K.-o.-Tropfen

Hilflos - So gefährlich ist GBL


Die Grenze zwischen high und hilflos ist fließend. Denn ein Milliliter GBL putscht, ein zweiter aber macht bewusstlos.

Die Grenze zwischen high und hilflos ist fließend. Denn ein Milliliter GBL putscht, ein zweiter aber macht bewusstlos.

Zwischen Euphorie und Tod liegen rund zwei Milliliter. Sie entscheiden, ob ein Abend berauschend, bewusstlos oder bedrohlich für das eigene Leben endet. Es geht um K.-o.-Tropfen. Der Stoff, der fast immer dahinter steckt, nennt sich GBL. Und das Schlimmste: Er ist leicht zu bekommen.

Hinweis: Die kursiv gedruckten Szenen sind in unserer Region passiert. Sie wurden von Bekannten oder den Betroffenen selbst rekonstruiert. Die Namen der Personen wurden geändert.

Der schlimme Verdacht kommt Anna am Tag danach. Sie erhält von Freunden ein Foto. Darauf ihre Bierflasche vom Abend zuvor mit der Frage, warum sie nicht ausgetrunken habe. Hätte sie das, wäre der Abend wohl noch bedrohlicher für sie verlaufen. Anna ist auf einer Geburtstagsfeier, zwei Biertische voll mit Gästen. Einen Teil kennt sie gut, den Rest flüchtig. Sie öffnet ihr erstes Bier, geht kurz an die frische Luft und lässt ihre Flasche aus den Augen. Als sie zurückkommt, trinkt sie ein wenig. Dann wird ihr komisch. Sie fühlt sich nicht mehr gut, ihr ist schwindelig. Anna schreibt ihrem Papa, dass er sie sofort abholen soll. Im Auto erzählt sie wirres Zeug. Immer wieder muss sie sich in der Nacht übergeben. Auch am nächsten Tag ist ihr noch übel.

GBL wird zu GHB ist gleich k. o. So kurz, knapp und chemisch oberflächlich lassen sich K.-o.-Tropfen beschreiben. Der Reihe nach: GBL, das ist Gamma-Butyrolacton. Das Lösungsmittel entfernt zum Beispiel Graffiti von Wänden. Wer es aber konsumiert, bei dem wandelt die Leber GBL in Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) um, auch bekannt als Liquid Ecstasy. "GHB ist ein Narkosemittel, das schon in geringen Mengen stark wirkt", erklärt Apothekerin Heidi Lachner aus Straubing. Zuerst aufputschend, dann betäubend. Und bei zu hoher Dosis tödlich. Die Grenze zwischen high und hilflos ist fließend. Denn ein Milliliter GBL putscht. "Man wird euphorisch und sehr sozial", sagt Heidi Lachner. "In der Techno-Szene wird der Stoff GBL häufig als Aufputschmittel missbraucht." Wer rund zwei Milliliter GBL konsumiert, klappt zusammen. Und das schnell. Je nach Körperbau wirkt der Stoff schon nach fünf Minuten. Spätestens nach rund zehn bis zwanzig Minuten ist das Narkosemittel in der Blutbahn. Alkohol beschleunigt die Wirkung. Denn: "Dieser wird ja auch in der Leber abgebaut", erklärt die Apothekerin.

Von gut ausgebildeten Mitarbeitern und welchen, die auf jeden Fall helfen wollen

Eine Barkeeperin, die in Cham und Bad Kötzting arbeitet, hat selbst schon Erfahrung mit K.-o.-Tropfen machen müssen. An dem Abend ist sie auf einmal immer wieder zusammengesackt, ihre Freunde riefen den Notarzt. Am nächsten Tag erwachte sie in einem hellen Raum voller Kabel, mit Katheter, Blutdruckmessgerät und Infusionen - auf der Intensivstation.

Eine Woche lang war sie nicht fähig, länger als etwa 15 Minuten zu stehen. Der "Gratis-Trip" des Unbekannten war wohl sehr riskant dosiert. "Ich wünsche das absolut keinem Menschen, es ist widerlich und wirklich lebensgefährlich."

Seitdem hat sich für sie viel verändert: "Ich habe mein Getränk immer bei mir, sage Freunden immer Bescheid, wo ich hingehe." Die ekelerregenden Gedanken, was der Täter damals mit ihr hätte anstellen können, beschäftigen sie manchmal noch heute. Wenn sie arbeitet, beobachtet sie viel. Geschult wurde sie für mögliche Fälle aber nicht. "Das Einzige, was wir tun können, ist, die Augen offen zu halten." Einer Straubinger Barkeeperin geht es ähnlich: "Wir wurden nicht geschult. Ich würde aber selbstverständlich eingreifen."

Ein Mitarbeiter der "Stars Projekt und Event GmbH", die Discos in Straubing, Landshut und Regensburg betreibt, sagt, dass das Personal gut ausgebildet und aufmerksam sei. "Bei uns kam es wegen der hohen Security-Präsenz und der Kamera-Überwachung bisher zu keinem einzigen Fall mit K.-o.-Tropfen." Er kann nicht bestätigen, dass K.-o.-Tropfen heute häufiger verabreicht werden als noch vor einigen Jahren.

