AZ-Interview
Rennrad-Star Sagan: "Ich vermisse das Gewinnen"
16. Mai 2020, 14:04 Uhr aktualisiert am 16. Mai 2020, 14:04 Uhr
Exklusiv in der Abendzeitung spricht Sprint-König Peter Sagan über Radsport in der Corona-Krise, was er von einer Geister-Tour-de-France hält - und über seine verrückte Art.
Der 30-jährige Slowake Peter Sagan vom deutschen Rennstall Bora-hansgrohe ist einer der größten Radfahrer aller Zeiten. Drei Mal war er Straßenweltmeister, bei der Tour de France entschied er zwölf Etappen für sich, insgesamt sieben Mal sicherte er sich dort in der Gesamtwertung das Grüne Trikot des besten Sprinters.
AZ: Herr Sagan, in einem Ihrer letzten Facebook-Videos trugen Sie die Haare raspelkurz, dafür den Bart umso länger. Wie gehen Sie daheim in Monaco mit der Corona-Zwangspause um? Sie dürfen nicht mal raus auf die Straße mit dem Rad...
Peter Sagan: Das ist für uns alle eine schwierige Zeit. Jeder erkennt nun, dass Gesundheit das Allerwichtigste im Leben ist. Deswegen müssen wir jetzt alle zusammenhalten und die Maßnahmen und Entscheidungen respektieren, die das Land, in dem wir leben, getroffen hat. Für mich persönlich hat sich sehr viel geändert, aber es geht mir gut. Ich mache Core-Training und strample auf der Indoor-Rolle. Ich kann auch meinen Sohn besuchen (sein zweieinhalbjähriger Sohn Marlon lebt bei der Mutter, von der Sagan sich vor zwei Jahren getrennt hat, Anm. d. Redaktion). In der Tat verbringe ich nun viel mehr Zeit mit ihm, als ich das normalerweise tun könnte, was für uns beide sehr schön ist.
Tour de France: "Ohne Fans ist es merkwürdig, aber ich wäre dabei"
Ihren letzten Etappensieg feierten Sie im vergangenen Jahr bei der fünften Etappe der Tour de France - eine Ewigkeit scheint das schon her zu sein. Wie sehr fehlt Ihnen dieses spezielle Gefühl, als Erster über den Zielstrich zu rauschen?
Ich vermisse die Rennen. Deswegen bin ich Radfahrer geworden: um Rennen zu fahren. Und ich fahre, um zu gewinnen - das ist immer das Ziel. Also: Ja, ich vermisse das Gewinnen.
Der alljährliche Saisonhöhepunkt, die Tour de France, wurde verschoben. In der Diskussion ist auch eine Geister-Tour. Ohne Zuschauer fahren oder lieber gar nicht?
Eine Tour de France ohne Fans wäre merkwürdig. Unser Sport lebt von Emotionen, von den Fans. Aber die Tour ist auch das wichtigste Radrennen der Welt, was das Medieninteresse angeht, und deswegen unterstützen Sponsoren ihre Teams. Keine Frage: Wenn die Tour im August startet, werde ich dabei sein.
Beschreiben Sie doch bitte mal das Erlebnis Tour de France! Was macht die Tour für Sie so besonders?
Alles an ihr ist besonders, vor allem wegen des riesigen Interesses. Tausende Journalisten, Millionen Fans vor Ort, und fast eine Milliarde Menschen vor dem Fernseher. Vielleicht kann man es so sagen: Es ist ein verrückter, aber cooler Roadtrip mit Tausenden Freunden. Klingt bizarr, aber das ist die Tour.
Sagans Vorbild? "Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen"
Wie hat sich eigentlich in den vergangenen Jahren die Gewichtung der Tour-Etappen verändert? Wird es nicht immer schwerer für die Sprinter und einfacher für die Kletterer?
Die Strecke und die Profile ändern sich in jedem Jahr. Zu behaupten, dass es für Sprinter immer schwerer wird, wäre zu einfach - das sehe ich nicht so. Es gibt immer Chancen für uns, wir müssen uns halt gut vorbereiten und immer an das anpassen, was in jedem Jahr gefragt ist.
Sieben Mal im Grünen Trikot nach Paris: Das hat vor Ihnen noch keiner geschafft. Haben Sie eigentlich ein Sprinter-Vorbild? Oder generell ein Vorbild aus dem Radsport?
Nicht wirklich, ich bin einfach immer meinen eigenen Weg gegangen.
Einmal haben Sie während des Rennens einem Fan Ihre Biografie signiert - gab es danach Kommentare von den Kollegen?
Ein paar haben mich auch um ein Autogramm gebeten.
Als Sprinter: "Wenn du nur einen Moment zögerst, hast du verloren"
Was für einen Charakter braucht man, um Sprinter zu werden? Die Positionskämpfe sind ja teils extrem gefährlich.
Du musst wirklich absolut entschlossen sein. Sprints sind verrückt. Wenn du nur einen Moment zögerst, hast du schon verloren.
Dieses Gefühl für die richtige Taktik im Zielsprint: Ist das Instinkt oder kann man das trainieren?
Klar braucht man Talent, aber Erfahrung ist natürlich auch ein Faktor. Ich denke, talentierte Fahrer schaffen es, im richtigen Moment in der richtigen Position zu sein - aber dann brauchst du Erfahrung, um im richtigen Augenblick deinen Sprint anzuziehen. Ohne Talent macht es keinen Unterschied mehr, wann du lossprintest, weil du eh keine Chance hast.
Sie sind einer der wenigen Radsportler, die es schaffen, die Massen weltweit zu begeistern. Wie machen Sie das, gibt es dafür eine Erklärung?
Das müssen Sie die Leute fragen. Ich bin einfach Peter Sagan. Aber ich war immer schon Peter Sagan, und ich werde immer Peter Sagan sein. Das heißt: Ich bin, wer ich bin, ich verstecke nichts. Ich gehe nur meinen Weg.
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