Hashimoto

Wenn die Schilddrüse chronisch entzündet ist

Nicht zu heilen, aber gut behandelbar


Dr. Bernhard Scher, Leiter des Schilddrüsenzentrums und Chefarzt der Klinik für Nuklearmedizin, untersucht mit Ultraschall die Schilddrüse einer Patientin.

Dr. Bernhard Scher, Leiter des Schilddrüsenzentrums und Chefarzt der Klinik für Nuklearmedizin, untersucht mit Ultraschall die Schilddrüse einer Patientin.

"Fast jeder dritte Deutsche leidet an einer Erkrankung der Schilddrüse", erklärt Dr. Bernhard Scher, Leiter des Schilddrüsenzentrums am Klinikum Landshut. Dabei handle es sich vor allem um Vergrößerungen, Unter- und Überfunktionen, Autoimmunerkrankungen, Knoten, Entzündungen und selten auch Krebs.

Die häufigste Autoimmunerkrankung des Menschen und eine der häufigsten Ursachen für eine Schilddrüsenunterfunktion ist die Hashimoto Thyreoiditis, die chronische Entzündung der Schilddrüse. Sie zählt wie die beiden anderen Schilddrüsenerkrankungen Morbus Basedow und die Thyreoiditis de Quervain zu den gutartigen Erkrankungen des Organs. Mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer sind betroffen.

Bei der Hashimoto Thyreoiditis bildet das Immunsystem krankhafterweise Antikörper, die die kleine schmetterlingsförmige Drüse im Hals angreifen. Im Laufe von Jahrzehnten zerstören sie die Schilddrüse. Das führt zur Funktionseinbuße, es werden zu wenige Hormone produziert. Die Entzündung führt zur Zerstörung und fast immer zum Zusammenschrumpfen des Organs. Im Extremfall hört die Schilddrüse dann zu arbeiten auf.

Hashimoto erkennen

Scher stellt fest: "Die meisten Patienten kommen relativ spät zu uns. Meist haben sie dann schon eine Unterfunktion mit unterschiedlichen Schweregraden. Ihre Leistungsfähigkeit ist geringer, Spritzigkeit und Dynamik fehlen - vor allem morgens."

Die Mehrzahl kommt mit einer Überweisung zum Spezialisten in die Ambulanz des Schilddrüsenzentrums Landshut. Dann hat der Hausarzt im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung festgestellt, dass der TSH-Wert im Blut erhöht ist. TSH ist ein Hormon aus der Hirnanhangdrüse und Teil des fein ausgeklügelten natürlichen Regelkreises. Es hat die Aufgabe, die Schilddrüse bei Bedarf zur Hormonproduktion anzuregen. Mehr TSH regt die Produktion der Schilddrüsenhormone an. Dauerhaft hohe Werte zeigen, dass zu wenig Hormone erzeugt werden. Bei der Entzündung der Schilddrüse platzen Zellen und setzen Hormone frei. Dadurch kommt es oft erst einmal zu einer Überfunktion. Diese macht sich durch innere Unruhe, vermehrtes Schwitzen, Einschlafprobleme und Heißhunger bemerkbar. Im Laufe der Zeit entsteht aber eine Unterfunktion, weil nicht mehr genügend intakte Zellen vorhanden sind.

Da diese Vorgänge in der Regel sehr, sehr langsam geschehen, treten manchmal keine Zeichen einer Überfunktion auf. Daher sind die individuellen Symptome sehr verschieden. "Aufmerksam werde ich vor allem, wenn gleichzeitig Symptome einer Über- und Unterfunktion beschrieben werden", so Scher.

Weitere Kennzeichen für den Arzt sind im Blut vorhandene Antikörper und ein diffuser Befall der ganzen Schilddrüse.

