Münchner Volkstheater
Christian Stückl hat das Warten satt
6. Mai 2020, 17:14 Uhr aktualisiert am 7. Mai 2020, 13:21 Uhr
Der Volkstheater-Chef erklärt die Saison an seinem Haus für beendet. Dafür kommt er früher zurück
Dass Christian Stückl leidenschaftlich für das Theater brennt, hat man schon lange gewusst. Aber am Mittwochmorgen um 11 Uhr, bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz unter dem Titel "Wir haben einen Plan", legte der Volkstheater-Chef eine Rede hin, die so viel Feuer hatte, entfacht von einer originellen wie einfachen Idee, dass sie mindestens in die Theater-Annalen eingehen wird.
Denn während alle anderen Bühnen der Republik auf die nächste Regierungserklärung warten, um dann vermutlich wieder feststellen zu müssen, dass sie übergangen wurden, und einige andere schon den Betrieb eingestellt haben und auf Besserung für die nächste Saison hoffen, hat Stückl es einfach: satt. Er will nicht mehr warten, er will auch nicht wie andere Theater etwas online entwickeln. Dafür sei er "ein bisschen zu analog", sagt er. Und möchte auch nicht mehr über Ausfallhonorare und finanzielle Auswege grübeln: "Ich will keine Kurzarbeit", sagt Stückl. "Ich will spielen."
Vorgezogene Sommerpause
Und zwar so bald wie möglich. So hat er nach längerem Nachdenken, auch mit seinem Team, einen Entschluss gefasst, der in eine klare Erklärung mündet: "Wir gehen jetzt in die Sommerpause". Also, Schluss ist's mit dieser Saison und zwar sofort. Dafür wird mit der nächsten früher angefangen. Wesentlich früher. Stückls Plan: Er schickt jetzt sein ganzes Team in den Urlaub, um bereits direkt nach den Pfingstferien, am 15. Juni, mit den Proben für die nächste Spielzeit zu beginnen. Neu angepeilter Saisonstart: 24. Juli. Zu Beginn der Sommerferien also, die viele wohl in München und im Umland verbringen werden, weil Reisen ins Ausland nur begrenzt oder gar nicht möglich sein wird.
Was kann man in dieser Zeit machen? Stückl bietet sein Volkstheater als sommerlichen Kulturtempel an. Fünf Produktionen sollen ab dem 15. Juni gleichzeitig geprobt werden, auf der Hauptbühne und der kleinen Bühne im ersten Stock, sowie auf den diversen Probebühnen. Fünf Regisseur*innen hat Stückl bereits parat: Sapir Heller, die eigentlich George Orwells "Animal Farm" im Juni adaptieren wollte, soll ein Stück inszenieren, das auch mit kleinerem Ensemble auskommt. Mirjam Loibl, die ebenfalls für ein Projekt im Frühsommer eingeplant war, ist ebenfalls an Bord. Dazu kommt Simon Solberg, der sich "Indien" von Josef Hader vornehmen will, wobei aus den zwei Lebensmittelkontrolleuren aus dem Original vielleicht Mitarbeiter des Gesundheitsamts werden. Und dann wollen Volkstheater-Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca und Stückl selbst noch was machen.
Nach indischem Vorbild
Dass es eines ausgeklügelten Hygiene-Konzepts bedarf und die Zuschauerzahl begrenzt werden muss, ist Stückl klar. Von den 600 Sitzplätzen im großen Haus lassen sich, wenn man jede zweite Reihe herausbaut und die Leute auf Abstand sitzen, rund 100 besetzen. Was zwar wirtschaftlich nicht toll sei: "Aber lieber vor 100 spielen als gar nicht."
Zudem kann Stückl sich vorstellen, dass manche Inszenierung, falls sie eine oder eineinhalb Stunden dauert, zweimal am Tag gespielt werden könnte. Und natürlich müssen die Inszenierungen "Corona-tauglich" sein, also: Sicherheitsabstand zwischen den Spielerinnen. Wenn einer eine feuchte Aussprache hat, dann sind es eben mehr als 1,5 Meter. Und was das Küssen angeht, verweist Stückl auf seine Erfahrungen in Indien. Dort dürfe grundsätzlich nicht auf der Bühne gebusselt werden. Stattdessen wird Musik gespielt. Bald auch im Volkstheater?
Auch den Biergarten vor den Türen will Stück bespielen. Angedachte Zuschauerzahl: Fünfzig, wobei Paare vielleicht zusammensitzen dürfen. "Und wenn mal schlechtes Wetter ist, gehen wir halt rein." Auch ein Theaterprogramm für Kinder am Vormittag möchte Stückl anbieten - Eltern werden es ihm bestimmt danken. Und den Musiker*innen der Stadt stünde die Open-Air-Bühne ebenfalls zur Verfügung: Stückl ist offen für Angebote. Und appelliert auch an die anderen Theater und Kulturveranstalter der Stadt, nicht zu warten, sondern aktiv zu werden: "Ich will keine Einmaligkeit".
Stückl verbreitet Euphorie
Das Kulturreferat und dessen Chef Anton Biebl hat Stückl bereits auf seiner Seite. Die Staatsregierung und den Kunstminister muss und will er noch überzeugen. Dass sein aufgeregt-euphorisch vorgetragener Plan nicht leicht umzusetzen ist, weiß er. Aber er will es unbedingt. Und nicht nur er: Die 16 Schauspieler seines Ensembles, die er auf die Produktionen gleichmäßig verteilen will, wollen spielen und zwar vor Publikum. "Wenn jetzt die Restaurants wieder öffnen dürfen, wenn Gottesdienste wieder stattfinden und Demonstrationen mit Einschränkungen wieder zugelassen sind, muss es auch für uns Theaterschaffende und das Publikum auch wieder Möglichkeiten geben, zusammenzukommen", so Stückl.
Recht hat er. Und hat für diesen fulminanten Auftritt auch das richtige Fazit: "Wir lassen uns nicht aufs Trockeneis legen. Ich will selbst dampfen."