Münchner Volkstheater

Christian Stückl inszeniert "Goldberg Variationen" von George Tabori


Zwischen Schmerz und Scherzen: Luise Deborah Daberkow (links), Pascal Fligg, Timocin Ziegler und Cengiz Görür spielen Tabori.

Zwischen Schmerz und Scherzen: Luise Deborah Daberkow (links), Pascal Fligg, Timocin Ziegler und Cengiz Görür spielen Tabori.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Christian Stückl eröffnet die neue Spielzeit im Garten des Volkstheaters vergnüglich mit "Die Goldberg-Variationen" von George Tabori.

So ganz ohne Kreuzigung sollte dieser Sommer dann doch nicht bleiben. Von Corona sowohl im Volkstheater als auch in Oberammergau ausgebremst, trat Christian Stückl die Flucht nach vorne an, verschob die Passionsspiele auf das Jahr 2022 und schloss im Frühjahr sein Volkstheater, um die neue Spielzeit antizyklisch zu beginnen, wenn alle anderen in die Ferien gehen. Die Eröffnungsproduktion machte Stückl selbst: "Die Goldberg-Variationen" von George Tabori, und am Premierenabend im Garten des Volkstheaters sahen alle, dass es gut war.

Die Kreuzigung ist zwar ein paar Nummern kleiner ausgefallen als vor der Ammergauer Alpenkulisse, aber dafür wird nicht nur die Leidensgeschichte Jesu geboten, sondern die ganze Bibel. Dazu gibt es Theologie im Allgemeinen, Christentum und Judentum im Einzelnen unter besonderer Berücksichtigung des Antisemitismus sowie eine süffige Backstage-Comedy. Als Jude, der den Holocaust in der eigenen Familie erlebte, hat Tabori mit seinen Stücken der Welt gelehrt, dass auch nach Auschwitz Witze möglich sind.

Kalauer über Gott und die Welt

Mehr als ein Witz sind schon die beiden Statements, die dem Dreiakter vorangestellt sind: "Gott ist tot. Nietzsche" und "Nietzsche ist tot. Gott." Es dürfen aber auch Kalauer sein wie die Antwort des Gekreuzigten auf die Frage, ob er Schmerzen habe: "Nur, wenn ich lache." Andererseits geht es um die ganz großen Fragen wie "Gibt es einen Gott?" und "Wenn ja, warum lässt er all das Leid in seiner Schöpfung zu?"

Nicht durchweg gelingt Christian Stückl diese heikle Balance zwischen Schrecken und Scherzen, aber die unbedingte Liebe zum Spielen, die vom Lockdown so lange unterdrückt war, entfaltet ihre ganze Energie und trägt den Abend.
Selten hat man die Volkstheater-Truppe derart entfesselt erlebt. Das gilt vor allem für Pascal Fligg als Mr. Jay - das "J" steht für "Jahwe", den alttestamentarischen Gott, der hier auch Regisseur ist.

Mr. Jay sieht im schwarzen Adidas-Trainingsanzug und mit jesusmäßig langem Haar ein wenig aus wie der Kunst-Exzentriker Jonathan Meese, er raucht unentwegt, wie Christian Stückl das tut und George Tabori das auch hingebungsvoll tat. Und sogar hinter der Sonnenbrille sieht man das irre Flackern in den Augen des Despoten, Sexisten und Antisemiten.

Theatertheater

Goldberg ist sein Assistent: Mauricio Hölzemann umgibt den verhärmt Getriebenen mit selbstvergessener Dienstbereitschaft und unendlicher Leidensfähigkeit. Nur wenn Mr. Jay genervt die Proben verlässt, zeigt er, dass auch er die autoritäre Karte ziehen kann. Luise Deborah Daberkow spielt als Starschauspielerin Terese Tormentina souverän mit den Klischees von der mittelmäßigen Diva und erweitert das Theatertheater mit Me-Too-Argumenten, um in der Paradiesszene nicht nackt auftreten zu müssen.

In einem faschingstauglichen Schlangenkostüm (die Ausstattung entwarf wieder Stefan Hageneier) ist Cengiz Görür, unter vielem anderen, ein queerer Verführer im Paradies. Timocin Ziegler spielt einen desillusionierten Bühnenroutinier, der einfach keine Lust mehr hat, denn gerade ist seine Frau mit einem Requisiteur der Kammerspiele durchgebrannt. Als gäbe es gar keine Krise, entfaltet Christian Stückl ein verschmitzt entspanntes Sommertheater im Auftrag des Herrn.

Garten des Münchner Volkstheaters, 28. Juli, 2., 5. August, 20.30 Uhr, 21., 23. August, 20 Uhr, Karten unter Telefon 0895234655

Lesen Sie auch unser Interview mit Christian Stückl

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Die "Goldberg Variationen" im Garten des Volkstheaters.

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Die "Goldberg Variationen" im Garten des Volkstheaters.