Auch Ronny Conrad, Inhaber eines Dingolfinger Clubs, sieht das so. Er findet, die Sensibilität bei Clubgängern habe zugenommen. Sein Personal schult er regelmäßig. "Es kann sich heute keiner leisten, bei der Sicherheit der Gäste nachlässig zu sein", sagt er.

Es ist eine Faschingsparty wie jede andere - das denkt Lena, bevor sie die Kontrolle über ihren Körper verliert. Die 18-Jährige bestellt einen Cocktail. Sie stellt ihn kurz bei Freunden ab. Als sie zurückkommt, trinkt sie einen Schluck. Plötzlich wird ihr übel. Eine unerträgliche Hitze steigt in ihren Kopf, während Gänsehaut auf ihren Armen andeutet, dass ihr eigentlich kalt sein sollte. Gesichter und Gegenstände verschwimmen. Lena torkelt. Sie kann nur noch geradeaus sehen, rundherum wird alles schwarz. Die laute Musik klingt dumpf. Lena hat nur noch ein Ziel: Raus hier! An der frischen Luft muss sie sich mehrmals übergeben. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Vorfälle mit K.-o.-Tropfen nicht sinken. In der Oberpfalz gab es dazu im vergangenen Jahr 25 Anzeigen, genau wie 2017. 2016 waren es 23 Anzeigen, im Jahr davor 14. Seit 2009 wurden in der Oberpfalz 220 Anzeigen zu K.-o.-Tropfen erstattet.

Die niederbayerischen Zahlen fallen etwas geringer aus. 2018 und 2017 gab es je elf Anzeigen, die K.-o.-Tropfen betrafen. 2016 war der Höchststand der vergangenen Jahre mit 24 Anzeigen, 2015 gab es 15. Seit 2009 wurden in Niederbayern 154 Anzeigen zu K.-o.-Tropfen erstattet. Die Zahlen in den Städten sind höher als die in Gemeinden. Klar, in den Städten gibt es mehr Lokale und Discos.

All diese Zahlen betreffen nur Anzeigen, die Betroffene bei der Polizei erstattet haben. Diese erfolgen meist im Zusammenhang mit Raubdelikten oder Sexualdelikten. "Die Geschädigten stellen die Vermutung an, dass ihnen Mittel verabreicht wurden, die einen Filmriss auslösten", sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz. Oft liege auch übermäßiger Alkoholkonsum vor, eine Verabreichung von K.-o.-Tropfen sei aber nicht auszuschließen. Viele aber - wohl die Mehrheit aller Betroffenen - gehen nicht zur Polizei. Die Gründe dafür sind verschieden. Sie schämen sich. Sie haben Angst. Oder sie wollen nicht, dass Freunde und Familie davon erfahren.

GHB wirkt im Körper zwischen einer und drei Stunden. Wie verhält sich jemand, der K.-o.-Tropfen bekommen hat? Ähnlich, wie jemand, der zu viel getrunken hat.

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Ob jemand Opfer von K.-o.-Tropfen geworden ist, weiß der Betroffene oft selbst nicht sicher. Der Nachweis ist schwierig und die Erinnerung weg. Foto: Florian Wende

Dem Betroffenen wird schlecht, er hat Kreislaufprobleme, torkelt umher, wird müde. "Als Außenstehender kann man kaum feststellen, ob jemand K.-o.-Tropfen erhalten, oder einfach nur zu viel getrunken hat", sagt Heidi Lachner. Und: K.-o.-Tropfen sind im Körper schwer nachweisbar. Nämlich nur dann, wenn ein Arzt während des Rauschzustands Blut abnimmt. Danach hat der Körper den Stoff abgebaut. Betroffene wissen am Tag danach oft selbst nicht sicher, ob sie Opfer von K.-o.-Tropfen geworden sind.

Für die Polizei ist die Aufklärung schwierig, "da in den wenigsten Fällen der Nachweis erbracht werden kann", sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz. Alfons Windmaißer, Chef der Polizeiinspektion Cham, meint: "Es handelt sich beim Verabreicher selten um eine Person, die noch nie Kontakt zum Betroffenen hatte."

Der Gürtel ist nicht das einzige, was Tobias nach seinem Volksfestbesuch fehlt. Die Erinnerung an den vergangenen Abend ist weg. Seinem Kumpel Sebastian geht es ähnlich. Die 16-Jährigen teilen sich eine Maß Bier. Was danach passiert, weiß keiner von ihnen. Nur ihre Begleitung bemerkt, dass sich die Jungs komisch verhalten. Tobias wird schlapp, kann sich kaum auf den Beinen halten. Er übergibt sich und schläft auf einer Bierbank ein. Der sonst zurückhaltende Sebastian dreht durch. Er rennt umher und will jedes noch so halsbrecherische Fahrgeschäft ausprobieren. Wo kommt das GBL her, das manche als K.-o.-Tropfen missbrauchen? Das Bundesgesundheitsministerium teilt mit, dieses werde "überwiegend in Asien hergestellt und über Internet-Shops im Ausland bezogen".

