich früher gewusst, wie sich alles entwickelt, wäre ich zu meiner Tochter und meinem Enkelkind nach England gereist. So bin ich jetzt ganz allein hier. In meiner Nachbarschaft hatte ich zwar sehr gute Bekannte, aber viele sind schon tot. Mit dem Essen funktioniert es jedoch sehr gut. Eine Frau hilft mir, aber: Ich bleibe zu Hause, was natürlich nicht so gut ist. Gerade als Asthmatikerin muss ich eigentlich viel frische Luft atmen.

Hat auch die strikte Isolation einige Auswirkungen?
Ja, ganz klar. Ich kann sagen: Derzeit träume ich sehr viel. Normalerweise kann ich mich an Träume aus der Nacht nicht erinnern. Jetzt bin ich aber ab und zu aufgewacht, aus Alpträumen. Wie ich gelesen habe, soll das ganz normal sein in einer solchen Situation: in diesem Zustand, wenn man ganz alleine ist.

Verraten Sie mir einen Traum?
In einem Traum steige ich auf eine ganz hohe Plattform. Dort, in luftiger Höhe, muss ich auf eine andere Plattform hinüberspringen. Ich weiß ganz genau, dass ich das nicht schaffen kann. Es ist im Grunde dieses Gefühl: Man geht weiter, aber man weiß nicht, was kommt. Die Zukunft liegt im Dunkeln.

Wie einsam und hilflos fühlt sich die totale Isolation an?
Ja, manchmal fühle ich mich hilflos, weil ich nicht mehr machen kann. Aber einsam fühle ich mich nicht, zumal ich als Komponistin die Einsamkeit und das Alleinsein ja kenne. Im Grunde ist das unser beruflicher Alltag. Noch dazu habe ich so viel Neugierde für die Welt und kann zumindest mithilfe des Computers mit ihr kommunizieren. In der Corona-Zeit schätze ich diese Technik sehr. Ich habe kein Handy, und zwischenzeitlich war mein Telefon kaputt. Das war natürlich schwierig. Auch, dass ich keinen Arzt aufsuchen konnte, ist nicht gut. Gegen Kurzatmigkeit habe ich aber Medikamente hier.

Finden Sie es richtig, dass ältere Menschen derart strikt isoliert werden? Gerade auch in den Senioren- und Pflegeheimen?
Wenn es eine Gefahr gibt, muss das so sein, finde ich. Aber es ist natürlich viel besser, diese Situation bei sich zu Hause zu erleben als in einem Heim. Ich stelle mir das sehr trostlos vor. Diese Maßnahmen sind hart, aber: Was wäre die Alternative?