Energiewende

Traum der Energiewende droht zu zerplatzen

Für Bürger und Betriebe steigen die Kosten - Der Bau von Anlagen und Leitungen stockt


Die Energiewende kostet mehr und mehr Geld. Trotzdem kann die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten.

Die Energiewende kostet mehr und mehr Geld. Trotzdem kann die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten.

Es war ein goldenes Versprechen: Wir retten die Welt und werden reich. Windräder und Solaranlagen sollten sauberen Strom liefern, für den keine Kohle mehr verfeuert werden muss. Andere Länder würden folgen und bei den deutschen Firmen massenhaft Windturbinen und Photovoltaik-Module kaufen. Doch der Traum von der Versöhnung von Umwelt und Wirtschaft ist geplatzt. Gerade als die Jugend für den Klimaschutz durch die Straßen zieht, erlebt die Energiewende ihr böses Erwachen. Nichts geht mehr.

Teuer und ineffizient

An Land werden kaum noch Windräder gebaut. Immer mehr Bürger organisieren sich in Initiativen gegen sie, weil sie aus ihrer Sicht die Landschaft verschandeln. Dringend benötigte Stromleitungen scheitern ebenfalls am Widerstand vor Ort. Angst vor Krankheiten, das Surren der Kabel oder der Wertverlust ihrer Häuser treibt die Bürger auf die Barrikaden. Sie versichern zwar, für die Energiewende zu sein, aber nicht vor der eigenen Haustür. Das Jahrhundertprojekt steckt fest. Gleichzeitig verschlingt es jedes Jahr Milliarden, die Unternehmen und Haushalte berappen müssen. Legendär ist der Satz des früheren Umweltministers Jürgen Trittin (Grüne), dass die Förderung von Windkraft, Solarenergie und Biomasse über die Ökostromumlage pro Monat nur so viel kostet wie eine Kugel Eis - ein Euro. Mittlerweile sind es für den Vier-Personen-Haushalt 21 Kugeln Eis.

Vergangenes Jahr summierte sich die Ökostromumlage für Wirtschaft und Verbraucher auf rund 25 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein ähnlich hoher Betrag für Erhalt und Ausbau des Stromnetzes. Insgesamt schultert die Volkswirtschaft über 50 Milliarden Euro. Deutschland ist Europameister bei den Stromkosten. Dennoch ist der Ausstoß an Kohlendioxid in den vergangenen Jahren kaum gesunken. Das Land, das mit der Energiewende reich werden wollte, gefährdet seinen Wohlstand.

Nachteil für Industrie

In Umfragen nennen Unternehmenslenker immer wieder die hohen Energiekosten als ein Haupthindernis für Investitionen. Energieintensive Branchen wie Chemie, Glas-, Zement- und Metallindustrie stecken in einer schleichenden Erosion. Sie investieren weniger in ihre Fabriken, als sie darauf abschreiben. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat Anfang des Jahres errechnet, dass der Kapitalstock dieser Branchen seit 2010 um 8,5 Prozent oder 25 Milliarden Euro zurückgegangen sei. Seit dem Jahr 2000 kumuliere sich der Verlust auf über 50 Milliarden. Die energieintensiven Branchen stehen am Anfang von Wertschöpfungsketten und sind deshalb bedeutsam für die gesamte Wirtschaft. Rund 800 000 Mitarbeitern geben sie Lohn und Brot. Zwar sind die Unternehmen durch Ausnahmen von der Ökostromumlage und den Netzentgelten ganz oder teilweise befreit, bei der Entscheidung für neue Werke hat Deutschland aber häufig das Nachsehen. Zu teuer ist der Strom und zu unkalkulierbar die Eingriffe der Politik.

Realität sieht anders aus

Trotz immenser Kosten, Unterschleif und der fehlenden Akzeptanz hat die Politik weiter neue Ziele ausgegeben. Im Jahr 2030 soll der grüne Strom einen Anteil von 65 Prozent erreichen. Heute sind es knapp über 40 Prozent. Dafür müssten mehr Windräder gebaut werden als bisher geplant. Die Realität sieht anders aus: Im ersten Halbjahr 2019 wurden 86 neue aufgestellt - 80 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten 2018. Lediglich der Bau von Windparks in Nord- und Ostsee läuft nach Plan. Aber ohne die Leitungen kann die Energie nicht zur Industrie in den Westen und Süden verteilt werden. Von 7700 Kilometer geplanten Leitungen sind nur 1 000 gebaut. Die großen Stromautobahnen, die 2025 fertig sein sollen, befinden sich alle noch in der Planung.

Mehr Belastung statt Entlastung

Parallel zum nicht stattfindenden Windrad-Bau will Deutschland viele Braun- und Steinkohlekraftwerke abschalten, um die Erderwärmung zu bremsen. Alle Experten gehen deshalb davon aus, dass der Strompreis weiter steigt. Der Industrie wurde mit dem Kohlekompromiss versprochen, dass Wirtschaft und Verbraucher pro Jahr im Umfang von zwei Milliarden Euro bei den Stromkosten entlastet werden. "Im Entwurf des Wirtschaftsministeriums findet sich aber davon nichts. Das muss sich ändern", beklagt Carsten Rolle, Leiter der Energieabteilung im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Fragt man den Experten, wie das Projekt wiederbelebt werden kann, macht er eine Pause. Rolle stutzt. Dann fordert er von den Politikern auf allen Ebenen - von der Kanzlerin bis zum Bürgermeister -, sich hinter die Energiewende zu stellen. "Mit diesen Problemen können die Unternehmen nicht allein gelassen werden."

Widerstand der Bürgerinitiativen

Weil Politiker in der Regel wieder gewählt werden wollen, ist es aber so eine Sache, sich gegen eine lautstarke und gut vernetzte Bürgerinitiative zu stellen. Die Wind- und Trassengegner arbeiten bundesweit zusammen und informieren sich über Gerichtsurteile. An der Spitze stehen Leute mit Ahnung. Ihre schärfste Waffe gegen den Klimaschutz ist der Naturschutz. Bedrohte Vogelarten haben schon viele Windparks gestoppt. Mittlerweile, so berichtet der Windkraftverband, werde beinahe jede Bau-Genehmigung beklagt.

Vom einstigen goldenen Aufbruch ist nicht viel übrig. Die Solar-Industrie wurde durch China zerstört, den Herstellern von Windrädern geht es schlecht. Stellenabbau wurde angekündigt.

Ungewisse Zukunft

Für die Zukunft der Energiewende bedeutet das, dass der ehrgeizige Fortschritt, den sich der einstige Klimamusterschüler Deutschland verordnet hat, nicht zu halten sein wird. Eine Lösung könnte in der Solarenergie liegen. Solarfelder werden weit weniger aggressiv bekämpft als Windräder. Sie verbrauchen aber extrem viel Fläche und können die Windkraft nicht vollständig ersetzen. Außerdem kommen die Module aus Fernost, was die Wertschöpfung hierzulande verringert. Zur Sicherung der Versorgung werden mehr Gaskraftwerke gebraucht werden. Doch derzeit sind die Energieversorger sehr zurückhaltend und bauen keine. Sie verlangen zuerst Prämien für diese Kraftwerke, die eine sichere Versorgung gewährleisten können. Diese Prämien, in Fachkreisen als Hartz-IV für Kraftwerke verspottet, könnte eine Brücke sein. Sie würden die große Generationenaufgabe noch teurer machen.