Alpin-Legende im Interview
Franz Klammer adelt Ski-König Hirscher in der AZ
6. September 2019, 13:36 Uhr aktualisiert am 6. September 2019, 13:36 Uhr
Österreichs Ausnahme-Skifahrer Marcel Hirscher beendet seine Karriere. Exklusiv in der Abendzeitung adelt ihn die Ski-Legende Franz Klammer: "Das war schon wirklich bewundernswert!"
München - Franz Klammer (65) holte bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck Gold in der Abfahrt und ist eine der Ski-Legenden Österreichs. Er gewann fünf Mal den Abfahrtsweltcup und drei Mal den Gesamtweltcup.
AZ: Herr Klammer, am Mittwoch hat mit Marcel Hirscher eine österreichische Ski-Legende Ihr Karriereende bekannt gegeben, was sagen Sie - eine andere österreichische Ski-Legende - dazu?
FRANZ KLAMMER: Der Marcel hat das mit der ihm eigenen Konsequenz durchgezogen. Halbe Sachen hat es bei ihm nie gegeben. Er hat sich sicher wieder akribisch auf die neue Saison vorbereitet, aber dann kam für ihn eben der Punkt, an dem er festgestellt hat: Hoppla, das läuft nicht so wie immer. Und da er nie hinterherfahren wollte, hat er dann das für ihn einzig Richtige gemacht und gesagt: "Das war's. Es war schön, aber das war's." Seine Konsequenz war immer bewundernswert, eben auch in dieser Entscheidung.
War es diese Konsequenz, die Ihn so erfolgreich gemacht hat - Doppel-Olympiasieger, sieben Mal Weltmeister, acht Mal den Gesamtweltcup gewonnen, 67 Einzelsiege?
Ganz sicher. Ja, er hatte Talent, keine Frage. Aber das hat bei ihm und seinen Erfolgen die geringste Rolle gespielt. Es war diese Akribie, diese Konsequenz, schon fast Besessenheit, die ihn ausgezeichnet hat. Ich denke nicht, dass es irgendeinen Athleten gab, der derart am Material getüftelt hat, der alle äußeren Umstände in die Vorbereitung einbezogen hat. Er hatte den Willen, dem Erfolg alles unterzuordnen. Das war schon wirklich bewundernswert.
Klammer: Hirscher und Stenmark stehen über allen
Wenn man sich die Geschichte des Skisports anschaut, wo würden Sie ihn einordnen?
Jede Ära hat ihre Helden und Ausnahmeathleten. Es gab Toni Sailer, Jean-Claude Killy, es gab Ingemar Stenmark und viele andere. Aber für mich stehen zwei Athleten über allen: Hirscher und eben Stenmark.
Der schwedische Slalom-König, der immer noch mit 86 Einzelsiegen den Rekord hält.
Ja, die beiden sind für mich die Größten von allen, wobei ich den Hirscher noch ein bisschen höher einstufen würde, für mich ist er der Größte.
Können Sie das erklären?
Stenmark hatte auch mal Durchhänger in der Karriere, das gab es beim Hirscher eigentlich nie. Er ist über acht Jahre auf einem beständig hohen Niveau gefahren. Diese Konstanz, die gab es sonst eigentlich nie, das ist fast das Erstaunlichste überhaupt an seiner Karriere. Aber das hat damit zu tun, dass er eben nicht nur ein begnadeter Skifahrer war und ist, sondern eben auch ein echter Rennfahrer. Einer, der das Duell liebt, der in diesen Momenten aufblüht, für den zweite Plätze Niederlagen sind.
Wie würden Sie Marcel Hirscher eigentlich als Mensch beschreiben?
Ehrlich gesagt, kann ich nicht viel dazu sagen. Bis auf ein paar "Hallos", "Grüß Gott's", "Wie geht's" und "Ich gratuliere" kennen wir uns eigentlich gar nicht. Wir waren noch nie zusammen Abendessen.
Jetzt hätte er ja Zeit - und Sie sowieso.
Stimmt, vielleicht schaffen wir es jetzt mal. Ich würde mich freuen.
Klammer: Nichts ersetzt das Gefühl eines Rennens
Jetzt beginnt für ihn der Schritt aus dem Rampenlicht ins Privatleben, wie schwer ist es, damit umzugehen, dass sich nicht mehr die Welt um einen dreht?Ich glaube, das ist das Einfachste. Was wirklich schwierig ist, ist, dass man eben keine Rennen mehr fährt. Wenn man den Rennfahrer im Blut hat, dann gibt es nichts, was dieses Gefühl, diesen Adrenalinkick, diesen Push ersetzen kann. Wirklich nichts. Das Leben hat viele schöne und tolle Dinge für einen parat, aber diesen Rausch des Rennens, der ist mit nichts zu ersetzen. Er wird erleben, dass einem das wirklich und tief abgeht. Aber man darf da nicht zurückschauen, als ich 1985 meine Karriere beendet habe, habe ich nicht eine Sekunde zurückgeschaut und den Schritt bereut. Wenn man die Entscheidung trifft, beginnt ein neuer Lebensabschnitt, den muss man annehmen. Ja, die Zeit als Rennfahrer war die schönste in meinem Leben, aber auch die anderen Abschnitte haben ihre wunderbaren Seiten. Das Einzige, was man vielleicht bereut, ist, dass man das Ganze in dem Moment nicht so genossen hat, wie man es eigentlich müsste. Aber ich kann versichern, dass wir zu unserer aktiven Zeit sehr viel Spaß gehabt haben.
Bei Hirscher und seiner Verbissenheit hatte man schon manchmal das Gefühl, dass der Spaßfaktor sicher nicht im Vordergrund steht.
Das konnte man von außen so empfinden, ich hoffe, dass es nicht so war.
Für den Skisport ist die neue Saison eine große Zäsur. Mit Hirscher, Felix Neureuther, Aksel Lund Svindal und Lindsey Vonn sind Athleten zurückgetreten, die den Sport über Jahre geprägt haben.
Keine Frage, da werden einem einige ans Herz gewachsene Gesichter fehlen. Sportler wie die, die gibt es nur alle zehn, fünfzehn Jahre - wenn überhaupt. Aber ich bin mir trotzdem sicher, wir werden auch in der Saison tolle, spannende Rennen erleben. Ja, viele Aushängeschilder sind weg, aber das ist jetzt die Chance für die anderen. Denn der Schatten dieser Aushängeschilder ist manchmal so groß, dass man die, die sich in deren Schatten bewegen, kaum sieht. Jetzt ist halt der Beginn einer neuen Ära. Das gab es schon immer. Als Karl Schranz abgetreten ist, hieß es: Wer soll diese Lücke füllen? Dann kamen ich und andere und ein Jahr später war die Lücke ziemlich gefüllt. Genauso war es, als ich die Karriere beendet habe. Es dauert nicht ewig, bis neue Stars geboren werden. Der Sport braucht seine Helden, aber er ist viel größer als der einzelne Star und lebt immer weiter.