Vor Allerheiligen
Hochsaison für Friedhofsräuber in Ostbayern?
30. September 2021, 17:32 Uhr aktualisiert am 30. September 2021, 17:32 Uhr
Im Tod noch beklaut: Besonders im vergangenen Jahr hatten sich um diese Zeit die Diebstähle auf Friedhöfen gehäuft. Das Täterprofil reicht vom angeheiterten Gelegenheits-Vandalen auf dem Heimweg bis zum professionellen Metalldieb auf der Jagd nach Kupfer, Palladium und anderen Rohstoffen für den Schwarzmarkt. Steht auch 2021 eine neue Saison für Friedhofsräuber bevor?
Die Schadenssumme bei Friedhofsdiebstählen reicht von wenigen Euro bis weit in den vier- und fünfstelligen Bereich. Im vergangenen Oktober etwa hatten Unbekannte eine Jesus-Figur am Reisbacher Friedhof geklaut. Gegenwert: 4.000 Euro. Manchmal sind es nur ein paar Grabbänder, die wegkommen. Am Friedhof in Moosbach wurde fast im gleichen Zeitraum ein Grabbild gestohlen – Wert: 50 Euro. Der ideelle für den Angehörigen – den Witwer – natürlich ungleich höher. Schaden und Leid, die sich aus den Diebstählen ergeben, lassen sich oft nicht allein in Euro und Cent ausdrücken.
„Bei den entwendeten Gegenständen handelt es sich vorwiegend um Grabschmuck, Kerzen oder Solarleuchten, der Wert liegt hauptsächlich im Bereich bis etwa 100 Euro“, sagt Polizeihauptkommissar Johann Lankes vom Polizeipräsidium Niederbayern auf Anfrage unserer Mediengruppe: „Zu den Motiven der Tatverdächtigen bzw. der Taten können keine gesicherten Angaben gemacht werden.“ Während einige Fälle sich in der Kategorie „Schuljungenstreich“ oder „betrunkene Mutprobe“ einsortieren lassen, gibt es an anderer Stelle Hinweise, dass professionelle Metalldiebe sich an Gräbern zu schaffen gemacht haben: „Vereinzelt werden auch Figuren, zum Beispiel aus Bronze, entwendet, hier liegt der Wert auch schon mal im mittleren vierstelligen Euro-Bereich“, bestätigt Lankes. Diese Kategorie von Diebstählen ist seit Jahren auf Baustellen zu beobachten: Ob Kupferkabel, Rohre oder anderes Baumaterial: Alles, was sich einschmelzen und zu Geld machen lässt, muss gesichert werden.
Faktoren Lockdown und Rohstoffpreise
Auf einen bestimmten „Typus“ der Täter, zu einem Täterprofil oder Täterkreis wollte sich Polizeioberkommissar Dominic Stigler vom Polizeipräsidium Oberpfalz auf unsere Anfrage nicht äußern. Für den oftmals geäußerten Verdacht, dass vor allem hinter den großen Diebstählen professionelle Diebe stecken, spricht die Tatsache, dass mit den steigenden Rohstoffpreisen, vor allem für Buntmetalle wie Kupfer, auch die Fallzahlen bei den Friedhofsdiebstählen gestiegen waren. Der Kupferpreis erreichte laut einer Aufstellung der Börse in Frankfurt kurz vor der Jahresmitte 2020 einen Höchststand. Gleichzeitig waren vor allem in der Zeit des ersten und zweiten Lockdowns die Friedhöfe wie auch die Straßen vielerorts menschenleer: Für Diebe die Gelegenheit, auch gut verankerte Statuen und Grabzierden abzumontieren und abzutransportieren.
Nach Einschätzung eines Steinmetzmeisters, der unserer Mediengruppe zu den Fällen im Oktober 2020 Auskunft gab, sind Gräber in „exponierter Lage“, also entlang der Hauptgehwege, besonders gefährdet. „Da kommen manche auf den Gedanken, eine Kerze oder eine Figur einfach mitzunehmen.“
Wieder mehr Menschen an den Gräbern
Für 2021 stehen die Zeichen auf Entspannung – vorerst: „Ein Abfrage im Bereich der Vorgangsverwaltung ergab, dass von 2020 auf 2021 ein Rückgang der zur Anzeige gebrachten Delikte auf Friedhöfen zu verzeichnen ist“, schreibt das Polizeipräsidium Niederbayern auf Anfrage unserer Mediengruppe. Dieser Trend lasse sich aus der bisherigen Entwicklung ableiten, der Datenbestand sei allerdings noch „dynamisch“. Heißt, es fehlt die zweite Jahreshälfte 2021.
Zudem liegt die vermeintliche Hauptsaison der Friedhofsräuber noch vor uns: Das Gefühl, das Steinmetze und Friedhofsbedienste auf Anfrage äußern, bestätigte sich im vergangenen Jahr in den Polizeiberichten, die die Redaktion erreichten: Die Zahl der Friedhofsdiebstähle stieg, als Allerheiligen näher rückte. Der naheliegende Grund: Für den öffentlichen Gräbergang zu Allerseelen lassen viele die Gräber ihrer Verstorbenen herrichten, Verzierungen und Grabschmuck erneuern – der auf dem Friedhof versammelte Sachwert steigt. Diesen Zusammenhang wollten die Ermittlungsbehörden nicht bestätigen, die Spekulation aber ist bei Betroffenen wie auch Friedhofsbediensteten verbreitet.
Somit bleibt ungewiss, ob das Problem der Friedhofsdiebstähle in der Kriminalstatistik für 2021 ein Thema sein wird. Zwei Dinge sprechen dagegen: Die Preise für viele der fraglichen Rohstoffe und die entsprechende Wertpapiere sind über die vergangenen Monate laut den Veröffentlichungen der Börse in Frankfurt gefallen – die Palladium-Preise etwa sogar ins Bodenlose. Gleichzeitig kehrt die Öffentlichkeit zurück auf die Friedhöfe. Über Stunden komplett verwaiste Friedhöfe sind wieder die Ausnahme. Damit steigt für die „Grabräuber“ das Risiko, erwischt zu werden.