Wie nachhaltig ist die Welt 2050?

Forscher erklärt BP-Studie zur Zukunft der Energieerzeugung


Sorgen Sonne und Wind für eine strahlende, nachhaltige Zukunft der Menschheit? Schön wär's, sagt Professor Dr. Jakob Burger. Aber der Umbau käme zu einem Preis - ebenso wie die Untätigkeit.

Sorgen Sonne und Wind für eine strahlende, nachhaltige Zukunft der Menschheit? Schön wär's, sagt Professor Dr. Jakob Burger. Aber der Umbau käme zu einem Preis - ebenso wie die Untätigkeit.

Von Redaktion idowa

Wie nachhaltig wird der Energiemarkt im Jahre 2050 sein? Und welche Wege dorthin könnte es geben? Um diese Fragen geht es in der aktuellen Studie "Energy Outlook 2020" des Mineralölkonzerns "BP". Von einem "Weiter so" bis hin zu einer chaotischen Transformation unter Zeitdruck beleuchtet der Bericht mehrere denkbare Szenarien. Wir haben einen Wissenschaftler des TUM Campus Straubing um eine Einordnung gebeten.

Mit Blick auf das Jahr 2050 konzentriert sich der "BP Energy Outlook" auf vier Szenarien: "Rapid", "Net Zero" und "Business as usual (BAU)" sowie "Delayed and Disorderly". Rapid (Schneller Umbau) geht dabei von entschlossenen politischen Maßnahmen mit dem Ziel nachhaltiger Energieproduktion aus, was laut Studie zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes der Menschheit um 70 Prozent bis 2050 führen würde. Net Zero (Erreichen von null Emission) geht davon aus, dass mit diesen Maßnahmen auch weitreichende gesellschaftliche Änderungen der Einstellung und des Verhaltens einhergehen, was den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um etwa 95 Prozent senken würde.

"Wir werden mehr zahlen oder unseren Lebenswandel ändern müssen"

Das klingt schon mal toll, hat allerdings mindestens einen Haken, wie Prof. Dr. Jakob Burger gegenüber idowa erklärt. Burger ist Professor am TUM-Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit und forscht dort unter anderem an neuen synthetischen Treibstoffen. Er hält die Thesen der Studie insgesamt für "sehr plausibel", betont aber auch: "Klimafreundliche Technologien sind im Schnitt signifikant teurer als fossile. Wir werden also leider entweder mehr bezahlen oder unseren Lebenswandel ändern müssen."

Dr. Jakob Burger hat in Straubing die Professur für " Chemische & Thermische Verfahrenstechnik" inne. Er ist sich sicher, dass ohne eine hohe CO2 Steuer bei der ökologischen Transformation nicht viel gehen wird.

Dr. Jakob Burger hat in Straubing die Professur für " Chemische & Thermische Verfahrenstechnik" inne. Er ist sich sicher, dass ohne eine hohe CO2 Steuer bei der ökologischen Transformation nicht viel gehen wird.

Im dritten Szenario Business as usual ("Weiter so") der Studie passiert erstmal nichts von beidem: Hier nehmen Politik und Gesellschaft keine nennenswerten Änderungen an der momentanen Energieproduktion vor, so dass der CO2-Ausstoß bis 2050 nur um etwa 10 Prozent sinkt. Ein viertes Szenario mit dem Titel "Delayed and Disorderly" ("Verspätet und ungeordnet") trägt dann der Möglichkeit Rechnung, dass eine globale Katastrophe eine schnelle Abkehr vom "Business as usual"-Weg erfordert, was zu chaotischen Veränderungen in zu kurzer Zeit führen würde.

Diese Grafik aus der Studie zeigt, wie sich der CO2-Ausstoß gemäß der drei Szenarien entwickeln könnte. Die linke Achse gibt den Ausstoß in Gigatonnen an ? eine Gigatonne entspricht einer Million Tonnen.

Diese Grafik aus der Studie zeigt, wie sich der CO2-Ausstoß gemäß der drei Szenarien entwickeln könnte. Die linke Achse gibt den Ausstoß in Gigatonnen an – eine Gigatonne entspricht einer Million Tonnen.

"80 Prozent Rückgang halte ich für sehr realistisch"

Sämtliche Szenarien gehen von einem Rückgang der Ölnachfrage in den nächsten 30 Jahren aus: Bei einem "Weiter so" bis 2050 um etwa zehn Prozent und um etwa 55 Prozent bei einem schnellen Umbau. Laut Net-Zero-Szenario geht die Nachfrage sogar um 80 Prozent zurück. "Das halte ich für sehr realistisch", erklärt Professor Burger hierzu. "30 Jahre sind eine lange Zeit, die noch fossil geprägten Entscheider sind bis dahin durch die Jugend und deren Kinder ersetzt." Diese Generationen würden wesentlich fortschrittlicher denken und sich deshalb vom Öl lossagen können, glaubt er.

