Ex-Handballer im AZ-Interview

Christian Schwarzer: DHB-Team mit Gefühl der Unbesiegbarkeit


"Man hat das Gefühl, die Zuschauer in der Halle und die Mannschaft machen da weiter, wo sie 2007 aufgehört haben", sagt Christian Schwarzer über die Stimmung bei der Heim-WM.

"Man hat das Gefühl, die Zuschauer in der Halle und die Mannschaft machen da weiter, wo sie 2007 aufgehört haben", sagt Christian Schwarzer über die Stimmung bei der Heim-WM.

Von Bernhard Lackner

Vor dem WM-Halbfinale spricht Ex-Nationalspieler Christian Schwarzer mit der AZ über die neue Handball-Euphorie und die Stärken Deutschlands. Er ist sich sicher: "Dieser Spirit, davor hat jede Nation Respekt."

München/Hamburg - Der ehemalige Handballprofi Christian Schwarzer, Spitzname "Blacky", spielte unter anderem für die Rhein-Neckar-Löwen und den FC Barcelona. Mit der Nationalmannschaft holte der mittlerweile 50-Jährige bei der Heim-WM 2007 den Titel - die AZ hat vor dem WM-Halbfinale mit ihm gesprochen.

AZ: Herr Schwarzer, volle Hallen, über 19.000 Zuschauer in Köln, Handball-Euphorie im ganzen Land, da werden Sie sich wahrscheinlich in der Zeit zurückversetzt fühlen, oder?
Christian Schwarzer: Auf jeden Fall, man hat das Gefühl, die Leute auf den Rängen machen da weiter, wo Sie 2007 aufgehört haben. Genauso die Mannschaft auf dem Spielfeld. Es macht alles einfach unglaublich Spaß gerade.

Sie waren 2007 dabei, als die deutsche Handball-Nationalmannschaft das Wintermärchen schrieb. Sehen wir jetzt das Wintermärchen 2019?
Ich hoffe es. Bis jetzt sind die Jungs sehr gut unterwegs. Aber jetzt kommen erst wichtigen Spiele, in denen es wirklich um was geht. Um die schönen Edelmetall-Dinger, die sich jeder Sportler gern um den Hals hängt. Jetzt gilt es, gegen die besten drei Mannschaften der Welt zu bestehen und dem neuen Märchen ein Happy End zu verpassen.

Christian Schwarzer: Diese Spieler müssen den Weg vorgeben

Bis jetzt liest sich die Geschichte ganz gut. Das ganze Land staunt über den Spirit dieser deutschen Mannschaft. Sehen Sie Parallelen zu 2007?
Es ist doch immer so, dass deutsche Mannschaften genau dann so gefährlich sind, wenn sie mit diesem Spirit Handball spielen, Einsatz und Leidenschaft zeigen. Davor hat jede Nation auf der Welt den größten Respekt. Dieser Spirit, dieser Teamgeist ist enorm wichtig und Grundlage für jeden Erfolg. Im Moment funktioniert das sehr gut. Wenn die Mannschaft so spielt und diese Attribute wie Kampf und Leidenschaft zeigt, dann entwickelt sie auch ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Ich glaube, bei den Jungs ist das im Moment genauso der Fall, wie es bei uns damals war. Auch wir haben dieses Gefühl gespürt.

Ihre Mannschaft war gespickt mit Kerlen: Sie, Mimi Kraus, Pascal Hens. Gibt es die auch im aktuellen Team?
Ein Andi Wolf macht das schon sehr gut, auch Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler - was die in der Abwehr leisten, ist schon sensationell. Dazu ein Uwe Gensheimer, der Kapitän, der in Paris spielt. Patrick Groetzki ist ein erfahrener Mann. Das sind die Jungs, die den Weg vorgeben müssen.

Und wie sieht es an der Linie aus, gibt es Gemeinsamkeiten zwischen ihrem damaligen Trainer Heiner Brand und dem jetzigen, Christian Prokop?
Die beiden sind komplett unterschiedlich. Heiner war ein ganz erfahrener Trainer mit vielen Turnieren auf dem Buckel und einem erfahrenen Team. Prokop ist ein junger Trainer mit einem jungen Team. Was er aber ganz gut macht: Er nimmt mittlerweile die Mannschaft mit, fragt sie nach ihrer Meinung. Das war in seinen Anfangszeiten nicht der Fall. Da wollte er alles vorgeben, ohne sich eine Meinung einzuholen. Das ist der Grund, warum es mittlerweile viel besser läuft. Ich glaube, er hat sich ja auch vor dem Turnier mit Heiner Brand ausgetauscht.


