Mentaltrainer im AZ-Interview
Steffen Kirchner: "Hansi Flick hat beim FC Bayern für einen Energieschub gesorgt"
29. November 2019, 8:18 Uhr aktualisiert am 29. November 2019, 8:18 Uhr
Mentaltrainer Steffen Kirchner, der unter anderem den Fußballprofi Niclas Füllkrug betreut, erklärt in der AZ das Erfolgsgeheimnis des neuen Bayern-Trainers und die Probleme von Vorgänger Niko Kovac.
München - Steffen Kirchner ist Mentaltrainer, Autor und Vortragsreferent. Der 38-Jährige betreut zahlreiche Sportler wie etwa den Fußballprofi Niclas Füllkrug von Werder Bremen. Im AZ-Interview erklärt er, warum es beim FC Bayern seit dem Trainerwechsel wieder besser läuft.
AZ: Herr Kirchner, man hat den Eindruck, der FC Bayern spielt seit dem Trainerwechsel von Niko Kovac zu Hansi Flick wie befreit auf. Wie ist das zu erklären?
Steffen Kirchner: Bei den Spielern hat ein Prozess der Eigenverantwortung eingesetzt. Sie haben nun keine Ausreden mehr, müssen wieder performen, sich neu beweisen. Es gibt aber noch eine andere Weisheit, die gerade bei Bayern zutrifft: Die Grenze im Kopf des Trainers ist auch die Grenze im Kopf des Spielers.
Und das bedeutet?
Man hat bereits in der vergangenen Saison gemerkt, wie sehr die ständige Kritik und Unruhe an Kovac gezehrt hat. Darunter hat sein Energiekonto gelitten. Es war insgesamt wenig Freude bei ihm und bei Bayern zu spüren. Dann kann man auch keine Spielfreude auf dem Platz erwarten.
"Die Spieler haben sich zu wenig zugetraut, das ist unter Flick anders"
Hansi Flick wirkt im Gegensatz zu Kovac wesentlich positiver.
Das stimmt, Flick ist unbelastet. Sein Energiekonto ist deutlich voller als bei Kovac, der an drei Fronten gekämpft hat: gegen die sportlichen Gegner, gegen Teile der Mannschaft und Teile der Klubführung. Das geht auf Kosten der Energie. Flick hat nun für einen positiven Energiefluss gesorgt. Er ist zwar noch nie dadurch aufgefallen, ein Sonnyboy wie Jürgen Klopp zu sein. Aber Flick ist ein netter, seriöser Mann, dem man glaubt, was er sagt.
Die Spieler schwärmen von seiner Empathie, von der Nähe, die er zur Mannschaft aufbaut. Ist das Flicks Geheimnis?
Eindeutig. Erst recht in einer Phase, in der die Mannschaft ein Selbstvertrauensproblem hatte. Die Bayern-Spieler haben sich viel zu wenig zugetraut, das ist nun anders. Als Beispiel ist Thomas Müller zu nennen, der wieder wesentlich selbstbewusster auftritt. Durch die Vermittlung von Vertrauen hat Flick bei seinen Spielern für einen Energieschub gesorgt. Jetzt befindet sich Bayern in einer Aufwärtsspirale, vieles passt zusammen.
Hat Kovac zu wenig Nähe zu seinen Spielern zugelassen?
Ich denke, dass Kovac schon auch ein Mensch ist, der die Nähe zu seinen Mitmenschen sucht. Aber vielleicht hatte er das Gefühl, dass ihm selbst nicht vertraut wird. Das kann dazu führen, dass man sich zurückzieht.
Wie Heynckes: Trainer müssen Beziehungsmanager sein
Muss ein erfolgreicher Trainer im heutigen Fußballgeschäft vor allem ein guter Pädagoge sein?
Dies ist tatsächlich die wichtigste Anforderung. Trainer sind in erster Linie Gefühlsmanager, Beziehungsmanager. Früher war das anders, da wurde mehr nach militärischem Vorbild geführt. Aber das ist bei der heutigen Spielergeneration nicht möglich. Die Beziehungsebene muss einfach passen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass alle Probleme in einem Klub auf Beziehungsproblemen beruhen. An der Qualität der Spieler oder der handelnden Personen liegt es nicht. In Gladbach oder Freiburg etwa wird sehr gut miteinander gearbeitet. Die mögen sich einfach.
Bei den Bayern-Spielern fällt inzwischen schon der Name Jupp Heynckes, wenn man Flicks Arbeitsweise vergleichend einordnet. Zu Recht?
Das kann ich verstehen. Heynckes, die Vaterfigur, ist im Laufe seiner Karriere zu einem wahnsinnig guten Beziehungsmanager geworden. Ich sage bewusst: geworden. Er konnte natürlich auch ein knallharter Knochen sein, das kann auch ein Klopp oder ein Flick. Klare Spielregeln und Grenzen sind nötig, das ist wie bei der Erziehung von Kindern. Trotzdem muss man als guter Trainer immer nah an seinen Spielern bleiben. Das konnte Heynckes - und das kann Flick.
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