Von Helferin zur Hilfesuchenden
Wie eine junge Mutter nach Long Covid zurück ins Leben findet
16. April 2023, 14:48 Uhr
Da hat mein Körper nicht mehr mitgemacht", sagt Sabrina, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie sitzt am Esstisch bei sich zu Hause in einem kleinen Ort im Landkreis Passau. Die 31-Jährige ist zierlich und trägt eine Brille. Die braunen Haare fallen ihr bis auf die Schultern. Ihr Sohn Felix sitzt auf ihrem Schoß. Im März wird er drei. Auf den ersten Blick erinnert nichts an die Ereignisse des Jahres 2021.
Damals erkrankte die junge Mutter an Covid-19, musste sogar wegen Atemnot ins Krankenhaus. Doch auch nach dem Verlauf der Krankheit stellte sich keine Besserung ein. Sie bekam Long Covid und hatte mit starker Erschöpfung zu kämpfen. Um ihren Sohn konnte sie sich in dieser Zeit kaum kümmern. Besonders ihr Lebensgefährte war ihr in dieser Zeit eine Stütze. "Das war so ein Gefühl, als wäre ich keine Mama mehr", erinnert sich Sabrina.
Anfang 2022 kann die junge Mutter nicht mehr. Sie beschließt, sich Hilfe zu holen und beantragt eine Eltern-Kind-Kur. Das ist eine dreiwöchige Kurmaßnahme für Eltern, die an ihre Grenzen stoßen. Durch ihre Arbeit im Mutter-Kind-Hilfswerk Passau weiß sie, wie der Prozess abläuft. Die Kur soll ihr helfen, wieder Kraft zu schöpfen und in Zukunft besser mit dem stressigen Alltag umgehen zu können. Im vergangenen Februar tritt sie die Kur in der Mikina-Fachklinik an.
Die Patienten können sich auch gegenseitig helfen
Die Klinik liegt in Bad Schönborn, einem kleinen Ort in Baden-Württemberg. Überall laufen Kinder herum, spielen und schreien. Ihre Eltern sitzen meist in der Nähe, auf den Sesseln im Eingangsbereich oder auf den Gängen vor den Zimmern. Dagmar Köditz, die Leiterin der Klinik, ist groß und in Schwarz gekleidet. Ihre blonden Haare sind streng nach oben gesteckt.
Die Klinik bietet verschiedene Therapien, sagt sie. Ein Schwerpunkt ist der "Weg zum Wohlfühlgewicht". Das Angebot richtet sich an übergewichtige Elternteile und Kinder. "Wir haben Diätassistenten hier, die mit Mutter und Kind kochen", sagt sie und öffnet die Tür zur Gemeinschaftsküche. Es ist ein mittelgroßer Raum mit Küchenzeilen entlang der Wände. Etwa sieben Kinder tummeln sich hier mit ihren Müttern und kochen zusammen. Ein Kind rührt mit der Mutter in einer Schüssel, zwei andere sind noch so klein, dass sie auf Hockern stehen müssen, um überhaupt über die Tischplatte sehen zu können. Hier lernen die Familien gesund und schnell zu kochen. Gerade bereiten sie ein Frühstück zu.
Andere Symptome, die in der Klinik behandelt werden, sind Stress und Erschöpfung. Seit Corona gibt es davon immer mehr Patienten. Auch Sabrina hat mit dieser Diagnose an der Kur teilgenommen. Nach dem ersten Gespräch bei der Aufnahme habe sie ihren Therapieplan bekommen, erinnert sie sich. Der beinhaltet je nach Befund die Angebote, an denen man in der Kur teilnimmt. Bei ihr waren das hauptsächlich Entspannungstherapien. Da gibt es in der Klinik zum Beispiel Akupunktur und Massagen.
