Freistunde
Das Modelabel "Variasophia" bringt mehr individuelle Tracht
15. November 2019, 11:23 Uhr aktualisiert am 15. November 2019, 11:23 Uhr
Sophia Kotter will die Dirndl-Mode revolutionieren. Sie erfand das Dirndl nach dem Baukasten-Prinzip: Das Mieder kann man vom Rock ruckzuck per Reißverschluss lösen. 2019 ist das erste Jahr, in dem sie von ihrem Modelabel "Variasophia" leben kann.
Der Opa Schneider, der Vater ebenso - Sophia Kotter scheint die Liebe zu Textilien im Blut zu liegen. In einem stilvoll eingerichteten Geschäft mit weißen Gewölbedecken verkauft die 29-Jährige ihre "Variasophia"-Dirndl. Wobei es nicht einfach nur Dirndl sind. Die Mieder, also die Dirndl-Oberteile, lassen sich per Reißverschluss vom Rock trennen. Diese Erfindung macht die Dirndl von Sophia einzigartig. Kauft sich Frau zum Beispiel zwei Mieder und zwei Röcke, hat sie damit vier Kombinationsmöglichkeiten.
Drei Jahre vorher: Sophia trifft sich mit ihrer besten Freundin auf ein paar Gläschen Wein. Sie ist nicht gut drauf, weil sie nicht weiß, wohin sie beruflich will. Sie hat den Studiengang Modedesign an einer privaten Hochschule in München abgeschlossen. Hat dort gelernt, wie sie Kollektionen plant, designt und fertigt. War für ein Praxissemester bei Hugo Boss in New York. Arbeitet im Marketing der drei Modegeschäfte ihrer Familie. So richtig erfüllt sie das aber nicht.
Sophia hat ein Patent auf das teilbare Dirndl
"Wenn ich ehrlich bin, würde ich am liebsten Dirndl designen", gesteht sie ihrer Freundin. Von denen bekommt sie nie genug. Zwei hat sich Sophia schon selbst genäht. Denn auf Volksfesten liefen ihr zu viele mit dem Gleichen rum. "Es wäre super, wenn man das Mieder einfach vom Rock trennen und im nächsten Jahr einen anderen Rock zum Mieder tragen könnte", überlegen die Freundinnen. Die Idee des Baukasten-Dirndls ist geboren. "Es ist irre, was in der Zwischenzeit alles passiert ist", denkt Sophia zurück.
Um sicherzugehen, dass das teilbare Dirndl überhaupt auf Interesse stößt, befragt sie auf Facebook vereinzelt Personen. Das Ergebnis der Umfrage: Die Idee kommt an. Als sie das Patent für das Reißverschluss-Dirndl bekommt, kann Sophia damit endlich an die Öffentlichkeit gehen. Sie findet nahe Passau eine Schneiderei und bringt ihnen Stoffe. Die Produktion beginnt. Sophia eröffnet einen Onlineshop und macht Werbung auf den sozialen Plattformen.
Mit dem "Dirndl-Karussell" testen, was zusammenpasst
Das Konzept von "Variasophia" ist, Mieder, Rock und Schürze nach eigenem Geschmack zu kombinieren. Um zu sehen, wie die einzelnen Teile miteinander harmonieren, benötigt Sophia ein spezielles Tool für ihren Onlineshop. Damit soll jeder per Mausklick testen können, wie gut zum Beispiel das geblümte Mieder zum roten Rock und der schwarzen Schürze passt.
