Überblick
Jedes Spiel ist ein Thomas-Müller-Spiel?
7. Mai 2023, 16:22 Uhr
Bremen - Ein Thomas Müller ist immer bereit. Und so machte er sich wie auch Leroy Sané gerade an der Seitenlinie des Bremer Weserstadions fertig zur Einwechslung als Serge Gnabry den Führungstreffer der Bayern in der 62. Minute erzielte. Müller feierte das Tor als habe er es selbst erzielt. Typisch Müller, der Urbayer: Teamlust größer Ego-Frust.
Im neunten Spiel unter Trainer Thomas Tuchel sitzt der Mister FC Bayern zum vierten Mal bei Anpfiff auf der Bank. Er muss wie schon letzte Woche gegen Hertha BSC (2:0) auch beim 2:1 in Bremen mit der Jokerrolle für eine gute halbe Stunde vorliebnehmen. Der Erfolg beim Aufsteiger lässt den Vorsprung des Titelverteidigers an der Tabellenspitze vor dem Sonntagabendspiel von Borussia Dortmund gegen den VfL Wolfsburg (bei Redaktionsschluss nicht angepfiffen) auf vier Punkte anwachsen. Der Weg zur elften Meisterschaft hintereinander ist geebnet, drei Siege in den letzten drei Partien reichen. Für Routinier Müller wäre es der zwölfte Titel, schon die bisherigen elf machen ihn zum Schalen-Rekordhochhalter.
Doch den 33-Jährigen auf die Bank zu setzen ist bei Bayern ein Politikum - woran schon einige Trainer gescheitert sind, allen voran Niko Kovac (Juli 2018 bis November 2019), der Müller als Notnagel einstufte und sagte: "Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen." Tuchel moderiert den Verzicht auf Motivator Müller in der Startelf anders, cleverer - allerdings ebenfalls knallhart. "Es muss einfach harte Entscheidungen geben gegen drei, vier, fünf Spieler - sonst werden wir unsere Ziele nicht erreichen", sagte der 49-Jährige, "hauchdünne Entscheidungen wie bei Leroy - die wird es bei Bayern immer geben." Tuchel nominierte fürs offensive Zentrum Jamal Musiala und Serge Gnabry, der das Vertrauen mit seinem Dosenöffner-Tor zum 1:0 erneut zurückzahlte. Auf den Außenbahnen (rechts Kingsley Coman, später Torschütze Sané sowie links ein leicht formverbesserter Sadio Mané) sieht Tuchel Müller nicht: "Die breiten Seiten sind nicht sein Profil."
Der Weltmeister von 2014 (121 Länderspiele/44 Tore) saß in beiden Champions-League-Viertelfinalspielen gegen Manchester City zunächst draußen, vergangene Woche gegen Hertha sollen zudem Rückenprobleme einen Startelf-Einsatz verhindert haben.
Rein aufstellungstechnisch rüttelt Tuchel am Denkmal Müller, stützt ihn jedoch verbal bei jeder Gelegenheit. "Alle Spiele sind Thomas-Müller-Spiele, ist doch völlig klar", sagte der ehemalige Chelsea-Coach bei Sky: "Thomas kann immer starten, kann immer spielen für uns. Ich bin ein großer Fan von Thomas und er hat gut trainiert. Natürlich mag er das nicht. Ich weiß schon, was ich an ihm habe und es ist alles gut."
Doch das Moderieren von Spiel zu Spiel und Interview zu Interview nervt Tuchel. "Es ist nicht ein ganz so großes Thema, wie es gemacht wird", beschwerte er sich nach der Partie bei Sky. Es seien laut Tuchel "zwei Spiele, die er mal von der Bank kommt" und trotzdem bekomme er Nachfragen, ob er Müllers "Karriere-Ende einleite".
Sein Hinweis an die Reporter: "Das ist ein bisschen am Ziel vorbei. Ich verstehe es ja, aber das Maß ist ein bisschen verloren gegangen, gerade heute." Auf der Pressekonferenz meinte Tuchel: "Ich habe Verständnis für eine Frage, bisserl weniger für 100 Fragen am Spieltag."
Müllers Vertrag läuft bis Ende der kommenden Saison - die Müller-Frage wird zum Dauerthema, so oder so. "Thomas wird für den FC Bayern immer wichtig sein", sagte DFB-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bei Sky, "natürlich will er auf den Platz stehen und dann sucht man halt das Gespräch mit ihm, wie es in seiner Situation weitergeht."
Eine vorzeitige Trennung im Sommer ist jedoch ausgeschlossen. "Ich weiß, dass er eine besondere Rolle einnimmt und die kriegt er auch von mir. Ich hoffe, dass er das auch spürt", sagte Tuchel.
Wie alles im Leben wohl Ansichtssache.