Sabrina kann sich außerdem gut an die Gesprächstherapie erinnern. Dabei setzte sie sich in einer festen Gruppe mit anderen Patienten zusammen. Besprochen wurden Themen, wie Ursachen und Bewältigung von Stress. Begleitet wurden diese Gespräche von einer Psychologin. "Der Sinn davon ist, dass man auch innerhalb der Gruppe Gesprächspartner hat", so Köditz. Außerdem können die Patienten sich so auch gegenseitig weiterhelfen.
Von einer anderen Mutter hat sich Sabrina zum Beispiel abgeschaut, ihren Sohn bei Wutausbrüchen erst mal in Ruhe zu lassen, statt zu versuchen, ihn in den Arm zu nehmen. "Das mache ich heute auch noch so", sagt sie. Auch für die Kinder gibt es Therapieangebote. Sie werden auf der Eltern-Kind-Kur tagsüber betreut und können an verschiedenen Angeboten teilnehmen. Ein Beispiel ist die tiergestützte Pädagogik, bei der die Kinder Achtsamkeit und Geduld üben können. Die Klinik habe derzeit unter anderem Kaninchen und Alpakas, erzählt die Klinikleiterin. Für die Kleinen, wie den damals zweijährigen Felix, gibt es Minitheater und Gutenachtgeschichten. "Es gab eine Turnhalle, in der du dich mit deinem Kind austoben konntest", erinnert sich Sabrina außerdem. Dort konnten die Mütter sich in ihrer Freizeit selbstständig mit ihren Kindern beschäftigen.
"Da liegen die Nerven schon sehr blank"
Andere Angebote der Klinik, wie das Salzarium, mussten über Corona geschlossen werden. Die Pandemie macht sich auch heute noch in den Kliniken bemerkbar. Der Stress in den Familien ist so hoch wie nie. Die Folge sind, neben psychischen, oft auch physische Leiden, wie Bluthochdruck. Viele fühlen sich durch die hohe Belastung ausgelaugt. Nachdem im Jahr 2020 die Kurbeantragungen wegen des Lockdowns vorerst gesunken sind, steigen sie nun, laut dem Mutter-Kind-Genesungswerk jährlich um rund 30 Prozent. Im Jahr 2021 nahmen 42.000 Mütter und 2.200 Väter an einer Eltern-Kind-Kur teil. Laut einer Studie der Krankenkasse AOK hat sich der Gesundheitszustand von Eltern im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie um 12 Prozent verschlechtert. "Da liegen die Nerven schon sehr blank", sagt Köditz. Die Kliniken sind stark ausgebucht.
Die 50.000 Kurplätze, die das Müttergenesungswerk normalerweise jährlich in Deutschland bereitstellt, werden knapp. Deshalb kommt es zu langen Wartezeiten. Früher lagen zwischen Bewilligung und Antritt der Kur etwa drei Monate. Jetzt muss mit bis zu zwölf Monaten gerechnet werden. Bei Patienten, die dringend Hilfe brauchen, kann das schwere Folgen haben. Manche treten die Kur mit viel stärkeren Symptomen an als ursprünglich festgestellt. Deshalb kommt es vor, dass Patienten von der Klinik weitervermittelt werden müssen. Das geht von der Hilfe bei der Suche nach Therapieplätzen, bis hin zur Einweisung in die Psychiatrie. Die Nachwirkungen betreffen auch die Kinder. Viele sind verhaltensauffällig. Sie haben Konzentrationsschwierigkeiten oder sind mit der Situation, ganztägig in einer Betreuung zu sein, überfordert.
