Wegen Sparverträgen
Sparbuch-Ärger bei der Sparkasse – droht eine Klagewelle?
20. Februar 2020, 10:30 Uhr aktualisiert am 24. Februar 2020, 14:41 Uhr
Die Sparkassen sind in Bedrängnis. Mario Draghis Niedrigzinspolitik entzieht einem wichtigen Teil ihres Geschäftes die Grundlage. Nun droht auch noch Ärger mit Kunden. Der Hintergrund: Bei der Auszahlung alter Prämiensparverträge sollen die Sparkassen die aufgelaufenen Zinsen zu niedrig angesetzt haben. Das sagen Verbraucherschützer und zwischenzeitlich auch Anwälte, die für ihre Mandanten das fehlende Geld einklagen wollen.
Einer der Anwälte, die Klage wegen möglicherweise zu niedrigen Zinsen einreichen wollen, ist Martin Bertelshofer. Er ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei der Rechtsanwaltsgesellschaft Dr. Jockisch in Landshut. "Ich rechne damit, dass ich im März die ersten Klagen schreiben werde", sagt Bertelshofer im Gespräch mit idowa. Er glaubt, dass sich in Teilen die Erfahrung mit den Bausparkassen wiederholen werde: "Da war außergerichtlich keinerlei Entgegenkommen zu erkennen. Als es dann zu Gericht ging, hat man sich doch relativ schnell auf eine Lösung geeinigt."
Wie berechnen sich die Zinsen?
Konkret geht es um das sogenanntes "Prämiensparbuch flexibel", das ab Mitte der 90er Jahre von zehntausenden Kunden der Sparkassen in Ostbayern genutzt worden ist. Zinssatz: um die 4 Prozent. "Für die damalige Zeit ein relativ geringer Spar-Zins. Ausgeglichen wurde die geringe Verzinsung mit regelmäßigen Prämien, die sich an den Sparraten orientierten". Die blieben hoch, auch als der Zinssatz schon ins Bodenlose fiel. Der Bundesgerichtshof hat per Urteil den Sparkassen quasi ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Eine Entscheidung, auf die sich die Sparkassen berufen: "Wie bereits höchstrichterlich bestätigt, ist die Beendigung des Vertrags nach Erreichen der höchsten Prämienstaffel rechtmäßig", schreibt Robert Elsberger von der Sparkasse Niederbayern-Mitte auf unsere Anfrage.
Der Fahrplan also: Vertragsauflösung, Sonderprämie oben drauf, neue Geldanlage für den Kunden. Was Verbraucherschützer auf die Palme und nun die Rechtsanwälte an den Schreibtisch bringt: Ihrer Auffassung nach hatten die Sparkassen die Zinsen nicht korrekt berechnet. Eine Neuberechnung wurde notwendig, weil die Zinsanpassungsklauseln in vielen Verträgen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2004 unwirksam wurden. Laut Auffassung der Verbraucherzentrale Bayern und der an der jetzigen Konfliktsituation beteiligten Anwälte hätten die Sparkassen den Zinssatz falsch angepasst. Vor allem seien die noch relativ hohen Zinssätze Ende der 90er nicht in die Berechnung eingeflossen. Martin Bertelshofer beschreibt es so: "Die Sparkassen weigern sich hartnäckig, diese Verträge bis ins Jahr 1996 ordentlich abzurechnen. Sie berufen sich auf Verjährung." Der Rechtsanwalt rechnet vor, dass sich bei einem Sparguthaben von 40.000 Euro eine Differenz von rund fünfeinhalb tausend Euro ergeben könne - abhängig davon, welcher Berechnung man folgt, derjenigen der Sparkassen oder derjenigen der Verbraucherschützer.
Sparkasse: Anwaltsschreiben noch nicht eingegangen
Robert Elsberger von der Sparkasse Niederbayern-Mitte erklärt den Sachverhalt so: "Es steht im Raum, dass die Regelverzinsung während der Laufzeit auch nach anderen Kriterien hätte durchgeführt werden können. Hier gibt es aktuell keine höchstrichterliche Rechtsprechung, ob überhaupt ein Anspruch besteht, beziehungsweise nach welchen Kriterien dieser dann hätte gerechnet werden müssen." Ein Schreiben der Anwaltskanzlei Jockisch liege ihm bisher nicht vor. Dafür aber von anderen Kanzleien: "Wir sind in Einzelfällen auch mit wenigen Beschwerden konfrontiert. Diese werden in jedem Fall geprüft und es wird eine zufriedenstellende Klärung versucht."
Wenn das nicht gelingt, müssen wohl tatsächlich die Gerichte darüber entscheiden. Verbraucherschützer rechnen damit, dass es bundesweit Klagen über mehrere zehntausend Verträge geben könnte. Rechtsanwalt Martin Bertelshofer betreut bereits mehrere entsprechende Mandanten: "Ich habe im Moment neun Fälle. Wir haben Kunden der Sparkassen Landshut, Erding-Dorfen, einen in Niederbayern-Mitte und einen Kunden der Sparkasse Rottal-Inn. Man muss schon auch sagen: Ich habe innerhalb von ein paar Wochen mehrere Mandatsanfragen gehabt. Das zeigt, dass sehr viele betroffen sind. Nur wenige der Betroffenen gehen auch zum Anwalt."
Möglichen juristischen Auseinandersetzungen sieht die Sparkasse Niederbayern-Mitte nach eigenen Angaben gelassen entgegen, sagt Pressereferent Robert Elsberger: "Da wir uns in der durch Gutachten bestätigten Rechtsauffassung, dass sich unsere Vorgehensweise an die einschlägigen Gesetzesvorgaben und Urteile hält, weiterhin sicher sind, werden die von Dritten dargestellten anderen Auffassungen der Situation möglicherweise Gerichte klarstellen müssen."