Die Onlineshops versprechen "Deutsche Ware" und "99 Prozent Reinheit"

Bei der Recherche erscheinen schon nach kurzer Zeit mehrere Shops, über die man GBL beziehen kann. Sie wirken gar nicht mal unseriös, versprechen "Deutsche Ware" und mindestens "99 Prozent Reinheit". Als Anwendungsmöglichkeiten wird das Entfernen von Rost, Ölflecken, Kleberesten oder Nagellack genannt. Warum kann man so leicht an GBL kommen? Das Bundesgesundheitsministerium antwortet: "GBL ist eine Industriechemikalie, die weltweit in sehr großen Mengen hergestellt, gehandelt und industriell verarbeitet wird."

Philipp Lang, ein Mit-Betreiber von Discos in Cham, Bad Kötzting und Regensburg, setzt auf Videoüberwachung: "Damit ist auch nachträgliche Aufklärung möglich." Zudem kontrolliere der Sicherheitsdienst Gäste beim Betreten stichprobenartig auf das Mitführen gefährlicher Substanzen. Er beobachte in den vergangenen Jahren einen leichten Anstieg der Verdachtsfälle.

Joschi Schindler, Besitzer einer Landshuter Bar, fällt auf, dass Gäste ihre Getränke nur noch selten aus den Augen verlieren. Seine Bar hat sich der Initiative "Luisa ist hier" angeschlossen. Wenn sich eine Frau bedroht oder belästigt fühlt, kann sie mit dem Codesatz "Ist Luisa hier?" das Personal auf sich aufmerksam machen.

Eine Clique sitzt in einer Bar. Als Stefan und Andreas zahlen, fällt ihnen der ältere Mann in Lederjacke auf. Er wirft interessiert einen Blick in ihre Geldbeutel, die gut gefüllt sind. Später in einer Disco: Stefans Blicke irren umher, er torkelt. Als die Gruppe die Disco verlässt, zwängt er sich zwischen zwei Lastwägen hindurch, verdreckt dabei seine Jacke stark. Doch eigentlich ist Stefan eine sehr reinliche Person. Der nächste Tag beginnt für ihn um 17 Uhr, erst da wacht er auf. Erinnern kann er sich an nichts mehr. Andreas schläft ebenfalls lange. Auch bei ihm endet die Erinnerung an den Abend zuvor beim Verlassen der Bar. Ihr Geld haben beide noch.

GBL ist farblos und geruchsneutral. Der Geschmack wird in Foren als salzig oder seifig beschrieben. Nur Tests, wie zum Beispiel Stäbchen zeigen, ob K.-o.-Tropfen im Getränk sind. Doch die Tests können nur einmalig verwendet werden. Man müsste sie immer wieder machen. Und mal ehrlich: Das würde die Partylaune ganz schön verderben. Apothekerin Heidi Lachner sieht nur eine Lösung: "Man müsste GBL vergällen." Das bedeutet: durch Bitterstoffe ungenießbar machen.

Bayern möchte GBL ins Betäubungsmittelgesetz bringen - doch das ist schwierig

Der Vorschlag, GBL zu vergällen, erscheint dem Bundesgesundheitsministerium nicht zielführend: "Der zugefügte Bittergeschmack könnte leicht übertönt beziehungsweise der Vergällungsstoff wieder entfernt werden." Bayern setzt sich dafür ein, GBL dem Betäubungsmittelgesetz zu unterstellen, wie ein Sprecher des Bayerischen Gesundheitsministeriums sagt. Solche Gesetzesänderungen können jedoch nur vom Bund getroffen werden. Dieser ist der Forderung bislang nicht nachgekommen. Das Bundesgesundheitsministerium erklärt dazu: "Als Industriechemikalie untersteht GBL nicht dem Betäubungsmittelgesetz." Das Narkosemittel GHB aber schon.

Es ist ein Dilemma: GBL wird in der Industrie in zu großen Mengen benötigt, um den Stoff zu verbieten oder zu vergällen. Doch viel zu oft landen wenige Milliliter in den Getränken junger Leute und bescheren diesen einen schrecklichen Abend, der schlimme Folgen nach sich ziehen kann.

So kannst du dich schützen

• Getränke bei der Bedienung oder an der Bar bestellen und selbst entgegennehmen

• Von Fremden keine Getränke annehmen

• Getränke nicht unbeaufsichtigt lassen

• Bei plötzlichen Übelkeiten, Beschwerden, Auffälligkeiten sofort Hilfe beim Personal suchen

Im Fall der Fälle

• Schnell handeln, Freunde um Hilfe bitten, so bald wie möglich einen Arzt aufsuchen. Nur dann ist ein Nachweis möglich.

• Anzeige bei der Polizei erstatten. Das Verabreichen von K.-o.-Tropfen fällt unter den Bereich gefährliche Körperverletzung. Diese wird mit mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe geahndet.