Corona in der Nebenrolle

Geschlossene Gesellschaft im EM-Halbfinale


Nikola Karabatic (r.) aus Frankreich setzt sich gegen Jasper Adams (l.) aus den Niederlanden durch.

Nikola Karabatic (r.) aus Frankreich setzt sich gegen Jasper Adams (l.) aus den Niederlanden durch.

Von sid

"Farce", "Lotterie", "Wettbewerbsverzerrung": Was wurde im Laufe der Handball-EM gezetert und gewettert - doch sportlich ist am Ende alles wie immer. Europameister Spanien gegen Weltmeister Dänemark, Rekord-Champion Schweden gegen Olympiasieger Frankreich: Im Halbfinale sind die Favoriten am Freitag unter sich - Corona hin oder her.

"Ich kann mir schon vorstellen, dass wenn alle fit geblieben wären, ähnliche Halbfinal-Teilnehmer dabei gewesen wären", sagte Johannes Golla. Den Beweis für die These des DHB-Kapitäns liefert ein Blick zurück. Bei der Weltmeisterschaft in Ägypten, vor genau einem Jahr, waren die Begegnungen der Vorschlussrunde exakt dieselben.

Kaum Coronafälle bei den Halbfinalisten

Zu Gute kommt den Teams auch die Tatsache, dass sie bislang nur wenige Coronafälle zu beklagen hatten. Und so äußerte der mit seiner Mannschaft sehr viel stärker von Infektionen betroffene Bundestrainer Alfred Gislason vor allem einen Wunsch: "Ich hoffe, dass das Endspiel mit kompletten Mannschaften machbar ist." Das lästige Virus, so sieht es momentan aus, wird am Final-Wochenende wohl mal nur die Nebenrolle spielen.

Sportlich sieht Golla einen klaren Favoriten. "Ich kann eigentlich nur die Dänen nennen, weil sie bis jetzt einfach am konstantesten spielen", sagte er. Bei den Dänen um den früheren Bundesliga-Trainer Nikolaj Jacobsen, die zuletzt zweimal Weltmeister waren, auf einen EM-Titel aber schon seit zehn Jahren warten, lobte Golla den "unglaublich tiefen Kader". Aber so ein Final Four, betonte er auch, "birgt immer Überraschungen".

Spanien gilt als Außenseiter

Zur EM-Überraschung will auch in diesem Jahr wieder Spanien werden. Es klingt verrückt, aber trotz ihrer EM-Triumphe von 2018 und 2020 gelten die Iberer vor dem Duell gegen Dänemark am Freitag (18.00 Uhr/Eurosport) wieder nur als Außenseiter. Das Titel-Triple traut ihnen kaum jemand zu. "Vor jedem Turnier sagen alle, die Zeit der Spanier ist vorbei", sagte Kapitän Gedeon Guardiola vom TBV Lemgo dem Mannheimer Morgen: "Wir beweisen seit einiger Zeit das Gegenteil."

Die Spanier sind tatsächlich ein Phänomen. Mit ihrer schnörkellosen Spielweise ohne echten Shooter aus dem Rückraum überrumpeln sie ihre Gegner reihenweise, zu Gute kommt ihnen dabei eine Mischung aus Cleverness, überaus effizienter Abwehrarbeit und einem famosen Teamgeist. "Wenn wir vor einem Turnier zusammenkommen, hat das immer etwas von einem Familientreffen. Wir genießen die gemeinsame Zeit", sagte Guardiola.

Dänemark ist der Favorit

Die jüngere Geschichte spricht allerdings für die Dänen: Sowohl bei der WM in Ägypten als auch vor einem halben Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio besiegte die Mannschaft um Superstar Mikkel Hansen die Spanier jeweils im Halbfinale. "Unser Minimalziel haben wir mit dem Halbfinale erreicht", sagte Jacobsen am Donnerstag, "aber jetzt wollen wir den ganzen Weg gehen."

Ihren Weg bis zum Endspiel am Sonntag (18.00 Uhr/Eurosport) gehen, wollen auch die Franzosen. Diesen unbändigen Willen stellten Nikola Karabatic und Co. am Donnerstagabend unter Beweis, als sie gegen die (bereits qualifizierten) Dänen einen Fünf-Tore-Rückstand wettmachten und sich so auf den letzten Drücker qualifizierten. Für das Halbfinalduell am Freitag (20.30 Uhr/Eurosport) gegen Vizeweltmeister Schweden, der seit 20 Jahren auf einen EM-Titel wartet, könnte ihr wegen einer Coronainfektion fehlende Trainer Guillaume Gille zurückkehren.