Leichtathletik-Experte im AZ-Interview
Frank Busemann: "Kotze immer noch, wenn es um Doping geht"
27. September 2019, 6:56 Uhr aktualisiert am 27. September 2019, 6:56 Uhr
Am Freitag beginnt die Leichtathletik-WM in Doha. Im AZ-Interview spricht Frank Busemann über die Lücke nach Usain Bolt, die Chancen der deutschen Athleten und über Doping: "Ich kotze immer noch."
Frank Busemann holte bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta sensationell Silber im Zehnkampf, bei der WM 1997 gewann er Bronze. Er ist jetzt als Experte bei der ARD tätig.
AZ: Herr Busemann, die neue Zeitrechnung in der Leichtathletik hat begonnen. Die WM in Katar ist das erste Großereignis seit dem Rücktritt von Sprint-Ikone Usain Bolt. Was sagt Deutschlands einstiges Zehnkampf-Ass: Sind Bolts Fußstapfen zu füllen?
FRANK BUSEMANN: Nein. Wenn man sich allein seine Leistungen - acht Olympiasiege, elf EM-Titel, dazu die Weltrekorde über 100 und 200 Meter anschaut, dann ist Bolt einer der drei Größten, den die Leichtathletik je hervorgebracht hat. Da können vielleicht Jesse Owens, Carl Lewis und Sergej Bubka mithalten, aber Bolt war halt das Gesamtpaket. Er brachte nicht nur unmenschliche Leistungen, sondern hatte noch dieses Show-Element, den Entertainment-Faktor. Er war ohne Frage der König der Leichtathleten, und dieser Titel ist jetzt vakant. Die Krönung kann in Katar erfolgen, aber das heißt noch nicht, dass wirklich jemand seine Fußstapfen füllen kann.
Fehlt der Leichtathletik-WM die Star-Power?
Er ist ja nicht der einzige prominente Abgang: Langstrecken-Ikone Mo Farah, Deutschlands Diskus-Riese Robert Harting - da geht schon gesammelte Star-Power ab.
Keine Frage. Ein Harting ist das deutsche Gesicht der Leichtathletik gewesen, aber mit Weltruf. Einer, der unbequem war, der sich viele Feinde gemacht hat. Ich bin gespannt, ob es jemand schafft, aus dem übergroßen Schatten all dieser Athleten hervorzutreten, oder ob das jetzt eben alles Sportler sind, die sich im Schatten sehr wohlgefühlt haben. Es wird tolle Wettkämpfe geben: Der Franzose Kevin Mayer kann im Zehnkampf wieder die 9000 Punkte knacken, über die 400 Meter Hürden werden Karsten Warholm und Rai Benjamin wahrscheinlich ein Feuerwerk abfackeln. Aber das kann Otto Normalverbraucher nicht so nachvollziehen wie beim 100-Meter-Lauf. Da geht es um den schnellsten Mann der Welt. Sportler, die in der 30er-Zone geblitzt würden, da weiß jeder: Okay, der läuft doppelt so schnell wie ich. Was es aber bedeutet, nach 360 Metern Sprint nochmal über eine Hürde zu springen, da hat der normale Zuschauer keine Erfahrungswerte.
Man will als Zuschauer auch nicht, dass wieder der mehrfach des Dopings überführte Justin Gatlin triumphiert, wie vor zwei Jahren in London.
Das war ein Schockzustand im Stadion, eine gespenstische Ruhe. Aber ich fand es wirklich gut, denn so eine Reaktion ist die einzige Möglichkeit, die der Zuschauer hat, um sein Missfallen zu äußern. Ich finde nicht, dass man den Athleten auspfeifen sollte, aber man kann ihm die Anerkennung, die Ehrerbietung verweigern, indem man einfach still ist.
Wie sehen Sie die Chancen der deutschen Leichtathleten?
Bei der ersten Nominierungsrunde war ich erstaunt, wie wenige Sportler benannt wurden. Da dachte ich, die können im Kleintransporter die Reise antreten. Aber dann wurden noch einige nachnominiert, das ist auch richtig. Wenn unsere Speerwerfer Johannes Vetter und Thomas Röhler keine Medaille holen, ist was ganz krass falsch gelaufen. Weitspringerin Malaika Mihambo ist unglaublich. Wenn alles normal läuft, holt sie den Titel. Aber mit dem Druck muss man erst mal zurechtkommen, dass es eigentlich für sie nur um Gold geht. Da sind wir anders gepolt als die Amis. Die kommen und verkünden 'Ich bin die Beste der Welt'. Wir neigen eher dazu, uns kleiner zu machen, als man ist. Ich drücke ihr die Daumen, dass alles für sie gut läuft.
Busemann war vom Staatsdoping nicht überrascht
Dann wären da die Langstreckenläuferinnen Konstanze Klosterhalfen und Gesa Felicitas Krause.
Die sind richtig stark. Aber man muss zugeben, dass die afrikanische Konkurrenz extrem ist. Da kann es passieren, dass die beiden deutschen Rekord laufen und trotzdem ohne Medaille nach Hause kommen. Aber ich denke, dass sie trotzdem gefeiert würden. Wenn sie einen raushauen, dann hauen sie einen raus. Wenn andere - aus welchem Grund und mit welchen Mitteln auch immer - besser sind, dann ist es eben so.
Womit wir beim Thema Doping wären. Hätten Sie gedacht, dass Staatsdoping noch derart verbreitet ist, wie bei den Russen bei den Olympischen Spielen 2014?
Ja. Das sind ja oft Länder, die sich im Glanz der Medaillen sonnen wollen, und das macht ja nur Sinn, wenn man es im großen Stil macht. Wenn man einen dopt und der eine Medaille holt, hat das ja nicht die große Strahlkraft und nicht diese Aura der eigenen Überlegenheit. Ich kotze immer noch, wenn es um Doping geht. Bei mir ist jedes Mal viel Freude, ja, Schadenfreude, dabei, wenn einer überführt wird, denn das ist nichts anderes als Beschiss. Aber ich bin weiter überzeugt, dass es Athleten gibt, die aberwitzige Leistungen bringen und völlig sauber sind. Irgendwie müssen wir die Mitte finden. Dass die, die nicht dopen, aber überragend sind, nicht unter Generalverdacht stehen, man aber gleichzeitig auch die, die wirklich dopen, mit aller Härte erwischt und überprüft. Wie man das schafft, weiß ich nicht.
Es gibt viel Kritik daran, dass die Leichtathletik-WM wie die Fußball-WM 2022 in Katar ausgetragen wird, das ja, was die Arbeitsbedingungen und Menschenrechte angeht, einen mehr als zweifelhaften Ruf genießt.
Absolut. Ich bin kein Freund davon, dass Großereignisse in autokratischen Ländern stattfinden. Mihambo hat dies sogar öffentlich kritisiert, und ich finde das gut. Aber das muss jeder selber wissen, ob er sich auf den Sport konzentrieren will oder auch noch den Job der Politik übernimmt. Die Hartings dieser Welt haben das getan. Die waren dafür auch so gestrickt, die haben das weggesteckt. Andere sind es nicht.
Hätten Sie zu Ihrer aktiven Zeit Ihre Meinung kundgetan?
Schwere Frage. Ich glaube, in der Rückschau darauf, wie ich vor 20 Jahren war, hätte ich eher nichts gesagt. Ich hätte mich nicht getraut. Das ist ja auch das, was ich vorher damit meinte: dass manche Leute eher für den Schatten geboren sind.