Dürre
Niedrigwasser bringt Binnenschiffer in die Bredouille
12. August 2022, 15:52 Uhr aktualisiert am 13. August 2022, 7:18 Uhr
Viele Binnenschiffer blicken gebannt auf Kaub im Oberen Mittelrheintal. Hier zeigt ein Leitpegel den immer tiefer sinkenden Wasserspiegel. Dies erzwingt stetig kleinere Schiffsladungen - mit Folgen für die Wirtschaft.
Das weiter sinkende Niedrigwasser der Flüsse im trockenen Hochsommer bringt die Binnenschifffahrt ins Schlingern. Das kann in Zeiten von ohnehin gestörten Lieferketten weitreichende Folgen für die Wirtschaft haben.
Die Sorge geht um, dass sich für einen Teil der Frachtschiffe die Fahrt auf dem Mittelrhein in ein oder zwei Wochen gar nicht mehr lohnt. Schließlich können sie wegen der Gefahr der Grundberührung immer weniger laden, wie der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) mitteilt. Entscheidend ist der Pegelstand Kaub nahe dem Loreley-Felsen im Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal als niedriges Nadelöhr der gesamten Rheinschifffahrt.
Wie sieht die Lage hier aktuell aus?
"Die Schiffe sind derzeit auf dem gesamten Rhein mit weniger als der Hälfte der üblichen Ladungsmengen unterwegs, am Mittelrhein teilweise auch nur noch mit circa einem Drittel, teilt die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes mit. Der Leitpegel Kaub zeigt am Freitagmorgen nur noch 42 Zentimetern an. Willkürlich angebrachte Flusspegel sind nur eine relative und keine absolute Wassertiefe. Die Fahrrinnentiefe bei Kaub gibt die WSV am Freitagmorgen mit 1,54 Zentimetern an. Wobei Frachter laut dem BDB 20 Zentimeter Sicherheitsabstand zwischen Kiel und Flusssohle brauchen. Für die kommenden Tage erwartet die WSA einen weiteren Fall des Wasserstands bei Kaub um 10 bis 15 Zentimeter und dann wohl wieder einen leichten, aber nicht "signifikanten" Anstieg. Laut der Bundesanstalt für Gewässerkunde wird andauerndes Niedrigwasser "auch in den kommenden Wochen das Abflussverhalten prägen".
Es ist in diesem Jahr ungewöhnlich früh gekommen. Im Dürrejahr 2018 war der Pegelstand bei Kaub an einer der wichtigsten Wasserstraßen Europas erst am 22. Oktober auf seinen Rekordwert von 25 Zentimeter gesunken. Viel Zeit nun also noch für eine mögliche Unterbietung dieses Niveaus vor den Herbst- und Winterniederschlägen.
Wann genau lohnt sich die Binnenschifffahrt nicht mehr?
Das lässt sich nicht allgemein sagen. Bei Hochwasser können Behörden die Binnenschifffahrt verbieten. "Der Wellenschlag kann sonst zum Beispiel Brücken beschädigen", erklärt BDB-Geschäftsführer Jens Schwanen. Bei Niedrigwasser dagegen gibt es keine Verbote, Reedereien entscheiden selbst, wie lange sich der Transport einer stark verringerten Ladung noch lohnt. "Wir fahren bis an die Grenze der physikalischen Unmöglichkeit", versichert Schwanen. Angebot und Nachfrage: Wenn ein Auftraggeber genug zahle, würden notfalls auch nur wenige hundert Tonnen mit einem 110-Meter-Frachter transportiert, der normal bis zu 3000 Tonnen befördern könne. Ohnehin müssen Frachtkunden bei Niedrigwasser je nach Pegelstand und Vertrag zusätzlich einen sogenannten Kleinwasserzuschlag überweisen.
Der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, Hans-Heinrich Witte, rechnet in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" nach eigenen Worten damit, dass trotz anhaltender Trockenheit dieses Jahr durchgehend Schiffe auf dem Rhein fahren - eben bei niedrigem Wasserstand mit erheblich weniger Fracht.
