Regensburg
Der Tod als Teil des Lebens: Johanna Klug ist Sterbebegleiterin
26. November 2020, 9:54 Uhr aktualisiert am 26. November 2020, 13:35 Uhr
Johanna Klug hat schon viele Menschen kurz vor ihrem Tod erlebt. Und jeder habe sie tief berührt, sagt die Sterbebegleiterin. Ihr Ehrenamt ist alles andere als deprimierend. Im Gegenteil: Johanna hat dadurch das Leben neu für sich entdeckt.
Es ist Donnerstag. Graue Wolken bedecken den Himmel, ein kalter Herbstmorgen. Johanna kommt auf dem Fahrrad zum Interview. Ein Stirnband bedeckt ihre kurz rasierten Haare. Sie trägt auffälligen Goldschmuck und einen dunklen Mantel. "Gestern war ich beim Boxen, das geht richtig in die Arme", erzählt sie und lacht. Die Wahl-Regensburgerin steckt voller Lebensfreude und das, obwohl sie täglich mit dem Tod zu tun hat. Denn die 26-Jährige arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin und gibt an der Universität Regensburg Seminare über den Tod.
Nichts Bedrohliches
Ihre erste Begegnung mit dem Tod macht Johanna in einem Altenheim. "Ich war 16 Jahre alt und habe dort ausgeholfen", erzählt sie. Eines Tages findet sie einen der Bewohner tot in seinem Zimmer. Sie wollte ihm gerade das Frühstück bringen. Seine Tür steht offen und er liegt zusammengekauert am Boden, eingetrocknetes Blut an Kopf und Gesicht, sein Blick ist leer, wie Johanna auf ihrem Blog schreibt. "Ich habe sehr viel Zeit gebraucht, um das zu verarbeiten, aber ich habe trotzdem noch weiter in dem Altenheim gearbeitet, denn ich habe den Tod schon damals nicht als etwas Bedrohliches empfunden", erinnert sie sich. Für sie sei er genauso wie unsere Geburt ein Ankerpunkt, die einzige Gewissheit in unserem Leben. "Jeder wird früher oder später sterben, das ist sicher", erklärt sie.
Vier Jahre später - sie war gerade von einem Auslandssemester aus den Niederlanden zurück nach Deutschland gekommen - hat sie dann einen Geistesblitz: "Ich beschloss, sterbende Menschen zu begleiten", sagt sie. Johanna fängt während ihres Medienmanagement-Studiums ehrenamtlich auf einer Palliativstation in ihrer Heimatstadt Würzburg an. Sie gibt den Menschen dort an ihren letzten Tagen etwas Realität zurück, bereitet ihnen schöne Momente. Sie bastelt Kastanienmännchen für sie, backt Kekse oder Waffeln. Oder sie lauscht einfach nur ihren Geschichten. In all der Zeit, die sie auf der Palliativstation verbringt, stellt Johanna fest, dass dort alles viel echter ist: "Es herrscht so viel mehr Leben als außerhalb, wo viele mit einer Egal-Einstellung durchs Leben gehen und nicht wertschätzen, was sie haben", erklärt sie. Johanna lässt sich schließlich zur Sterbebegleiterin ausbilden.
Besondere Begegnungen
Bei ihren Begleitungen trifft die 26-Jährige viele verschiedene Menschen. Und trotzdem sei jede Begegnung immer etwas Besonderes, denn: "Sterbende sind oft Lehrer fürs Leben", erklärt sie. Eine Person ist Johanna besonders in Erinnerung geblieben: eine junge Frau Anfang 30, die von einem Gesichtstumor schwer gezeichnet war. "Ich habe sie bei einer Musiktherapie erlebt, wo sie trotz Luftröhrenschnitt gesungen hat. Und sie hat da so viel Freude reingesteckt, das war überwältigend", erzählt Johanna. Sofort fühlt sie sich mit der Frau verbunden, lernt sie kennen. Dann kommt der Abschied. Doch dieser ist nicht für immer. Die Frau darf nach Hause, es sieht gut für sie aus. Es folgen viele zufällige Begegnungen, alle offen, ohne endgültigen Abschied. "Irgendwann lag sie dann aber wieder auf der Palliativstation, was mich sehr überrumpelt hat", erklärt Johanna. Ihr Tumor ist gewachsen und hat ihr Gesicht zerfressen. "Da habe ich gemerkt, welche Macht eine Krankheit über uns haben kann", sagt sie. Der Frau geht es von Tag zu Tag schlechter. Sie ist ihrer Krankheit ausgeliefert. Johanna besucht sie ein letztes Mal, setzt sich an ihr Bett und erzählt ihr alles, was ihr noch auf dem Herzen liegt. "Ich habe ihre Hand gehalten und geweint. Und dann hat sie auf einmal meine Hand an ihr Herz gezogen und gelächelt", erzählt sie. Dieser Moment bekräftigt Johanna in ihrer Arbeit. Ein paar Tage später stirbt die Frau.
