Bayern
Geldauflage statt Urteil?
10. Oktober 2018, 16:17 Uhr aktualisiert am 10. Oktober 2018, 16:17 Uhr
Ruhigen Schrittes betritt Karl B. am Dienstag um zwanzig vor neun Saal 101 des Regensburger Landgerichts. Ein Dutzend Fotografen und Kameraleute drängt sich vor dem Beeren- und Spargelbauern. Der Prozess um die manipulierte Wahl 2014 in Geiselhöring gibt Schlagzeilen her. Karl B. lässt das Blitzlichtgewitter äußerlich gelassen über sich ergehen.
Um die Journalisten schwirrt einer seiner Anwälte. Er soll die Persönlichkeitsrechte seines Auftraggebers überwachen. Schon im Voraus hatte B.s Lager beim Landgericht erwirkt, dass mit der Anklage auch eine sitzungspolizeiliche Verfügung an die Pressevertreter versandt wird. Darin ist geregelt, dass der Angeklagte auf Bildern verpixelt werden muss.
Gängige Praxis vor Gericht, doch Karl B., der Supermärkte in ganz Deutschland mit Beeren und Spargel beliefert, will sicher gehen, seinen Namen nicht in der Zeitung zu lesen. Seine beauftragte Kanzlei verschickte deshalb vorab gleich noch eine Drohung an die Redaktionen hinterher: Jedweder Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte werde umgehend verfolgt. Wegen öffentlicher Anfeindungen, aber auch, weil es schlecht fürs Geschäft ist. "Die öffentliche Stigmatisierung meines Mandanten und seiner Familie dauert an", wird B.s Verteidigerin Dörthe Korn später verlesen. "Das bedeutet nicht nur erhebliche wirtschaftliche, sondern auch gesundheitliche Beeinträchtigungen."
Erntehelfer waren wohl nicht wahlberechtigt
Ähnlich wie im Saal 104, gleich gegenüber, wird auch in Saal 101 über Grundfeste der Demokratie verhandelt. Dort, im Wolbergs-Prozess, geht es um mögliche Korruption, hier um manipulierte Wahlen. Vier Jahre ist es her, dass die Kommunalwahlen in Geiselhöring und dem Landkreis Straubing-Bogen wegen Wahlverdunkelung annulliert und 2015 wiederholt wurden. Dieser Prozess soll einen Schuldigen dafür finden.
Die Staatsanwaltschaft wirft Karl B. und drei rumänischen Mitangeklagten vor, bei der Kommunalwahl im März 2014 Briefwahlstimmzettel von mehr als 400 Erntehelfern ausgefüllt oder diese bei der Stimmabgabe beeinflusst zu haben. Die rumänischen Saisonkräfte waren in Deutschland nicht wahlberechtigt, denn auch für EU-Bürger gilt das Hauptwohnsitzprinzip. Um Stimmzettel für sie zu erhalten, wurden laut Anklage für einige von ihnen Scheinwohnsitze in Geiselhöring angemeldet. Ziel von B. soll gewesen sein, das Wahlergebnis seiner Frau und weiterer CSU-Kandidaten zu verbessern.
Die Anklage gegen den 56 Jahre alten Großbauern lautet deshalb auf Wahl- und Urkundenfälschung sowie Verleiten zur Abgabe falscher eidesstattlicher Versicherungen. Den anderen Angeklagten - ein Mann und zwei Frauen - legt die Staatsanwaltschaft unter anderem Beihilfe zur Wahl- und Urkundenfälschung zur Last. Das Verfahren gegen eine weitere Verdächtige wurde gegen eine Geldauflage bereits im Vorfeld eingestellt.
