SSV Jahn Regensburg
Christian Keller im Interview: "Die Menschen sollen stolz auf den Jahn sein"
15. Juni 2017, 14:00 Uhr aktualisiert am 15. Juni 2017, 14:00 Uhr
Christian Keller hat derzeit viel zu tun. Neben der Kaderplanung und der Vorbereitung für die 2. Bundesliga ist für den Geschäftsführer des SSV Jahn Regensburg am vergangenen Donnerstag eine weitere Aufgabe überraschend hinzugekommen. Nach dam Abschied von Heiko Herrlich zu Bundesligist Bayer 04 Leverkusen braucht der Aufsteiger einen neuen Trainer. Im ausführlichen idowa-Interview spricht Keller über den Trainerwechsel, das Profil des neuen Coaches, die Kaderplanung und die Zukunft des SSV Jahn.
Herr Keller, für alle überraschend hat sich am vergangenen Donnerstag Trainer Heiko Herrlich von Jahn Regensburg verabschiedet. Wie beurteilen Sie diesen Wechsel?
Christian Keller: Für mich persönlich kam es unerwartet und überraschend. Rein sportlich kann ich den Schritt nachvollziehen, es ist eine große Chance für Heiko Herrlich, bei einem so ambitionierten Club tätig sein zu dürfen. Uns tut es natürlich weh, weil wir unseren zweimaligen Aufstiegstrainer verlieren. Nichtsdestotrotz muss es weitergehen und es wird gut weitergehen. Ich betrachte die aktuelle Situation auch als Chance, getreu dem Motto: Jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne.
Waren Sie auch persönlich enttäuscht, dass Heiko Herrlich trotz aller Treueschwüre den Verein verlassen hat?
Keller: Nein, das nicht. Ich gönne ihm diese Chance und bin dankbar für das, was er für Jahn Regensburg geleistet hat.
Beide Seiten haben immer deutlich nach außen kommuniziert, gemeinsam in die Zukunft gehen zu wollen. Warum war eine Woche nach Saisonschluss der Vertrag für die 2. Bundesliga dennoch noch nicht verlängert?
Keller: Den Vertrag hatten wir noch zu Regionalliga-Zeiten gemacht und der hätte sich in der 3. Liga automatisch verlängert. Dass die Option für die 2. Liga noch nicht drin war, kann man im Nachhinein vielleicht als nicht zu Ende gedacht betrachten. Wir wussten, dass die Option nicht im Vertrag ist und haben deshalb frühzeitig vereinbart, dass wir uns nach der Saison zusammensetzen, wenn uns der Aufstieg tatsächlich gelingen sollte. Das haben wir mit ein paar Tagen Abstand auch gemacht. Heiko ist in den Urlaub gefahren und ich habe mich mit seinem Berater Michael Meier in Dortmund getroffen. Am Dienstag haben wir einen neuen Vertrag ausgehandelt. Aber dann hat bekanntlich am späten Mittwochnachmittag Rudi Völler Heiko im Urlaub in Österreich besucht. Am Donnerstag war Heiko in Leverkusen und dann haben die Dinge ihren Lauf genommen.
Haben Sie selbst in dieser Angelegenheit Lehrgeld bezahlt?
Keller: Wenn Sie so wollen, dann habe ich schon etwas gelernt und bin an Lebenserfahrung reicher geworden. Grundsätzlich versuchen wir schon, in Verträge alle Eventualitäten einzubauen. Die 2. Bundesliga war zum Vertragsabschluss sehr, sehr weit weg, aber sie war möglich. Wir haben das damals fast Unmögliche jetzt geschafft. Vor diesem Hintergrund wäre es clever gewesen, das damals schon zu berücksichtigen.
Wie beurteilen Sie unter dem Strich die Arbeit von Heiko Herrlich in den vergangenen eineinhalb Jahren?
Keller: In diesem Fall sprechen die Ergebnisse für sich. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man im Profifußball zwischen Leistung und Ergebnis unterscheiden muss. Unter Heiko Herrlich hat glücklicherweise beides gestimmt.
Christian Keller über die Auswirkungen des Trainerwechsels und das Anforderungsprofil des neuen Trainers
Im Umfeld ist eine große Enttäuschung zu spüren. Liegt das auch daran, dass sich Heiko Herrlich selbst eine enorme Fallhöhe aufgebaut hat, von der er jetzt im Sturzflug runtergesaust ist?