Laut Studie hätte eine solche Transformation gravierende Auswirkungen auf Verkehr, Infrastruktur und Industrie. Aktuell wird demnach der Bedarf des Straßenverkehrs noch zu etwa 90 Prozent durch Öl gedeckt, je nach Szenario geht dieser Anteil bis 2050 aber auf nur 20 Prozent zurück. Bei der Produktion von Energie sieht es ähnlich aus: Momentan liegt hier der Anteil erneuerbaurer Energien nur bei etwa fünf Prozent, laut Net-Zero-Szenario aber würde er 2050 bei 60 Prozent liegen. Im Falle einer "Business as usual"-Entwicklung würden erneuerbare Energien 2050 immerhin 20 Prozent des Energiemarktes ausmachen.

"Glaskugelseherei"

Die erneuerbaren Energien sind laut Studie auch hauptverantwortlich für eine zunehmende Elektrifizierung des Endenergieverbrauchs. Der Anteil der Elektrizität am gesamten Energieverbrauch der Menschheit liegt aktuell bei etwa 20 Prozent, durch fortschreitende Reduktion der kohlenstoffbasierten Energiegewinnung ("Dekarbonisierung") bis 2050 steigt er auf etwa 34 Prozent im BAU-Szenario, 45 Prozent bei Rapid und mehr als 50 Prozent nach Net Zero. Die Dekarbonisierung würde gemäß BP-Bericht auch dafür sorgen, dass Wasserstoff und Bioenergie zunehmend an Bedeutung gewinnen - besonders dort, wo Elektrifizierung schwierig oder teuer ist. Der Wasserstoff-Anteil am Energieverbrauch könnte nach Net-Zero-Szenario demnach bei bis zu 16 Prozent liegen. Der Anteil von Erdgas ersetzendem Biomethan und Biomasse, die vorwiegend im Stromsektor eingesetzt wird, könnte zudem im Jahr 2050 laut Net-Zero-Szenario fast zehn Prozent betragen.

Für Jakob Burger ist die Einschätzung, welches der vorgestellten Szenarien am realistischsten ist, "Glaskugelseherei und hängt extrem stark an der Politik." Das liegt auch daran, dass für die ökologisch optimistischsten Entwicklungen meist extrem teure Technologien im Spiel sein müssten, wie er sagt. Deshalb betont der TUM-Wissenschaftler besonders die Bedeutung der CO2-Steuer für die Szenarien.

"Welcher Strafbetrag ist Ihre Schmerzgrenze?"

Diese Steuer sei das zentrale Steuerorgan der Politik zur Senkung des CO2-Ausstoßes und werde in Dollar oder Euro pro Tonne angegeben, erklärt er. "Die CO2-Steuer in Deutschland liegt zum Einstieg 2021 bei 35 Euro pro Tonne und darf per Gesetz - warum auch immer - nicht über 60 Euro steigen", fügt er an. Burger beschreibt die Steuer als eine Art "CO2-Strafe" für Verbraucher: "Die Frage wäre, ab welchem monatlichen Strafbetrag würden Sie Ihr persönliches Verhalten signifikant umstellen? Was ist die Schmerzgrenze, die Sie dazu zwingt, Ihr Verhalten zu ändern?"

Jeder Deutsche verbraucht laut Burger aktuell etwa eine Tonne CO2 pro Monat. Ginge man nun beispielsweise von 100 Euro CO2-Steuer pro Tonne aus, hätten deutsche Verbraucher also drei Möglichkeiten: "Entweder Sie ändern gar nichts und zahlen monatlich 100 Euro zur Beruhigung Ihres Gewissens, oder sie schaffen sich ein E-Auto an und beziehen Öko-Strom, was sie unterm Strich vielleicht 90 Euro mehr pro Monat kostet, aber die CO2-Steuer vermeidet. Option Nummer drei wäre, Ihren Lebenswandel grundlegend zu ändern, auf unnötige Autofahrten zu verzichten, lokal produzierte Produkte zu kaufen und so fort."

"Je höher die CO2-Steuer, desto mehr Technologie ist möglich"

Klingt erstmal nach reiner Verbraucher-Schikane, findet auch Jakob Burger. Für die praktische Umsetzung vieler erneuerbarer Technologien sei die Steuer aber entscheidend: "Da Technologien mit erneuerbarer Energie kein CO2 ausstoßen und sie somit von der Steuer befreit sind, haben Verbraucher, Energieerzeuger und Firmen durch sie die Chance, die entstehenden Mehrkosten über die vermiedene CO2-Steuer zugleichen." Erneuerbare Technologien wie etwa Ökostrom benötigten nur geringe CO2-Steuern, damit sie eine Chance hätten, fügt er an. "Andere hingegen, etwa die E-Mobilität und ihre Infrastruktur, brauchen eine deutlich höhere Steuer. Je weiter die Steuer also angehoben wird, desto mehr neue Technologien können genutzt werden." Die große Leistung des BP-Berichts liege in der Abschätzung, ab welcher CO2-Steuer welche Technologien auf den Markt kämen, womit sich die mögliche CO2-Einsparung vorhersagen lasse.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Professor Jakob Burger eher pessimistisch in die Zukunft blickt.