Den Tod studieren: Der Studiengang "Perimortale Wissenschaften" an der Uni Regensburg
Der Tod in Kunst und Medien, der Umgang mit Trauer oder das Leben nach dem Tod in der Bibel - das sind Themen, mit denen sich der Studiengang "Perimortale Wissenschaften" an der Universität Regensburg beschäftigt. Seit diesem Wintersemester kann man in dem Fach einen Master machen. Dabei wird das Sterben interdisziplinär betrachtet, unter anderem philosophisch und theologisch. Wer mehr über den Studiengang wissen will, findet Infos hier.
Dann ist da noch Sarah, auch eine besondere Begegnung für Johanna. Das Mädchen leidet an der seltenen Krankheit Kinderdemenz. Dabei verliert sie nach und nach ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Zwar könnte sie 30 Jahre oder älter werden, aber sie führt ein schwieriges Leben. "Sarah ist mittlerweile 13, aber geistig auf dem Stand einer Fünfjährigen", erklärt Johanna. Sie lächelt, als sie von Sarah erzählt. "Sie nennt mich immer Radieschenkopf und hat einen ganz kindlichen Blick auf den Tod. Diese Leichtigkeit bewundere ich an ihr", sagt sie.
Mit der Sterbebegleitung und den vielen besonderen Begegnungen lässt Johanna den Tod in ihr Leben. Dadurch verliert sie die Angst vorm Sterben. Sie beschließt, ihr Leben voll auszukosten und im Hier und Jetzt zu leben. "Denn es könnte jeden Augenblick vorbei sein, immer und überall. Und wir müssen uns diese Endlichkeit bewusst machen, damit wir aufhören, unser Leben zu verschwenden", sagt sie. Dazu gehöre es auch, dass wir uns zugestehen, auch mal wieder Kind sein zu dürfen. "So wie Sarah", ergänzt sie.
Offen übers Sterben reden
Johanna findet dadurch ihre Mission: Sie will den Tod enttabuisieren. Sie will, dass offen übers Sterben gesprochen wird. "Zum Beispiel auch sonntags beim Kaffeetrinken, denn wie sollen andere sonst wissen, wie wir sterben und beerdigt werden wollen, wenn wir das nicht ansprechen", betont sie.
Deshalb ruft die Wahl-Regensburgerin ihren Blog endlichendlos.de ins Leben. Für diesen spricht sie mit Promis wie Jürgen Vogel darüber, wie sie sterben möchten. Sie schreibt Texte zu teils banalen Themen wie Essen und Trinken am Lebensende und berichtet von ihren Erfahrungen auf der Palliativstation. Damit will Johanna eine Anlaufstelle für Menschen bieten, die mit dem Tod konfrontiert sind. "Ich will zeigen, dass Sterben etwas Alltägliches ist und nichts, vor dem wir uns fürchten müssen", erklärt sie.
Im Dezember vor zwei Jahren hört Johanna dann von einem neuen Studiengang übers Sterben, der an der Universität Regensburg eingerichtet werden soll. Johanna bewirbt sich und wird genommen. Als Doktorandin hilft die 26-Jährige dabei, ihn über eineinhalb Jahre aufzubauen. Sie sieht darin einen weiteren Weg, das Thema Tod in der Gesellschaft zu verbreiten.
Kein Tabu-Thema
Dass das notwendig sei, zeige laut ihr auch die Corona-Pandemie. "Da ist so eine große Todesangst in Deutschland. Wir könnten viel besser damit umgehen, wenn wir nicht solche Panik vor dem Sterben hätten", sagt sie. Andere Länder seien da viel weiter. Dort sei der Tod kein Tabu-Thema mehr. Im Gegenteil: "In Afrika zum Beispiel feiern sie eine Beerdigung viel größer als eine Hochzeit", sagt sie. "Da geht man viel lockerer damit um und läuft nicht vor dem Tod davon", erklärt sie. Das wünsche sie sich auch für Deutschland. Sie weiß von ihren vielen Begegnungen mit Sterbenden: "Wenn wir dem Sterben in unserem Leben einen Platz geben, erst dann leben wir so richtig."