Keller: Das kann ich so bejahen.
Haben Sie das Gefühl, dass mit diesem Trainerwechsel die Aufstiegseuphorie dahin ist?
Keller: Ich denke, dass bei den Fans einfach eine große Enttäuschung da ist. Auch vor dem Hintergrund von Heikos Treuebekenntnis. Die Euphorie sollte aber nicht weg sein. Denn eines muss jedem klar sein: Es wird zwar ein anderer Trainer an der Seitenlinie stehen, aber wir spielen nächste Saison trotzdem 2. Bundesliga. Da muss sich einfach jeder darauf freuen und ich persönlich freue mich sehr darauf.
Oberste Priorität genießt aktuell sicher die Trainersuche. Wie sieht das Anforderungsprofil aus?
Keller: Es gibt drei Säulen. Der Trainer muss zu unserer Spielphilosophie passen. Er muss als Persönlichkeit zu uns passen, das heißt er muss eine integere und eine stabile Persönlichkeit sein. Als drittes muss er auch ein Entwickler sein, er muss Spieler nach vorne bringen können.
Was haben Sie aus Ihren bisherigen drei Trainerverpflichtungen Alexander Schmidt, Christian Brand und Heiko Herrlich gelernt?
Keller: Man lernt natürlich immer etwas. Man kann den Trainer so gut auswählen wie man möchte. Aber wie der Trainer dann speziell hier im Verein bei den Bedingungen vor Ort tickt, das weiß man erst nach ein paar Wochen. Ein Trainer muss in ganz viele Richtungen in einem Verein wirken. Er ist nicht nur für die Mannschaft verantwortlich, er muss ebenso mit den Medien, den Fans, den Sponsoren und den internen Gremien interagieren. Das ist ein sehr komplexes Konstrukt. Bei der Auswahl muss man ein Gespür bekommen, ob der Trainer für alle Ebenen passt und darf dabei keine vernachlässigen.
Gibt es für eine Situation wie die aktuelle eine Art Trainer-Scouting im Verein?
Keller: Wir sind da nicht so systematisch unterwegs wie im Spielerbereich, das muss ich einräumen. Wenn man aber Spieler oder Mannschaften beobachtet, dann beobachtet man den jeweiligen Trainer ja auch automatisch mit. Dann sieht man, ob da ein Guter an der Seitenlinie steht oder jemand, der zumindest nicht nach Regensburg passen würde. Unsere Scouts haben den Auftrag, bei Spielbeobachtungen auch auf den Trainer zu achten, genauso mache es auch ich. Deshalb haben wir schon ein paar Ideen.
Christian Keller über die Kaderplanung des SSV Jahn
Neben der Trainerposition wird sich auch in der Mannschaft ein bisschen etwas verändern. Bis auf Kolja Pusch und wahrscheinlich Erik Thommy konnte jedoch die Stammmannschaft gehalten werden. Wie wichtig ist das?
Keller: Es war von Anfang an mein Ziel, auf wichtigen Positionen Kontinuität reinzukriegen. Da zählen auch Schlüsselpositionen in der Mannschaft dazu. Uns war wichtig, dass wir wesentliche Spieler aus dieser Spielzeit mitnehmen. Wir trauen es den Spielern auch einfach zu, dass sie noch einen Entwicklungsschritt machen. Das ist die Basis, damit wir nächstes Jahr erfolgreich sein können. Wir werden auch da über das Team und über ein geschlossenes Kollektiv kommen müssen, in dem einer für den anderen da ist. Das ist bei einer gewachsenen Mannschaftsstruktur sicher eher gegeben wie wenn wir jetzt Tabula rasa machen und 15 neue Spieler holen. Ganz unabhängig davon haben es sich die Jungs, die uns von der Regionalliga in die 2. Bundesliga hochgeschossen haben, einfach auch verdient. Das heißt aber nicht, dass sich gar nichts verändert, denn jede Gruppe braucht auch immer wieder frisches Blut.
Wie ist der aktuelle Stand bei Erik Thommy, gibt es noch eine Chance, ihn zu halten?
