Bayern
Kündigung wegen Kita-Kritik?
3. April 2023, 16:06 Uhr
München - Marie (Name von der Redaktion geändert) ist zwei Jahre alt. Sie geht seit Oktober 2021 gerne in ihre Kita in Bogenhausen; Träger ist die Awo. Das kleine Mädchen versteht sich gut mit den anderen Kindern, die Betreuerinnen gehen toll mit der Tochter um. Trotzdem ist Maries Papa Martin Aigner (Name geändert) sauer: Ihm wurde der Vertrag mit der Kita gekündigt. Zuerst sogar nur per Mail.
Aigner und seine Frau sind beide berufstätig. Sie im Marketing, er in der Software-Entwicklung, sie sind angewiesen auf die Betreuung durch die Kita. Großeltern, die auf die Tochter aufpassen könnten, haben sie in München nicht. Durch die Pandemie kam es immer wieder zu Ausfällen in der Kita und zur Notbetreuung. Wiederkehrende Krankheitswellen verstärkten das Problem.
"Für die Maßnahmen und die damals außergewöhnliche Situation habe ich vollstes Verständnis", sagt der Vater. Das Problem sei vielmehr die Kommunikation mit der Kita gewesen, bemängelt er.
Besonders im vergangenen Herbst habe das zugenommen. Durch Personalausfälle kommt es damals immer wieder spontan zu Notbetreuungen. Aigner sagt: "Von den Eltern wurde erwartet, quasi stündlich auf die Kita-App zu schauen und immer sofort zu reagieren. Benötigte man als berufstätiger Elternteil aber eine Bestätigung für den Arbeitgeber, dauerte das oft Wochen und Monate und bedurfte mehrerer Nachfragen."
Auch die Priorisierung der Notbetreuung wurde laut Aigner ständig geändert. Mal sei gelost, mal nach der Berufstätigkeit der Eltern priorisiert worden. Zwischenzeitlich habe die Kita-Leitung Dokumente über die Kernarbeitszeiten der Eltern von deren Arbeitgebern verlangt. Er findet: "Für berufstätige Eltern ist das ein Albtraum, da wir damals nie wussten, wann unsere Tochter wirklich betreut wird."
Der Vater sucht laut eigenen Angaben zu der Zeit mehrmals das Gespräch mit der Leitung der Kita. "Als wir uns über die Missstände in der Organisation der ständigen Notbetreuungen beschwerten, Besserung forderten und deutlich machten, dass wir das als junge Familie mit zwei berufstätigen Eltern so nicht dauerhaft kompensieren können, wurde uns - kurz vor Weihnachten - der Vertrag ohne Angaben von Gründen eiskalt gekündigt", moniert Aigner. Die Kündigung zum 28. Februar hat die Familie erstmal nur per E-Mail erreicht.
Aigner und seine Frau sind damals geschockt. Zwei Wochen nach Weihnachten wäre das nächste Gespräch mit der Leitung der Kita terminiert gewesen. Die Familie fällt aus allen Wolken. "Es gab kein Mahnschreiben oder Ähnliches. Da muss ja eigentlich schon viel passieren", findet Aigner. Einige Zeit später ist den Aigners auch die postalische Kündigung ins Haus geflattert. Adressiert ist sie an Herrn Martin - Aigners Vorname. Die Kündigung liegt der AZ vor.
Unsere Tochter wäre dort gut aufgehoben
Auf Anfrage bei der Awo heißt es, dass man "insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu einzelnen Streitfällen Stellung nehmen" könne. Aber: "Die Betreuungsverträge sehen sowohl für die Eltern als auch für die Awo das Recht vor, das Vertragsverhältnis unter Einhaltung bestimmter Fristen ordentlich zu kündigen", heißt es von der Awo-Geschäftsführung.
Ein großes Problem in den Kitas ist laut Awo der Fachkräftemangel. Es gebe zum Beispiel deutlich weniger sogenannte Springer, welche krankheitsbedingte Ausfälle auffangen könnten. "Um das Kindeswohl in unseren Kitas sicherstellen zu können, sind wir daher in Einzelfällen gezwungen, die Öffnung unserer Einrichtungen gerade in Randzeiten (z. B. am Nachmittag) zu reduzieren oder auf eine Notbetreuung mit kleineren Gruppen umzustellen", heißt es von der Awo.
Um die Ausfälle zu kommunizieren, sei die App ein probates Mittel. Die Meldungen sollten laut der Kita auch als Nachweis beim Arbeitgeber dienen. Den Umgang mit den Eltern kritisiert Familienvater Aigner dennoch. Neben der Eindimensionalität durch die App sei die teils sogar unverschämt, teils überemotional gewesen.
"Ich sehe die Belastung, aber viele Aussagen waren einfach sehr unprofessionell. Als mal eine Erzieherin krank war, hieß es, sie hänge immer noch über der Kloschüssel. Das muss nicht sein", findet Aigner.
Von der Kita heißt es: "Selbstverständlich legen wir in allen unseren Einrichtungen großen Wert auf eine transparente Kommunikation mit den Eltern sowie einen höflichen und freundlichen Umgang." Außerdem gebe es ein Beschwerdemanagement und einen Elternbeirat.
Damit er keine Probleme bei der Kindergartensuche bekommt, möchte er anonym blieben
Das ist für Aigner derweil hinfällig, mittlerweile wird Marie von einer Tagesmutter betreut. Es läuft sehr gut, erzählt er. Im Herbst soll Marie in den Kindergarten gehen. Seine Geschichte erzählt er erst jetzt, weil er Nachteile für seine Tochter befürchtete. Das ist auch der Grund, warum er anonym bleiben möchte. Er fürchtet Repressionen bei der Kindergartensuche.
Mittlerweile tut er die Geschehnisse in der Kita mit einer Handbewegung ab. Marie gehe es jetzt bei der Tagesmutter gut. Aber: "Es ist schlimm. Unsere Tochter wäre dort eigentlich gut aufgehoben gewesen. Bis Herbst wäre sie gerne noch geblieben. Die Situation wurde am Ende auf den Schultern meiner Tochter ausgetragen", sagt der Vater.
Das sagen Anwälte: Peter Weber, Anwalt für Bildungsrechte beurteilt die Kündigung eher kritisch. Er sitzt in München, arbeitet aber bundesweit. Rund einmal die Woche erreichen ihn Anfragen zum Thema Kita-Recht. Dennoch gibt es dazu sehr wenig Rechtssprechungen. "Die Klageverfahren sind teuer und zeitaufwendig. Meist ist schneller ein neuer Betreuungsplatz gefunden", erklärt Weber. Meist ersparen sich die Eltern den weiteren Aufwand. Im Fall Aigner sieht Weber aber klare Chancen, dass die Kündigung unwirksam sein könnte. "In so einem Fall als erstes unbedingt der Kündigung widersprechen und sich rechtlichen Beistand holen", findet der Anwalt. Thomas Färbinger, Anwalt für Familienrecht sieht das wiederum anders. "Wenn das Vertrauensverhältnis einmal gestört ist, bringt es niemandem etwas, daran festzuhalten. Nicht den Eltern, nicht der Kita und nicht dem Kind", sagt Färbinger. Am besten sollten sich Eltern also direkt auf die Suche nach einem neuen Platz begeben.