Meist schreitet die chronische Entzündung, die die Schilddrüse nach und nach zerstört, sehr langsam fort. Viele Patienten bemerken dies somit gar nicht und werden erst durch eine Vorsorgeuntersuchung erfasst. Andere Fälle verlaufen eher schubweise. Scher erläutert: "Im Blut sehen wir in "Schub-Phasen" hohe Antikörperwerte. Daneben gibt es Phasen mit geringen Werten oder auch gänzliche fehlende Antikörper. Rund zehn Prozent der Menschen haben Antikörper, aber keine oder nur leichte Beschwerden. Damit besteht keine therapeutische Relevanz. Nur etwa zwei Prozent der Europäer sind behandlungsbedüftig."

Eine Schilddrüsenunterfunktion ist Scher zufolge aber nicht immer durch Hashimoto bedingt. Manchmal sei die Ursache nicht feststellbar, das Organ ist einfach zu klein oder eine Entzündung verlief in der Vergangenheit unauffällig. Auch durch eine Operation aufgrund von Knoten, bei der die kleine Drüse entfernt wird, entsteht eine Unterfunktion.

"Die Autoimmunerkrankung könnte man tatsächlich als Pech bezeichnen. Nach heutigem Kenntnisstand kann man auch nicht vorbeugen", bedauert Scher. Die Ursache liegt zum Teil in den Genen, man ist anfällig, hat eventuell auch schon ohne Symptome erhöhte Antikörper. Dann kommt in bestimmten Situationen ein Trigger dazu, der letztlich die Erkrankung auslöst. Dies kann eine Hormonumstellung in Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause sein, genauso wie massiver Stress.

Ausführliche Diagnostik

Im Schilddrüsenzentrum werden bei der Anamnese neben dem TSH weitere Blutwerte zur Schilddrüse und Nebenschilddrüse bestimmt. "Die dabei verwendete RIA-Diagnostik der Schilddrüsenparamter liefert meiner Ansicht nach etwas genauere Werte als die enzymbasierte Analyse, die standardmäßig angewendet wird. RIA bedeutet ,Radioimmunoassay' und setzt im Labor auf radioaktiv markierte Antikörper. Zudem lassen wir je nach Fall Autoantikörper und Tumormarker bestimmen."

Mit der Analyse von TSH, den freien Schilddrüsenhormonen fT3 und fT4, sowie den drei Autoantikörperparametern MAK, TAK und TRAK, den Tumormarkern Thyreoglobulin und Calcitonin sowie dem Parathormon der Nebenschilddrüse stehen dann für die genaue Diagnose zahlreiche Werte zur Verfügung.

Der Ultraschall ist für die Schilddrüse die wichtigste bildgebende Untersuchung, mit der Knoten, die Größe des Organs und je nach Gerät auch die Durchblutung gemessen werden. Eine Szintigraphie kann darüber hinaus die Stoffwechselaktivität des Gewebes veranschaulichen, ist aber bei Hashimoto für eine erste Beurteilung nicht nötig.

Behandlung der Symptome

Die etablierte Therapie richtet sich gegen die Symptome der Unterfunktion. Dabei nehmen die Patienten morgens nüchtern einige Zeit vor der ersten Mahlzeit ein vom Arzt genau dosiertes T4-Präparat mit dem Wirkstoff L-Thyroxin ein. Es bildet sich ein konstanter Wirkstoffspiegel im Blut. "In den meisten Fällen leben diese Patienten unbeschwert wie Menschen ohne Schilddrüsenerkrankung", beschreibt Scher.

"Rein theoretisch könnten wir auch die Ursache, also die Entzündung, mit Immunsuppressiva behandeln, aber die Wirkung steht dabei in keinem Verhältnis zu den Nebenwirkungen. Das macht man nicht - vor allem da man das Resultat, die Unterfunktion, problemlos mit Schilddrüsenhormonen behandeln kann.

Im Vergleich zu anderen Unterfunktionen ist Hashimoto jedoch hormonell etwas schwieriger einzustellen", fasst der Schilddrüsenspezialist zusammen.

Meist seien diese Patienten nicht im gleichen Maß zufrieden mit der Therapie wie andere Patienten mit Unterfunktion. Dr. Scher betont daher, dass er für die Therapie die Allgemeinsymptome und nicht nur das Funktionsdefizit betrachtet.