Wie ist die Nachfrage nach Schiffsraum?
Riesig. Schwanen spricht von einem Gerangel in Zeiten von Ukraine-Krieg und Energiekrise: "Alle zerren an derselben Bettdecke." Rund 2000 Güterbinnenschiffe seien in Deutschland registriert. Zur ohnehin hohen Nachfrage etwa von Industrie, Landwirtschaft und Handel bei schon global gestörten Lieferketten kämen Kohletransporte beim Wiederhochfahren der Kohlekraftwerke und die Beförderung ukrainischen Getreides. Mehr als zehn hiesige Güterschiffe seien inzwischen auch nach Rumänien für die Untere Donau verkauft worden. Lastwagen sind in Deutschland laut dem BDB-Chef wiederum kaum eine Alternative, "weil wir so viel größere Mengen transportieren". Und auch Bahnunternehmen hätten bei starker Nachfrage längst zu wenige Waggons und Lokführer.
Der baden-württembergische FDP-Verkehrsexperte Christian Jung erklärt mit Blick aufs Niedrigwasser: "Die Kraftwerke am Rhein und die Ölraffinerie MiRO in Karlsruhe sitzen buchstäblich auf dem Trockenen." Wo es möglich sei, müsse mit der Bahn angeliefert werden. "Dies führt wegen der völlig unterdimensionierten Schieneninfrastruktur zu deutlichen Verspätungen oder gar Zugausfällen im Fern- und Nahverkehr."
Wie kann sich Niedrigwasser auf die Wirtschaft auswirken?
Der Ökonom Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft erläutert: "Berechnungen zu den Folgen des Niedrigwassers 2018 im Rhein zeigen, dass die Industrieproduktion um etwa ein Prozent abnimmt, wenn die Pegelstände an der Messstelle Kaub die kritische Marke von 78 Zentimetern für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten haben."
In der Spitze sei die Industrieproduktion 2018 um etwa 1,5 Prozent gedrückt worden, erklärt Kooths. Auf Jahressicht dürfte das Niedrigwasser etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet haben.
"Allerdings ist die damalige Situation nicht eins zu eins auf heute übertragbar", erläutert der Wissenschaftler. So sei die "Fallhöhe" für die deutsche Industrieproduktion damals viel größer gewesen.
Wie reagiert die auf Binnenschiffe angewiesene Chemieindustrie?
Die Branche hat entlang der Rhein-Schiene laut dem Branchenverband VCI aus dem extremen Niedrigwasser 2018 gelernt. Transportkonzepte seien angepasst und Lagerbestände aufgefüllt worden, berichtet Infrastrukturexperte Tilman Benzing. Transporte seien aktuell bereits auf Straße und Schiene verlagert worden - mit Problemen. "Es fehlen Lkw-Fahrer, der Laderaum ist knapp und der Gütertransport mit der Bahn ist durch zahlreiche Baustellen ebenfalls sehr angespannt", berichtet Benzing. Der VCI fordert wie auch der BDB schon lange, die Flachstellen im Mittel- und Niederrhein rascher zu beseitigen. Man sei besorgt, dass dies nun erst 2033 statt 2030 abgeschlossen sein solle. Laut der rheinland-pfälzischen Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP) sind für das Projekt in diesem Jahr 11,5 neue Stellen bei der WSA zur Verfügung gestellt worden, um es voranzutreiben.
Und was macht die BASF?
Einer der weltgrößten Chemiekonzerne mit Stammsitz in Ludwigshafen am Rhein setzt seit 2018 unter anderem auf flachere Spezialschiffe. Eines sei ein in Bau, ein anderes seit Oktober 2021 schon in Betrieb, sagt eine Sprecherin. Das 110 Meter lange Gas-Tankschiff sei mit 12,5 Metern breiter als andere Gas-Tanker und könne bei einem Kauber Pegelstand von 30 Zentimetern noch immer 200 Tonnen verflüssigter Gase befördern. BDB-Geschäftsführer begrüßt solche Initiativen sehr, sagt aber auch mit Blick auf die bundesweit rund 2000 registrierten Güterschiffe: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer."