Verkehr
Bahn und Gewerkschaft EVG vor harter Tarifrunde
27. Februar 2023, 11:42 Uhr aktualisiert am 27. Februar 2023, 12:18 Uhr
Für Bahnreisende und Pendler könnte dieses Frühjahr zu einer Geduldsprobe werden: Die Gewerkschaft EVG und die Deutsche Bahn sowie 50 weitere Branchenunternehmen ringen von diesem Dienstag (28. Februar) an in Fulda um neue Tarifverträge.
Schon vor Beginn zeichnen sich schwierige Verhandlungen ab. Die Gewerkschaft pocht angesichts von Inflation, Energiekrise und Personalmangel auf kräftige Lohnerhöhungen und zeigt sich kämpferisch. Von den Arbeitgebern erwartet sie ein Angebot bereits in der ersten Verhandlungsrunde - sonst könne es früh zu ersten Warnstreiks kommen.
Mindestens 650 Euro will die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft für die rund 180.000 Beschäftigten durchsetzen. Die unteren Einkommensgruppen sollen überproportional gestärkt werden, daher hat sich die Gewerkschaft für eine Forderung mit Festbetrag entschieden. Bei den höheren Entgelten will die Gewerkschaft eigenen Angaben zufolge eine Steigerung um 12 Prozent erreichen. Für die Nachwuchskräfte fordert die EVG 325 Euro. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Nach EVG-Einschätzung profitierten gut 90 Prozent der Beschäftigten eher von einer Erhöhung um 650 Euro, nur für die oberen rund 10 Prozent ist die prozentuale Forderung relevant.
Es ist die bisher höchste prozentuale Forderung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und auch für die beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA, aus deren Zusammenschluss die EVG 2010 hervorgegangen war. Wie für die Deutsche Bahn soll sie auch für alle anderen Unternehmen gelten, für die die EVG verhandelt.
Eine historisch hohe Inflation und gestiegene Energiepreise, die die Einkommen der Beschäftigten deutlich schmälern, die Folgen der Pandemie mit Maskenkontrollen und zahlreichen Krankheitsfällen, zunehmende Übergriffe auf Bahnmitarbeiter - aus EVG-Sicht müssen die Beschäftigten immer höhere Belastungen schultern und haben sich deshalb einen deutlichen Einkommenszuschlag verdient. Sonst drohe eine weitere Abwanderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mahnte EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch kürzlich in Fulda. Beim Thema Fachkräfte steuere man in eine "Totalkatastrophe" - und das, obwohl die Bahn in diesem Jahr unter dem Strich eigentlich 9000 Beschäftigte hinzugewinnen will.
Die Bahn betonte zuletzt ebenfalls, dass sie mit sehr schwierigen Tarifgesprächen rechne. Die Gewerkschaft habe 57 Forderungen gestellt, die im Schnitt 25 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten bedeuteten, hieß es am Freitag aus Kreisen des Konzerns. Neben mehr Geld seien auch zahlreiche strukturelle Themen aufgeworfen worden, etwa Höhergruppierungen und Neueingruppierungen oder eine Angleichung regionalisierter Tarifverträge auf das jeweils höchste Niveau. Insgesamt handele es sich um einen hochkomplexen Forderungskatalog.
Im Schnitt bedeute allein die Lohnforderung eine Steigerung von 18 Prozent, in einzelnen Bereichen um mehr als 30 Prozent, hieß es aus DB-Kreisen. "Wir setzen auf Verhandlungen, aber unsere Spielräume sind begrenzt", sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson dem "Tagesspiegel".
Die nicht-bundeseigenen Bahnunternehmen hätten derweil mit einem Aufruf zur Mäßigung auf die Forderungen reagiert und das Argument der Inflation abgewiegelt, verlautete aus Gewerkschaftskreisen. Man sehe sich an Verträge gebunden, die Steigerungen in dieser Höhe nicht vorsähen und die man nicht bezahlen könne. Die Gewerkschaft will dies nicht gelten lassen - dann müssten die Unternehmen eben auf die Aufgabenträger zugehen und diese in die Pflicht nehmen, hieß es.
