Kultur
Geschichte in Schleifen
15. Februar 2023, 16:52 Uhr aktualisiert am 16. Februar 2023, 10:48 Uhr
Leopold von Leonrod war als bayerischer Justizminister so bedeutend, dass schon 1906 - nur ein Jahr nach seinem Tod - eine Straße nach ihm benannt wurde. Damals reichte sie von der Münchner Freiheit bis zur Schleißheimer Straße. Erst 1938 wurde der 1,13 Kilometer lange Abschnitt östlich des Leonrodplatzes in Erinnerung an das Königlich-Bayerische 1. Schwere-Reiter-Regiment "Prinz Karl von Bayern" zur Schwere-Reiter-Straße.
Das ist vermutlich vielen Bewohnern West-Schwabings ebenso wenig bewusst wie die vielen anderen Fakten, die der Bildende Künstler und Theatermacher Thomas Goerge für das Projekt "1130 Meter Schwere Reiter" zusammentrug. Für Dasvinzenz, das sein eigenes Haus in der Elvirastraße - bis 2017 Theater Blaue Maus - wegen chronischer Mauerfeuchte nicht bespielen kann, ist das heimatkundliche Event sowohl Kraftakt als auch ein Befreiungsschlag.
Zweieinhalb Stunden Theater satt mit einem Hauch von Barockoper, einem Schuss von Kabarett, einem Spritzerl Volkstheater und sogar einem Duft von Zirkus. Das Ganze wird sozusagen am Originalschauplatz aufgeführt: im Mucca 31, wo im Ersten Weltkrieg Haubitzen und Granaten montiert wurden, von einem 20-köpfigen Ensemble aufgeführt.
Die Nähe von Kunst und Krieg ist ein früher Schwerpunkt des Abends, denn Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Ernst Toller oder der Maler Franz Marc hatten sich am Oberwiesenfeld freiwillig zum Dienst gemeldet.
Goerges Inszenierung ist, ganz nebenbei, auch eine Hommage an einen Zeitgenossen Tollers, dessen 125. Geburtstag wir in diesem Monat feiern: Bertolt Brecht und seine Idee vom Epischen Theater sind dominante Paten.
Zu diesem Genre gehört auch eine manchmal sehr knöcherne Didaktik, die die Leichtigkeit des Schwere-Reiter-Spektakels stört, das sich zudem unerschrocken traut, aus dem Zeit-Raum-Kontinuum Locken zu drehen.
Die Geschichte wird in immer wieder neuen Schleifen erzählt und beginnt nicht mit der ersten militärischen Nutzung des Brachlands zwischen den Dörfern Schwabing und Neuhausen. Denn alle Historie findet ihren Anfang mit dem Urknall, und als sich auf der Erde der Urkontinent bildete, lag die Gegend noch am Äquator. Ein depressiver König Otto von Bayern trägt ein kaiserliches Zehn-Punkte-Programm zum Krieg vor und verlängert die Propaganda mit zorniger Bitternis in unsere Tage.
Auf dem nahe gelegenen Schuttberg im Olympiapark, der ein Weltkrieg später errichtet wurde, denken ein königlich-bayerischer Rittmeister und seine Liebste über Zerstörung und Frieden nach. Während dieses wilden Ritts durch die Epochen wird auch die Zukunft nicht verschwiegen: Durch die Plattentektonik könnte das Areal einmal eine Almwiese in 2000 Metern Höhe sein. Auf jeden Fall wird es, wenn im nächsten Jahr das neue Strafjustizzentrums eröffnet wird, wieder näher an der Berufswelt des Leopold von Leonrod sein.
Mucca 31, Schwere-Reiter-Str. 2,, 17. bis 19. und 24. bis 26. Februar, 20 Uhr, sonntags 18 Uhr, Karten per E-Mail unter office@arch-musik.de