Lage in Bayern angespannt
RS-Virus grassiert: Viele Kinderarztpraxen voll
1. Dezember 2022, 5:26 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 22:03 Uhr
Allerorten hust, niest und schnieft es in den Kindertagesstätten und Grundschulen des Freistaats. Unter dem Nachwuchs greift eine rasante Infektionswelle um sich, die auch die Kinderärzte an den Rand der Kapazitäten bringt. Selbst die Kliniken sind schon voll - mit Folgen.
In Bayern leiden derzeit extrem viele Kinder an schweren Atemwegsinfekten - die Kliniken sind bereits proppevoll. Die jungen Patienten haben sich meist mit dem RS-Virus angesteckt, der vor allem für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann. Auch Influenza und Lungenentzündung sind häufig. Mediziner erwarten, dass die Infektionswelle noch mehrere Wochen anhält - doch die Kapazitäten in den Klinken sind bereits jetzt erschöpft. Die Krankenhäuser haben deshalb schon die Notfallpläne aus der Corona-Zeit aus den Schubläden gezogen.
"Wir sind an der Belastungsgrenze. Die Zimmer sind oft doppelt belegt, es fehlen zum Teil Monitore, um die Kinder überwachen zu können, weil wir pro Bett - wenn überhaupt - nur einen Monitor zur Verfügung haben. Und auch für die Atemunterstützung stehen zum Teil zu wenige Geräte zur Verfügung", sagte Matthias Keller, Leiter der Kinderklinik Dritter Orden in Passau und Vorsitzender der süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der Deutschen Presse-Agentur.
Durch Corona-Maßnahmen fehlen die Antikörper
"Es gibt derzeit sehr viele kranke Kinder, und die sind auch schwerer erkrankt", schilderte Keller. "Und wir haben Regionen in Bayern, wo wir schon im Normalzustand auf Kante genäht sind." Die Folge: "Manche Patientenzimmer sind wie Bettenlager, da muss man wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen, weil sich Elternbett an Patientenbett reiht."
Einen der Hauptgründe für die derzeitige Welle sehen die Mediziner in den Corona-Maßnahmen. Normalerweise steckten sich 90 Prozent aller Kinder in den ersten beiden Lebensjahren mit dem RS-Virus an. "Das hat nicht stattgefunden, dann fehlen die Antikörper, deshalb haben wir jetzt diese ausgeprägte Welle", erläuterte Keller. Eine erste Studie gebe zudem den Hinweis, dass auch der Nestschutz der Säuglinge schlechter wirke, weil die Mütter mangels Konfrontation mit dem Virus weniger Antikörper in der Muttermilch hätten.
Pandemie verschiebt Infektwellen
"Die Pandemie hat die Infektwellen über das Jahr, die normalerweise einem gewissen Rhythmus erfolgen, verschoben, so dass wir seit einem Jahr eine kontinuierliche Infektwelle haben", zählte Dominik Ewald, Vorsitzender des hiesigen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, einen weiteren Faktor auf. Krippen- und Kindergartenkinder seien ebenso wie Grundschüler einem andauernden Infektstress ausgesetzt, der das Immunsystem nie richtig zur Ruhe kommen lasse. Gleiches gelte für das medizinische Personal, das entsprechend ausgedünnt sei.
Weil viele Kliniken in Bayern so voll sind, zögern die ebenfalls ausgelasteten niedergelassenen Kinderärzte inzwischen, schwer kranke Patienten in die Krankenhäuser zu schicken. "Wir versuchen, so wenig wie möglich einzuweisen, weil wir wissen, dass die Kinder ansonsten in entferntere Kliniken transportiert werden", schilderte Ewald. So gab es zuletzt regelmäßig Transporte von München ins 170 Kilometer entfernte Passau - wenn denn nach bis zu zwölf Stunden Wartezeit endlich einmal das passende Fahrzeug eingetroffen war.
Sechs bis acht Wochen dauere so eine Infektionswelle üblicherweise, erläuterte Keller. "So lange wird die Lage weiter angespannt bleiben." Im Zweifel müssten diverse Maßnahmen aktiviert werden, wie sie während der Corona-Pandemie im Erwachsenenbereich zur Anwendung kamen. Dazu zähle nicht nur die Verlegung in weit entfernte Kliniken, sondern auch die Rekrutierung von Personal wie Gerätschaften aus Erwachsenenstationen. Die ersten Kliniken in Bayern haben bereits begonnen, nicht notwendige Operationen zu verschieben.