Kleingekriegt

Mobbing: Wenn der Alltag zur Qual wird


Mobbingangriffe in Schulen sind gestiegen. (Foto: shootingankauf - Fotolia.com)

Mobbingangriffe in Schulen sind gestiegen. (Foto: shootingankauf - Fotolia.com)

Matthias (Name geändert) steht kurz nach sieben vom Frühstückstisch auf, packt seinen Rucksack. Er müsste eigentlich zur Schule gehen. In ein Gymnasium in einer kleinen Stadt in Niederbayern. Er ist in der achten Klasse, ist ein stiller Typ, nicht besonders groß, nicht besonders klein, nicht besonders sportlich, ziemlicher Durchschnitt. Matthias trägt eine Brille, eine nicht besonders coole, aber auch keine besonders hässliche - wieder Durchschnitt.

Matthias spricht nicht viel, aber hat sich auch noch nie mit denen aus seiner Klasse angelegt. Er ist schüchtern, zurückhaltend. Matthias steht an diesem Dienstagfrüh am Frühstückstisch - und will nicht in den Schulbus steigen. Denn Matthias erwartet in der Schule nicht das, was er sich vor drei Jahren vorgestellt hat, als er aufs Gymnasium gewechselt ist. Matthias wird seit dieser Zeit gemobbt. Anfangs ging es noch, doch mittlerweile ist es so schlimm, dass es für ihn teilweise eine große Überwindung ist, sich in das Gymnasium und auf den Schulhof zu wagen. Er wird von einem Klassenkameraden dumm angegangen, angepöbelt, beschimpft. Dem Klassenkameraden von Matthias stehen ein paar Jungs zur Seite - es ist ein kleines Grüppchen, alle sind sportlich, gehören zu den Lauten in der Schule. Sie alle mobben Matthias so, dass er nachts Schweißausbrüche bekommt, sich nicht mehr zu helfen weiß. Wie lange Matthias das noch aushält, weiß keiner.

Momentan überlegt Matthias sogar, die Schule zu wechseln. Wieso ausgerechnet er zum Außenseiter wurde, weiß er nicht, quält sich ständig mit dem Gedanken daran. Ist es seine Brille? Ist es seine Art? Sind es seine Klamotten? Ist es die Tatsache, dass er nicht im Fußballverein dabei ist? Matthias hat keine Ahnung. Und gerade das macht es noch schlimmer für ihn - weil er nicht weiß, wie er mit dem Ganzen umgehen soll.

Matthias ist kein Einzelfall. So wie ihm geht es tausenden Jungs und Mädchen in den Schulen in Niederbayern, Oberbayern und der Oberpfalz. In Hauptschulen genauso wie in Gymnasien, in Realschulen so wie in Berufsschulen. Wie die Opfer zu Opfer werden, ist meistens nicht auf den ersten Blick erkennbar - kleine Grüppchen suchen sich anscheinend wahllos die aus, auf die sie losgehen.

Mobbing-Angriffe sind gestiegen

Die, die attackiert werden, handeln in den meisten Fällen ähnlich - nämlich nicht. Sie sind nicht laut, besonders auffällig oder besonders aufmüpfig. Die Opfer sind oft die Stillen, die sich nicht großartig beschweren, über nichts. Die sich nicht wehren, nicht gröhlen, nicht zu den Lauten gehören. Dennoch erwischt es diese Art von Jugendlichen immer öfter, wenn es um Mobbing geht. Die Zahl der Angriffe an Schulen ist gestiegen - sie erstreckt sich auch auf das Internet, wo über Menschen gelästert wird, die sich nicht dagegen wehren können. Das Internet vergisst nichts. Wer etwas postet oder auf einschlägigen Gerüchteportalen über andere Lügen verbreitet, ist oft nicht nachvollziehbar.

Das System Anonymität hat hier volles Programm. Und auch wenn die Täter - denn nichts anderes sind die, die mobben - bekannt sind, gibt es oft Probleme. Denn in vielen Fällen gibt es keine Zeugen, auch sagen Schüler wie Matthias oft nichts, schämen sich dafür, gemobbt zu werden. Sie suchen die Schuld bei sich - finden
aber in den meisten Fällen keine Antwort.

Auch dickere Kinder sind oft betroffen - ihnen wird das Gewicht zum Verhängnis, das sie sowieso schon belastet. Sie flüchten sich dann in einen Teufelskreis aus Essen, werden wieder dicker und dadurch noch mehr gemobbt. Viele Opfer von Mobbing denken, wenn sie einiges einstecken, hört das Gestänkere meistens auf. Auch haben manche die Strategie, den Tätern zu bestätigen, dass sie, die Opfer, selbst Loser sind - doch auch das fruchtet in den meisten Fällen nicht. Dadurch machen sich die Opfer nur noch kleiner, zeigen noch weniger Selbstbewusstsein.

Mobbing endet selten einfach so

Aufhören wird das Mobbing nur in den wenigsten Fällen durch ein solches Verhalten. Matthias zum Beispiel hat all das schon probiert - aber geholfen hat es nicht, er steht nach wie vor jeden Morgen amFrühstückstisch mit dem Rucksack in der Hand und will nicht aus dem Haus gehen. Manchmal ist es besser, da geht die Sache mit der Angst, manchmal aber schnürt ihm die Angst die Luft ab und er wird krank. Bleibt zu Hause. Doch das ändert wenig. Seiner Mutter hat Matthias die Sache erzählt - doch auch sie weiß nicht genau, was sie machen soll. Mit den Lehrern reden? Die Sache publik machen? Wer ihr zuhört, merkt, in welcher Zwickmühle sie sich befindet: Sie will einerseits ihren Sohn nicht leiden sehen, andererseits möchte sie, dass Matthias die Sache auch selber irgendwie regelt und zum dritten ist sie unsicher, ob es dann nicht erst recht schlimmer wird, wenn man die Sache in der Schule anspricht: Die Täter könnten noch mehr und vor allem verdeckter zu Mobbern werden, weil sie eine Wut auf den gemobbten Schüler haben, weil sie deswegen Schwierigkeiten bekommen haben. Dennoch meint sie, dass es hilfreich sein kann, sich an Lehrer zu wenden, wenn gar nichts mehr hilft. Allein muss und soll man Mobbing-Attacken nicht durchstehen.

Weg aus der Spirale aus Angst

Es ist wieder mal Dienstagfrüh, Matthias steht wieder am Frühstückstisch. Doch mittlerweile hat sich einiges geändert - er hat nach sanftem Druck seiner Mutter mit einem Karate-Kurs angefangen. Früher hat er Kampfsportarten gehasst - mittlerweile aber merkt er, was sie ihm bringen: Mehr Selbstbewusstsein, mehr Stärke, nicht nur im Körper, sondern vor allem im Kopf. Mehr Stärke, um sich zu wehren, wenn er wieder angegangen wird, ohne zu wissen, warum.

Diese Stärke im Kopf ist mit ein Grund dafür, dass sich die Mobber zurückgezogen haben; in den vergangenen Wochen immer mehr. Einer kam sogar, um sich zu entschuldigen. Es gibt also einen Weg aus der Spirale aus Angst, Rückzug, Mobbing und Pöbeleien. Matthias ist ihn gegangen. Entmutigen lassen darf man sich nie, meint er. Auch wenn es oft mehr als schwer fällt. Da hilft nur noch der Gedanke an die Stärke im Kopf.