Da die Zusammensetzung der Medikamente je nach Hersteller variiert, kann sich die Wirkung im Körper leicht unterscheiden. "Ein Patient kann von Medikament A eine Dosis von 125 Mikrogramm benötigen, würde aber bei Medikament B eine andere Dosierung brauchen. Wir empfehlen daher dringend, wenn ein gut wirksames Präparat gefunden wurde, bei diesem zu bleiben und nicht zu wechseln", mahnt Scher. Manches Mal würden Zusatzstoffe nicht gut vertragen. In solchen Fällen könne man das T4 auch als Tropfen einnehmen. Bei Hashimoto werde im Gegensatz zu anderen Unterfunktionen immer ein Präparat ohne Jodzusatz verschrieben, denn Jod könne Entzündungsschübe auslösen.

Regelmäßige Kontrolle

Bei der Analyse der Blutwerte muss man das Testverfahren berücksichtigen, da je nach Test unterschiedliche Einheiten verwendet werden und unterschiedliche Werte normal sind. TSH wird in Milliunits pro Liter (mU/l) gemessen. Dr. Scher strebt für Erwachsene einen Zielwert bei eins bis zwei an, bei Senioren auch bei drei bis vier. "Den genauen Wert stimmen wir mit dem Patienten und seinem Empfinden ab. Eine untere Grenze von 0,3 oder 0,4 darf jedoch nicht unterschritten werden, weil bei TSH-Werten unter 0,3 die Schilddrüsenüberfunktion beginnt."

A und O der Behandlung sei die richtige Dosierung und deren Kontrolle. Wenn ein Patient sich in einer Euthyreose, also einer Schilddrüsennormalfunktion, befindet, seien gravierende Nebenwirkungen nicht zu erwarten. Dr. Scher warnt aber vor einer künstlich verursachten Überfunktion durch zu hohe Dosis der Medikamente. Diese könne beispielsweise auf längere Sicht Herzrhythmusstörungen hervorrufen.

In der Regel ist bei Hashimoto keine Operation an der Schilddrüse nötig. Durch die chronische Entzündung ist das

Karzinomrisiko jedoch leicht erhöht, obwohl Schilddrüsenkrebs generell sehr selten ist. Nur ein Prozent aller Krebsarten in Deutschland betreffen die Schilddrüse. Doch falls ein rasch wachsender Knoten erkennbar wäre, würde man operieren. "Ich hatte hier am Zentrum noch keinen einzigen Hashimoto-Hashimoto-Patienten, bei dem sich ein Schilddrüsenkrebs entwickelt hat", berichtet der Spezialist.

Fast immer schmerzlos

Beim Hashimoto schildern nur wenige Patienten Schmerzen der Schilddrüse. Wenn überhaupt beschreiben sie einen leichten Druck, ein Flirren oder Flattern in der Schilddrüse. Scher vermutet eine vage Wahrnehmung der Entzündungsreaktion und die damit verstärkte Durchblutung dahinter. Dies sei für die Ärzte auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal: Denn im Gegensatz dazu steht die Thyreoiditis de Quervain, eine subakute Entzündung der Schilddrüse, die fast immer stark schmerzt, innerhalb weniger Tage eintritt und auch Schluckbeschwerden, eine vergrößerte Schilddrüse und grippeartige Symptome wie Fieber zur Folge haben kann. Sie sieht im Ultraschall auch anders aus. Da meist nur Teile der Schilddrüse befallen sind, erkennt der Arzt ein uneinheitliches Muster des Organs. Blutsenkung und Entzündungsmarker im Blut sind erhöht. Die Thyreoiditis de Quervain heilt in der Regel wieder aus.