Die EVG hat bereits zum Beschluss ihrer Tarifforderungen deutlich gemacht, dass sie Aktionen schon früh in Betracht zieht. Schon zum jeweiligen Auftakt wolle man ein Angebot seitens der Arbeitgeber sehen, sonst werde es "ganz schnell gehen", hatte Loroch mit Blick auf mögliche Warnstreik-Aktionen gesagt. In Betracht kämen Aktionen im Osterreiseverkehr nach der ersten Verhandlungsrunde, die voraussichtlich bis Ende März dauert. Dabei könnte sich die EVG auch mit der Gewerkschaft Verdi abstimmen, die derzeit unter anderem in Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst beim Bund und den Kommunen steht.
Das bundeseigene Unternehmen transportiert immer mehr Menschen auf einem Streckennetz, das viele Jahre vernachlässigt wurde - und inzwischen sehr anfällig ist. Für die Fahrgäste am deutlichsten wird das derzeit in der Pünktlichkeit, die im Fernverkehr 2022 bei gerade 65 Prozent lag. Der Sanierungsbedarf ist riesig und soll in den kommenden Jahren mit Generalsanierungen auf besonders wichtigen Strecken angegangen werden - was viel Geld kosten wird.
Die DB-Vertreter werden also absehbar darauf setzen, dass nicht auch noch die Personalkosten durch einen allzu hohen Tarifabschluss in die Höhe springen. Gleichzeitig will das Unternehmen attraktiv bleiben für neue Mitarbeiter angesichts des Fachkräftemangels. "Die Mitarbeiter haben einen tollen Job gemacht, wir sind gut miteinander durch die Krise gekommen. Da ist von unserer Seite klar, dass wir das auch anerkennen wollen", sagte Personalvorstand Seiler im Januar. "Wir müssen da eine gute Balance finden zwischen kurzfristiger Anerkennung und dem, was wir auch langfristig leisten können, ohne dass wir die Mobilitätswende in irgendeiner Form belasten."
Nach eigenen Angaben will die EVG für einheitliche Tarifbedingungen in der Branche sorgen und dafür auch die größere Schlagkraft durch die Bündelung von Forderung und Verhandlungen nutzen. Das dürften die Unternehmen, aber auch die Fahrgäste nicht zuletzt bei möglichen Arbeitskampfmaßnahmen zu spüren bekommen. Die Gewerkschaft erwartet, dass die kleineren Bahnunternehmen dem Branchenführer DB AG folgen. "Gemeinsam geht mehr", lautet dazu passend das Motto der Tarifrunde. Zum Start am 28. Februar kommen ihre Verhandlungsführer mit denen der Deutschen Bahn zusammen, danach soll mit jedem einzelnen der anderen rund 50 Branchenunternehmen gesprochen werden - was voraussichtlich bis Ende März dauern wird, bevor es in die zweite Runde geht.
Mit ihren Tarifforderungen liegt die EVG über denen der Gewerkschaft Verdi, die für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber 500 Euro mehr verlangt. Für die rund 160.000 Post-Beschäftigten fordert Verdi ebenfalls mit Blick auf die Inflation 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Hier hatte Verdi bereits eine Urabstimmung gestartet.
Die Gewerkschaft mit ihrem Bundesvorsitzenden Claus Weselsky wird im Herbst mit der Bahn in Tarifverhandlungen gehen. Die GDL ist deutlich schwächer innerhalb der DB vertreten als die EVG, hat sich in der Vergangenheit aber immer wieder als sehr streikbereit präsentiert. Streiks der GDL wurden öffentlich zuletzt als wirksamer und dramatischer für die Fahrgäste wahrgenommen. Der Grund: Ohne Lokführer kann keine Bahn fahren. Sollte sich die EVG zu Warnstreiks entscheiden, könnte die Durchschlagskraft aber sogar deutlich höher sein, da je nach Ausmaß dann entscheidende Posten in der Infrastruktur, etwa in einem Stellwerk, betroffen sein könnten.