Auch für Felix war so viel Neues anfangs zu viel. Er sei in den ersten Tagen deshalb sehr ängstlich und anhänglich gewesen, sagt Sabrina. Auch für sie war der Klinikalltag manchmal eine Herausforderung. "Es war total stressig, weil man von einer Anwendung zur nächsten laufen musste", sagt sie. Der Kuralltag beginnt um 8.30 Uhr und geht bis 16.30 Uhr. Dazwischen liegen die verschiedenen Therapien und Unternehmungen, wie Yoga oder Walken, erinnert sich Sabrina. Viele Eltern, insbesondere mit kleinen Kindern, fühlen sich damit überfordert. Besonders, wenn die Kinder sich nicht an die Betreuung gewöhnen können und das gewohnte Umfeld wegfällt. Es gäbe auch Eltern, die die Kur deshalb freiwillig abbrechen würden, sagt Klinikleitung Köditz. Andere kämen sogar mehrfach. Wie sich die Kur auf die Patienten auswirkt, ist bei jedem unterschiedlich. Für manche ist sie ein Erfolg, für andere nicht. Was alle Patienten gemeinsam haben, ist die Herausforderung, das Gelernte auch nach der Kur anzuwenden. Am Ende der drei Wochen müssen die Eltern in den Alltag zurückzukehren und sind dem alten Stress wieder ausgesetzt.
Trotz Urlaub - Mütter haben eben nie frei
Bei Sabrina ist das inzwischen ein Jahr her. Sie ist schon lange wieder in ihrem Alltag angekommen. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch im Mutter-Kind-Hilfswerk Passau. Das Büro ist ein heller Raum voller Schreibtische, die von dunkelblauen Aufstellwänden getrennt werden. Es ist laut. Die anderen Mitarbeiter tippen auf ihren Computern oder telefonieren. Ab und zu surrt der Drucker. Ihren jetzigen Alltag beschreibt sie als ruhig. Morgens bringt sie ihren Sohn in die Kita und fährt hierher, zu ihrer Arbeit.
So weit ist alles wie früher. Nur dass sie gelernt hat, besser mit dem Alltagsstress umzugehen. Entspannungstechniken, wie Atemübungen, und das Verständnis, dass ihr Kind sich nicht mit Absicht falsch verhält, helfen ihr dabei. Vor allem habe ihr die Auszeit gutgetan, sagt sie. Auch heute gibt sie sich noch Mühe, das Gelernte anzuwenden. "Ich persönlich schaue einfach, dass ich mich nicht mehr so stressen lasse", sagt Sabrina und schaltet den Computer vor sich aus. Die Uhr zeigt kurz vor zwölf, für heute heißt das Feierabend. Von der Arbeit hat sie jetzt erst mal Urlaub. Aber frei hat sie nicht. Auf dem Weg nach Hause wird sie Felix von der Kita abholen und sich danach um den Haushalt kümmern. Mütter haben eben nie frei.
Der Weg zur Mutter-Kind-Kur
Das Mutter-Kind-Hilfswerk ist eine Beratungsstelle in Passau, die Erziehungsberechtigten auf dem Weg zu einer Eltern-Kind-Kur zur Seite steht. Sie stellt kostenlos Informationen zur Verfügung und hilft dabei, einen passenden Kurtermin zu finden.
Der Anspruch auf eine Eltern-Kind-Kur ist gesetzlich geregelt und wird zum Großteil von der Krankenkasse übernommen. Die Patienten müssen nur einen geringen Eigenanteil zahlen. Der beträgt für Erwachsene zehn Euro pro Tag auf jeden Kurtag. Kinder sind für den gesamten Aufenthaltszeitraum kostenlos.
Der Antrag auf eine Kur wird meistens vom Hausarzt der Patienten gestellt. Anschließend wird er an die Krankenkasse weitergeleitet. Sobald der bewilligte Antrag dem Mutter-Kind-Hilfswerk vorliegt, kann mit der Suche nach der passenden Klinik begonnen werden.
Dabei stehen den Patienten die zwölf Kurkliniken zur Verfügung, mit denen das Werk zusammenarbeitet. Die Wahl der Klinik ist dabei abhängig von den Symptomen und dem Wohnort der Patienten. Sie haben aber auch die Möglichkeit, ihre Präferenzen zu äußern. Wenn die passende Klinik gefunden ist, wird der Klinikplatz bestätigt. Je nach Wartezeit kann der Patient die Kur innerhalb von drei bis zwölf Monaten antreten.
Zur Autorin
Jule Herrmann studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Ihr Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Die Lehrredaktion wird von Redakteuren unserer Mediengruppe betreut.