Keller: Mein aktueller Stand ist, dass der FC Augsburg Erik in der Sommervorbereitung auf jeden Fall dabei haben möchte, weil sie seine Entwicklung sehr positiv sehen. Das ist zwar schade für uns, aber für Erik freut es mich. Er hat sich bei uns so professionell und vorbildlich eingebracht und hat den Jahn während des Jahres im Herzen getragen. Wenn er die Chance kriegt, sich in Augsburg durchzusetzen, dann ist das eine Riesensache und ich drücke ihm die Daumen. Sollte er es nicht schaffen, dann weiß er, dass er nur kurz anrufen braucht und der Jahn wird Gewehr bei Fuß stehen.
Eine lange ungeklärte Personalie macht die Kaderplanung wahrscheinlich nicht einfach.
Keller: Das ist richtig. Die minimale Restchance ist noch da, Erik zu halten. Aber darauf können wir uns nicht verlassen und müssen versuchen, adäquaten Ersatz zu suchen. Wenn das funktioniert und am Ende Erik doch wieder bei uns landen würde, dann hätten wir zwei richtig gute Spieler. Das wäre auch nicht so schlecht.
Die ersten drei Neuzugänge stehen mit Sargis Adamyan, Sebastian Stolze und Jonas Nietfeld bereits fest. Was sind die Gedanken bei diesen Personalien?
Keller: Ich traue allen drei Spielern zu, dass sie sich in der 2. Liga gut durchsetzen können. Wie lange jeder braucht, um diesen Schritt zu gehen, das ist nicht exakt zu prognostizieren. Das kann ruckzuck gehen, kann bei dem einen oder anderen aber auch etwas länger dauern. Wir hatten sie als Verstärkungen für die 3. Liga verpflichtet mit der Perspektive, dass sie auch gute Zweitligaspieler sein können.
Vergangene Saison wurden mit Erik Thommy und Marco Grüttner zwei Neuzugänge zu Schlüsselspielern. Hoffen Sie auf Ähnliches in diesem Jahr?
Keller: Zunächst muss ich sagen, dass wir ja nicht nur Thommy und Grüttner verpflichtet haben. Benedikt Saller war nach einiger Anlaufzeit, die er aufgrund fehlender Spielpraxis benötigt hat, eine brutale Verstärkung. Auch Bastian Lerch ist ein richtig Guter und mit seiner Persönlichkeit unglaublich wichtig für das Teamgefüge. Zu Thommy und Grüttner: Als wir die beiden geholt haben, hat auch keiner gesagt: Wow, was holt der Jahn jetzt für überdurchschnittliche Drittliga-Spieler. Grüttner war gerade mit dem VfB Stuttgart II abgestiegen und Thommy hatte eine Rückrunde im Augsburger Regionalliga-Team hinter sich. Warum sollen wir jetzt den neuen Spielern nicht das Vertrauen schenken, dass auch bei ihnen so eine Leistungsentwicklung möglich ist?
Dennoch werden noch weitere Spieler dazukommen. Nach welcher Art von Spielern suchen Sie?
Keller: Wir müssen schon noch den einen oder anderen gestandenen Spieler verpflichten. Denn wenn man sich unseren aktuellen Kader anschaut, dann ist das eine Mannschaft, die Zukunft hat, die aber vielleicht für die 2. Liga noch etwas grün hinter den Ohren ist. Da würde es schon gut tun, wenn noch ein oder zwei Spieler dazu kommen, die diese Liga schon kennen. Die Alternative dazu ist, dass wir noch ein oder zwei Toptalente dazukriegen. Vielleicht auch von einem Bundesligisten, der einem Spieler analog zu Erik Thommy bei uns Spielpraxis geben will.
Auf welchen Positionen suchen Sie speziell?
Keller: Wir müssen uns in der Innenverteidigung noch breiter aufstellen, auch weil wir da mit Thomas Paulus und Robin Urban zwei Abgänge haben. Auch auf der Sechser-Position wollen wir noch einen Spieler dazu nehmen, der uns etwas mehr Größe gibt, um noch ein bisschen mehr Variabilität herzustellen. Dann haben wir leider Kolja Pusch verloren, sodass wir auf der Spielmacher-Position nach Verstärkung suchen. Auch auf dem Flügel werden wir uns noch weiter verstärken. Es werden schon noch vier bis fünf neue Spieler kommen.
Welche Spieler werden, neben Kolja Pusch und voraussichtlich Erik Thommy, den Verein verlassen?
Keller: Thomas Paulus hat seine Karriere beendet. Robin Urban, Daniel Schöpf, André Luge und Michael Faber werden uns verlassen. Bei Haris Hyseni, Uwe Hesse und Ali Odabas ist die Zukunft noch nicht endgültig geklärt.