Doch die Kosten für so ein "Dirndl-Karussell" können im fünfstelligen Bereich liegen. Anfang 2018 findet Sophia eine Agentur, die ihr dieses Tool für einen guten Preis programmiert. Einen eigenen Laden hat sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber ein Lager nahe Bad Füssing, das einmal im Monat für den Dirndl-Verkauf geöffnet ist. Bald reicht den Kunden ein geöffneter Tag pro Monat nicht mehr. Sophia sperrt jetzt jede Woche von Donnerstag bis Samstag auf. Als auch das nicht mehr genug ist, eröffnet sie an der Grabengasse in Passau ihren ersten eigenen Laden. "Ich hatte total Angst", sagt Sophia. Denn sie muss jetzt mehr Dirndl verkaufen als zuvor. Das Lager gehörte der Familie und war deshalb mietfrei, der Laden ist das nicht mehr. "Aber man muss es einfach probieren, sonst weiß man es nicht", sagt sie. Es läuft gut. 2019 ist das erste Jahr, in dem Sophia von ihrem Dirndlverkauf leben kann.
Im August arbeitet Sophia um die 70 Stunden pro Woche
Sophia arbeitet an sechs Tagen die Woche. Nur sonntags hat sie frei. Sie verpackt jedes bestellte Päckchen selbst, erledigt Rücksendungen. Berät die Kunden im Laden. Hält den Onlineshop up to date. Beantwortet Mails. Schießt Produktfotos. Montags ist sie in der Schneiderei. Zweimal pro Woche fährt sie zusätzlich dorthin, noch bevor sie um 10 Uhr den Laden aufsperrt. "Ich wusel den ganzen Tag so rum", fasst Sophia zusammen. Die Dirndl-Saison geht von März bis Oktober. Sie beginnt mit der Starkbier-Zeit und endet mit dem Oktoberfest. Extrem stressig ist für Sophia der August. Um die 70 Stunden arbeitet sie da pro Woche.
Wenn es in den Wintermonaten ruhiger ist, kann sich Sophia um die nächste große Frühjahr/Sommer-Kollektion kümmern. Neben dieser gibt es noch eine kleinere, die kurz vor dem Straubinger Gäubodenvolksfest rauskommt.
Gerade plant die 29-Jährige die Frühjahr/Sommer-Kollektion für 2020. Mag sie schon etwas verraten? "Es wird viele Rosé- und zarte Grüntöne geben", sagt sie. Wobei nicht jede Farbe jeder Frau steht. Brünette haben es ihrer Erfahrung nach leichter: "Die können so gut wie jede Farbe tragen." Blondinen stehen eher kühle Töne. Es sei denn, ihre Haut ist gebräunt. Dann können auch sie zu "krachaden" Farben greifen.
Wie entsteht eigentlich ein Dirndl? Am Anfang skizziert Sophia die Schnitte auf Papier. Ihre Dirndl sind schlicht. Es gibt keine Rüschen oder Pailletten. Am Computer fertigt sie eine technische Zeichnung davon an. Dann geht's zusammen mit den Stoffen, Knöpfen und Reißverschlüssen in die Schneiderei. Die Schnittmacherin digitalisiert den Schnitt. Und verwirklicht ihn eins zu eins mit Papier. Eine Puppe wird mit dem Papierentwurf bekleidet. Ist Sophia damit zufrieden, wird das erste Muster aus Stoff genäht. Die 29-Jährige testet es an sich oder an ihren Kundinnen. Dann geht es in Produktion.
Neben all dem Druck und Stress ist für Sophia Erholung wichtig. Dann liest sie gerne Romane oder Krimis. Oder trifft sich mit Freundinnen auf ein Feierabend-Bier, auch wenn oft nur eine halbe Stunde Zeit dafür ist. Einen Freund hat sie seit fünf Jahren.
Sophia möchte noch weitere Läden eröffnen
Sophia hat schon an vielen Orten gelebt. Die Kindheit verbrachte sie in Bad Griesbach, die Jugend in Berlin. Das Abi machte sie in Fürstenzell. Jetzt würde sie eigentlich gern in München wohnen. Schon nach ihrem Studium wollte sie nicht weg aus der Großstadt. Heute sind viele ihrer Kundinnen von dort. Aber Sophia fand keine passende Ladenfläche. Der Traum von München soll aber keiner bleiben. "Passau bleibt nicht der einzige Standort", sagt sie.