Konjunktur
Deutsche Wirtschaft stagnierte zu Jahresbeginn
28. April 2023, 10:05 Uhr
Die deutsche Wirtschaft ist nach einem kraftlosen Jahresstart im Winter knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal zum Vorquartal, wie die Wiesbadener Behörde am Freitag mitteilte. Zum Jahresende 2022 hatte sich die Wirtschaftsleistung zum Vorquartal nach jüngsten Daten noch um 0,5 Prozent verringert. Volkswirten zufolge fehlt es der deutschen Konjunktur derzeit an Dynamik. Im Gesamtjahr 2023 erwarten sie bestenfalls ein Mini-Wachstum. Einige rechnen auch mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung.
Sinkt das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer sogenannten technischen Rezession. Vor allem dank des milden Winters traten die schlimmsten befürchteten Szenarien jedoch nicht ein - etwa eine Gasmangellage, die tiefe Spuren hinterlassen hätte. "Die Rezession konnte gerade nochmal abgesagt werden", analysierte Dekabank-Experte Andreas Scheuerle. "Nach wie vor befindet sich der private Konsum in einer schwierigen Lage."
Positive Impulse kamen nach Angaben der Statistiker zu Jahresbeginn von den Investitionen und den Exporten. Der Privatkonsum fiel angesichts der anhaltend hohen Inflation als Konjunkturstütze dagegen aus. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbraucher, denn sie können sich dann für einen Euro weniger leisten.
Im Euroraum insgesamt nahm die Wirtschaft zu Beginn des Jahres wieder etwas Fahrt auf. Nach einer ersten Schätzung des Statistikamtes Eurostat legte das BIP zum Vorquartal um 0,1 Prozent zu. Im Schlussquartal 2022 war die Wirtschaft im gemeisamen Währungsraum leicht um 0,1 Prozent geschrumpft.
Nach Einschätzung von Nils Jannsen vom Institut für Weltwirtschaft IfW Kiel hat die deutsche Wirtschaft die Talsohle infolge der Energiekrise wohl erreicht. "Die Bäume wachsen für die deutsche Wirtschaft aber nicht in den Himmel." So belastet der Kaufkraftentzug durch die höheren Energiepreise weiter die Konjunktur.
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hatte sich im April weiter aufgehellt. Das Ifo-Geschäftsklima stieg zum Vormonat um 0,4 Punkte auf 93,6 Zähler. "Die Sorgen der deutschen Unternehmen lassen nach, aber der Konjunktur fehlt es an Dynamik", ordnete Ifo-Präsident Clemens Fuest ein. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, sprach von "trüben Aussichten" angesichts vielfältiger Herausforderungen.
Nach Einschätzung der "Wirtschaftsweisen" schmälert die hohe Inflation die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher, zudem bremsen schlechtere Finanzierungsbedingungen wegen steigender Zinsen die Konjunktur. Dazu kommt eine Weltwirtschaft, die sich nur langsam von den Corona-Folgen erholt. Im laufenden Jahr dürfte das BIP nach Einschätzung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung um 0,2 Prozent wachsen. Die Bundesregierung geht inzwischen von einem etwas stärkeren Plus von 0,4 Prozent aus.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht eine schrittweise Erholung der Konjunktur. "Die deutsche Wirtschaft erweist sich nach der Corona-Krise auch in der Energiekrise als anpassungs- und widerstandsfähig", sagte Habeck bei der Vorlage der aktuellen Konjunkturprognose.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer warnte auch mit Blick auf die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die hohe Inflation vor zu großem Optimismus. "Solchen Zinserhöhungen folgten in der Vergangenheit in Deutschland stets Rezessionen. Die meisten Volkswirte sind wohl zu optimistisch, wenn sie für die zweite Jahreshälfte einen klassischen Aufschwung erwarten."