Eine sehr gute und gefährliche Mannschaft, die einen ähnlichen Spielstil pflegt wie wir. Dazu kommt, dass Sie mit Sander Sagosen einen überragenden Einzelspieler haben. Aber unsere Stärke ist die mannschaftliche Geschlossenheit, die wird uns auch zum Sieg gegen Norwegen verhelfen.

Handball-WM 2019: Schwarzer tippt auf Endspiel gegen Frankreich

Vielleicht sogar zum Titel?
Es ist alles drin. Ich habe vor dem Turnier gesagt, das Finale bestreiten Deutschland und Dänemark. Wir schaffen es. Aber mittlerweile glaube ich, dass das Endspiel gegen Frankreich stattfindet - hoffentlich mit einem Happy End uns.

Das Halbfinale findet in Hamburg statt, da fehlen im Vergleich zu Köln 6.000 Zuschauer.
Wir haben früher aber auch gern in kleineren und engeren Hallen gespielt. Da war der Druck auf den Gegner fast noch größer. Ich denke, die Hamburger werden sich da nix zu Schulden kommen lassen.

Die Atmosphäre in den Hallen wird ja allseits gelobt. Wie wirkt sich das auf die Spieler aus?
Das ist einfach Genuss und Freude pur. Und natürlich mehr Druck für den Gegner. So ein Spiel wie gegen Kroatien, wenn du einen Drei-Tore-Vorsprung verspielst, das verlierst du normalerweise auswärts, weil du eben nicht die Energie von außen bekommst. Aber in Köln hat das Publikum die Mannschaft zum Sieg getragen.

Was wird übrig bleiben von dieser allgemeinen Handball-Euphorie?
Ich denke, die Euphorie war nie weg, sondern schon lange da. Sie konnte leider nur nicht so richtig ausbrechen, weil Handball eben nicht immer in der ARD oder im ZDF stattfindet, nur im Internet-Livestream oder im Bezahlfernsehen. Jetzt erreichst du ganz Deutschland - und das schürt diese Euphorie. Wichtig ist es jetzt, die Kinder abzuholen, mehr in den Nachwuchs zu investieren, die Vereine zu stärken, damit etwas erhalten bleibt. Am Fernsehvertrag wird man leider nichts machen können, da wird zur Primetime bald wieder auf Fußball umgeschwenkt werden. (Lesen Sie dazu auch: Trotz WM-Euphorie - Handball und Fußball trennen Welten)

Schwarzer freut sich über Anerkennung aus dem Fußball

Freut es Sie als Ex-Spieler und Jugendtrainer umso mehr, dass sich Fußballtrainer wie Niko Kovac und Julian Nagelsmann jetzt so positiv über Handball äußern?
Fußballer sind eben auch sportbegeistert und die sehen ja auch, was derzeit abgeht. Dass da ehrlicher Männersport geboten wird und sich keiner zehnmal auf dem Boden wälzt. Aber natürlich ist es schön, wenn sich renommierte Fußballer dazu positiv äußern, das kann unserer Sportart nur helfen.

Stichwort "Männersport": Wie schmerzhaft ist Handball denn wirklich?
Es ist einfach ein Vollkontaktsport, aber dafür hast du kein Spiel, das nach 90 Minuten 0:0 ausgeht. Bei uns passiert was, da hast du Dynamik, Kampf und Einsatz. Das begeistert die Leute doch derzeit. Und Schmerzen gehören manchmal einfach dazu, das ist nichts Dramatisches. Wenn man voller Adrenalin ist, dann sind die Schmerzen sowieso bald vergessen. Und noch schöner ist es natürlich, wenn ich gewinne. Dann überdeckt der Erfolg die Schmerzen. Darum ist es immer besser zu gewinnen, dann hält man alles aus.

Dann spielt die bisher ungeschlagene deutsche Mannschaft derzeit quasi schmerzfrei.
Genauso sieht es aus. (lacht)

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