Nur eine Handvoll Zuschauer verfolgt die Verlesung der Anklage am Dienstag. "Das ist enttäuschend", sagt einer von ihnen in der Pause. "Es gab so viele, die zu der Wahl-Zeit gezündelt und das Thema aufgebauscht haben. Wo sind die heute?" Bei der Schuldfrage ist sich der Besucher aus Geiselhöring, der nach eigenen Angaben nicht politisch aktiv ist, aber unsicher. "Wenn es juristisch eine Fälschung ist, muss er verurteilt werden. Aber nur wenn man sagt, ,wählt die oder die, weil die gut sind' ist das aus meiner Sicht nicht verwerflich. Das passiert doch in jedem Betrieb und Betriebsrat." Auch die Rolle der Gemeinde sieht der Mann kritisch. "Die Umzüge waren doch bekannt und auffällig. Warum hat man die ignoriert?"
Richter: Schwere Fehler bei Gemeinde
Karl B., für den weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, nimmt die Verlesung der Anklage stoisch hin. Seine Verteidigerin Korn verliest eine Erklärung. Darin bestreitet sie den Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Ihr Mandant sei wie auch andere davon ausgegangen, dass die Erntehelfer als EU-Bürger an den Kommunalwahlen hätten teilnehmen dürfen. Das "Bild des tricksenden Agrarunternehmers", das die Anklage zeichne, treffe nicht zu. Auch seine Frau verabscheue "jede Mauschelei im Politikbetrieb". Sie wolle gar nicht in Abrede stellen, so Korn, dass Karl B. nach Eingang der Wahlbenachrichtigungen dafür geworben habe, dass die Helfer an der Wahl teilnehmen. Auch habe er Empfehlungen für bestimmte Kandidaten ausgesprochen. Wahlzettel selbst ausgefüllt oder andere beeinflusst, habe er aber nicht.
Der Fehler sei von der Gemeinde Geiselhöring gemacht worden, als diese entschied, alle EU-Ausländer in das Wählerverzeichnis aufzunehmen und Wahlbenachrichtigungen an sie zu verschicken. Angesichts dessen "konnte und durfte davon ausgegangen werden, dass ein Wahlrecht bestand".
Das sieht wenig später auch Richter Georg Kimmerl so. "Nach erster Einschätzung der Kammer hätte die Gemeinde eine Prüfung der Wahlbenachrichtigungen vornehmen müssen", sagt er. Die Wahl könnte deshalb schon von vorneherein ungültig gewesen sein. "Wir reden hier nicht von einer Großstadt wie München. Jedem Entscheidungsträger war klar, dass die Erntehelfer nicht das ganze Jahr anwesend sind."
Außerdem habe die Verteidigung zu spät vor der Verhandlung Zugang zu Recherchemöglichkeiten erhalten, mit denen Beweise besser durchsucht werden konnten. Auch dass seit der Wahl bereits mehr als vier Jahre vergangen sind und dass die Angeklagten nicht vorbestraft sind, müsse berücksichtigt werden. Um 13.13 Uhr stellt Kimmerl zwei mögliche Wege für das weitere Verfahren vor. Entweder er setzt den Prozess aus und für das Frühjahr 2019 neu an oder es gibt einen Deal: Das Verfahren wird gegen Zahlung einer Geldauflage von 100.000 Euro durch den Hauptangeklagten und von je 1.000 Euro durch die drei mutmaßlichen Helfer eingestellt. Die Angeklagten wären dadurch weiter nicht vorbestraft. Dem Interesse der Öffentlichkeit wäre durch die hohe Geldstrafe Genüge getan, so Kimmerl. Die Schuldfrage bliebe bei einer Einstellung aber unbeantwortet, die Unschuldsvermutung würde weiter gelten.
Verteidiger stimmen Deal zu - Anklage prüft
Die Verteidiger signalisieren ihre Zustimmung, die Staatsanwaltschaft aber bittet noch um Bedenkzeit. Eine Einstellung könnte möglich sein, sagt Oberstaatsanwältin Christine Müller. "Ich möchte aber keinen Schnellschuss machen. Ich möchte es gründlich überlegen und prüfen." Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Dann wird sich entscheiden, ob für die Wahlfälschung in Geiselhöring ein Schuldiger gesucht wird oder nicht.