Weitere Therapieansätze

Die Schilddrüsendiagnostik und -therapie ist eine Kassenleistung. Weil es sich um eine Entzündung handelt, könne die Zufuhr der Spurenelemente Zink und Selen sowie von Vitamin D das Immunsystem unterstützen. Erste Wahl sei dabei Selen. "Die Hälfte der Hashimoto-Patienten fühlt sich mit einer Gabe von Selen individuell wohler. Diese Zusatzmedikation muss der Patient aus eigener Tasche bezahlen, sollte dies aber mit dem Arzt abstimmen. Um eine Wirkung zu erreichen, sollte nach gängiger Praxis täglich 200 Mikrogramm Selen hochdosiert eingenommen werden. Ein Effekt stellt sich erst nach einigen Monaten ein. Dr. Scher kontrolliert in diesem Fall den Selenspiegel im Blut regelmäßig, da eine Überdosierung problematisch wäre. "Bei einem hohen Antikörperspiegel, Schlappheit, Antriebslosigkeit und Müdigkeit - verursacht durch die chronische Entzündung - empfehlen wir, mit Selen gegenzusteuern. Es wird ein immunmodulatorischer Effekt vermutet, der die Entzündungsreaktion bremst."

Die meisten Menschen kennen die vorbeugende Wirkung von Jod in Bezug auf die Schilddrüsenvergrößerung, den sogenannten Kropf. Hashimoto-Patienten sollten jedoch kein Jod in Form von Medikamenten zuführen. Jodiertes Speisesalz, Meersalz oder Fisch dürfen die Patienten dagegen konsumieren. Würden sie jedoch sehr viel Jod aufnehmen, könnte dies einen Krankheitsschub auslösen. Als weitere Auslöser für ein Aufflammen der Entzündung nennt Dr. Scher extreme Belastungssituationen, starken Stress und Hormonänderungen. Am häufigsten sei dabei die Schwangerschaft als Erkrankungsbeginn auszumachen. Sie sei die Lebenssituation, die besondere Aufmerksamkeit verlange. Bei jeder Schwangeren wird automatisch der TSH-Wert bestimmt. Die Gynäkologen seien hier meist sehr aufmerksam und ziehen bei Bedarf den Schilddrüsenspezialisten zu Rate. Natürlich werde bei einer Hashimoto-Patientin im Verlauf einer Schwangerschaft der TSH-Wert je nach Beschwerden oder bei einer Erstmanifestation circa 14-tägig kontrolliert und die Dosierung an den vorübergehenden Mehrbedarf angepasst. "In der Schwangerschaft wird ja auch zur Zufuhr von Jodid geraten, das wägen wir genau ab. Meist raten wir aber zum Wohl des Kindes zu, trotz des Risikos einer Entzündung", weist Scher auf die Schwierigkeit mancher Therapie hin.

"Falls sich eine Patientin mit unerfülltem Kinderwunsch an uns wendet, können wir ebenfalls reagieren. Wir stellen den TSH-Wert dazu etwas niedriger als üblich ein: auf 0,5 bis 1. Damit kann in vielen Fällen dieser Wunsch etwas leichter erfüllt werden", erklärt Scher.

Gibt es alternative Behandlungsansätze für die Krankheit? "Als Mediziner, und aus persönlicher Sicht, denke ich, dass die Schulmedizin hier so gute Medikamente hat, die den Kern des Problems komplett lösen, dass alternative Therapieansätze sich erübrigen. Es gibt natürliche Stoffe, beispielsweise Extrakte aus Schweineschilddrüsen, die manche Patienten statt den synthetisch hergestellten Präparaten einnehmen möchten. Hier sehe ich die genaue Dosierung jedoch kritisch", schildert Scher. Generelle Therapien, die das Wohlbefinden steigern - Entspannungstechniken oder Ähnliches - könne man unabhängig von einem Hashimoto dennoch individuell gegen Stress einsetzen.

Das Schilddrüsenzentrum Landshut vereint alle Fachdisziplinen zur Schilddrüsendiagnose und -behandlung. Durch die Zusammenarbeit der Fachabteilungen Nuklearmedizin, Chirurgie, Strahlentherapie und der Endokrinologie im Klinikum können Erkrankungen der Schilddrüse umfassend diagnostiziert und therapiert werden. Nuklearmedizinisch können gutartige und bösartige Erkrankungen der Schilddrüse mit Radiojodtherapie und/oder Bestrahlung versorgt werden. Über das angeschlossene Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) ist auch die ambulante Betreuung möglich.