BP-Studie: Ein ernüchternder Ausblick

Roter Himmel über der "Golden Gate Bridge" in San Francisco. Viele glauben, dass die verheerenden Waldbrände in Kalifornien ein grimmiger Vorbote dessen sein könnten, was der Menschheit in der Klimakrise noch bevorsteht.

Roter Himmel über der "Golden Gate Bridge" in San Francisco. Viele glauben, dass die verheerenden Waldbrände in Kalifornien ein grimmiger Vorbote dessen sein könnten, was der Menschheit in der Klimakrise noch bevorsteht.

"Offensichtlich will man keine Panik verbreiten"

Hier beginnt für Professor Burger das zentrale Problem: 100 Euro CO2-Steuer würden für das Erreichen der optimistischen Rapid- und Net-Zero-Szenarien nicht annähernd reichen, glaubt er. Für Rapid gibt die BP-Studie eine CO2-Steuer von 250 Dollar pro Tonne in den Industrienationen an. "Hier wird das Klimaziel, die durchschnittliche Temperaturerhöhung auf 2 Grad zu begrenzen, gerade so erreicht und extreme Klimaschäden werden abgemildert", sagt der Straubinger Wissenschaftler. Für das Net-Zero-Szenario gibt die Studie keinen Betrag an - und Burger glaubt zu wissen, warum: "Hier dürfte die CO2-Steuer wohl schockierend hoch sein, ich schätze sie auf 500 bis 600 Dollar pro Tonne. Da hätte der Bericht ruhig ehrlicher sein können - offensichtlich will man keine Panik verbreiten."

Bliebe es nun aber beim bisher beschlossenen Stand der CO2-Steuer von 35 bis 60 Euro, würde das nach Burgers Einschätzung unweigerlich auf den BAU-Pfad der Studie führen. Das 2-Grad-Ziel würde sicher verfehlt, mit schwerwiegenden Konsequenzen: "Das ist ein absolutes Alptraum-Szenario für die nächste Generation", sagt der Forscher. "Tägliche Unwetter, regelmäßige Dürren mit sinkenden Erträgen in der Landwirtschaft, 500 Millionen Klimaflüchtlinge, ein eisfreier Nordpol, Aussterben vieler Arten und Einiges mehr."

"Wie ein Covid-19-Lockdown, nur dauerhaft"

Käme es nun, wie in der Studie beschrieben, irgendwo auf dem Weg des "Weiter so" zu einem folgenschweren Ereignis, dann träte wohl das "Delayed and Disorderly"-Szenario in Kraft. "Das könnte eine große Dürrekatastrophe sein, oder der Verlust von Lebensraum für eine Milliarde Menschen durch eine große Naturkatastrophe", glaubt Burger. "Die Menschheit entschließt sich anschließend, doch noch zu handeln, und es werden globale, drastische und schnelle Einschnitte nötig." Es käme zu Fahrverboten, einem totalen Flugverbot und der chaotischen Stilllegung von Industrieanlagen. "Das alles passiert so schnell, dass es zu massiven Einbußen bei Lebenswandel und Wirtschaftskraft kommt", warnt der Wissenschaftler, "vergleichbar mit einem Covid-19-Lockdown, nur dauerhaft."

Wie diese Grafik zeigt, würden plötzlich nötige Rationierungs-Maßnahmen im Szenario der verspäteten und ungeordneten Transformation zu einem abrupten Abfall des Energieverbrauchs führen ? mit hohen wirtschaftlichen Kosten.

Wie diese Grafik zeigt, würden plötzlich nötige Rationierungs-Maßnahmen im Szenario der verspäteten und ungeordneten Transformation zu einem abrupten Abfall des Energieverbrauchs führen – mit hohen wirtschaftlichen Kosten.

"Es gibt noch zu viele Klimawandelleugner"

Dass eines der Szenarien genau wie beschrieben eintritt, hält der Forscher zwar für ausgeschlossen - es könne aber zu ähnlichen Szenarien kommen. Damit der Weg vom aktuellen "Weiter so" in Richtung Rapid-Szenario gehen kann, hält Professor Burger primär eine drastische, flächendeckende und schnell wachsende Erhöhung der CO2-Steuer für nötig. "Wie man das international und national durchsetzt, vermag ich nicht zu sagen", erklärt er. "Es hat aber sicher mit objektiver, unverfälschter und massiver Aufklärungsarbeit zu tun. Es gibt in Politik und Gesellschaft noch zu viele Klimawandelleugner und -verharmloser."

"Dann muss es eben im Chaos gemacht werden"

Insgesamt ist Burger für die Zukunft eher pessimistisch: "Die Bundesregierung kennt die Fakten und tut aktuell rein gar nichts, um aus dem BAU-Szenario herauszukommen", sagt er. "Daher glaube ich leider nicht, dass Rapid und Net Zero eine Chance haben." Man könne das BAU-Szenario vereinfacht also als wahrscheinlich bezeichnen. "Ich persönlich glaube aber an Delayed and Disorderly, da wir über kurz oder lang nicht umhinkommen, CO2 einzusparen", fügt Burger an. "Da wir es jetzt nicht geordnet hinbekommen, muss es eben später im Chaos gemacht werden - leider."