Christian Keller über die Chancen der 2. Bundesliga für Jahn Regensburg
Sprechen wir über das Allgemeine: Was bedeutet die 2. Bundesliga für Jahn Regensburg?
Keller: Das ist für den Verein natürlich überragend. Regensburg ist ein Zweitliga-Standort mit der Wirtschaftsstärke, mit der tollen Region im Hintergrund, mit den tollen Fans und dem tollen Stadion. Jetzt müssen wir alles bündeln, um in dieser Liga zu bleiben. Der Klassenerhalt wäre der größte Erfolg, den der Jahn in der jüngeren Vergangenheit erzielt hat. Den gilt es jetzt mit aller Macht anzustreben. Für die Clubentwicklung bietet uns die zweite Liga die Chance, dass wir die Sanierung, die wir die vergangenen Jahre vorangetrieben haben, abschließen und den Jahn in jeglicher Hinsicht frei von Altlasten machen. Gleichzeitig sollte es uns die Chance geben, dass wir zielgerichtet Werte schaffen über das sportliche Tagesgeschäft hinaus. Das heißt ganz konkret, dass wir uns infrastrukturell weiterentwickeln und das Trainingsgelände weiter nach vorne bringen. Der dritte Punkt ist: Wenn möglich, wollen wir noch ein bisschen Speck ansetzen, um für Krisenzeiten, die im Fußball unweigerlich immer wieder kommen werden, wirtschaftlich gewappnet zu sein.
Wohin fließen die Mehreinnahmen durch TV-Gelder oder höhere Sponsoring-Einnahmen?
Keller: Diese werden zu weiten Teilen in die Mannschaft fließen. Die Jungs, die mit uns aufgestiegen sind, haben in der 2. Bundesliga einen besseren Vertrag und das ist auch völlig in Ordnung. Neue Spieler wollen natürlich auch auf Zweitliga-Niveau vergütet werden. Deshalb werden wir schon einen wesentlichen Teil der Mehrerlöse in eine gute Mannschaft reinvestieren. Aber alles in die Mannschaft zu stecken, das erachte ich als kurzsichtig und falsch. Es ist wichtig, den Blick auch nach vorne zu werfen und den Jahn zukunftsfähig zu machen.
Blicken wir kurz zwei Jahre zurück. Beim Abstieg in die Regionalliga herrschte im Umfeld des Jahn "Weltuntergangsstimmung". Nun ist die 2. Liga Realität. Was macht das mit Ihnen, empfinden Sie Genugtuung?
Keller: Nein, Genugtuung ist es überhaupt nicht. Ich habe in der Abstiegssaison bereitwillig auch personelle Fehler eingeräumt. Gleichermaßen haben wir die wesentlichen Eckpfeiler, damit sich der Jahn so positiv entwickeln konnte, in den ersten beiden Jahren meiner Tätigkeit eingerammt. In den letzten beiden Jahren ist nun vieles von dem sichtbar geworden. Man kann nicht von heute auf morgen die Chance des neuen Stadions nutzen oder in die 2. Liga aufsteigen, wenn es nicht vorausschauend vorbereitet ist. Wir lagen vergangene Saison zwar mit unserem Etat im hinteren Mittelfeld der 3. Liga, es war aber der höchste, den der Jahn in dieser Liga jemals auf die Beine gestellt hat. Von daher ist es für mich eher eine Bestätigung, dass der schon vor dem Abstieg eingeschlagene Weg der richtige war. Das konnten wir nur schaffen, weil wir viele gute Mitarbeiter im Verein haben. Alle wissen aber auch, dass mit Lob auch immer eine Forderung und Verantwortung verbunden ist. Denn jetzt ist nicht die Zeit, um die Füße hochzulegen und sich zu freuen. Sondern jetzt müssen wir alles vorbereiten, um die Chance 2. Liga zu nutzen.
Wann ist die kommende Saison für Sie eine erfolgreiche?
Keller: Wenn wir die Klasse halten, Werte schaffen und ein bisschen Speck ansetzen. Über allem steht aber: Wir wollen die gesellschaftliche Verankerung des Jahn in der gesamten Region Ostbayern weiter vorantreiben. Wir wollen, dass die Menschen sich für den Jahn begeistern können und stolz auf den Club sind.