EM-Finale

Showdown in Berlin: Englands Erlösung oder Spaniens Rekord?


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Englands Harry Kane (r) jubelt mit Jude Bellingham über sein Elfmetertor zum 1:1-Ausgleich im Halbfinale gegen die Niederlande.

Von dpa

21.169 Tage des quälenden Wartens sollen genug sein. Auf der Jagd nach der ersten großen Trophäe seit 1966 wollen Englands Kicker um den titellosen Harry Kane die bisher makellosen Spanier stoppen und Berlin zum heiligen britischen Fußball-Sehnsuchtsort machen wie einst vor 58 Jahren Wembley. "Nur noch ein Schritt, dann sind wir im Geschichtsbuch", sagte Bayern-Star Kane vor dem mit großer Spannung erwarteten EM-Finale am Sonntag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV).

Dieser letzte Schritt wird auf der Insel gerade zu einem Ereignis von nationaler Tragweite. Nicht die Sorge vor Spaniens fulminantem Flügelduo Lamine Yamal und Nico Williams oder die Angst vor einem weiteren bitteren Scheitern prägen das Bild in der Öffentlichkeit, sondern der Traum von der sportlichen Erlösung. Während die Furia Roja nach Xavi und Andrés Iniesta schon vor einer weiteren Ära mit einer goldenen Generation träumt, wäre England bereits froh, ein einziges Mal am Ende eines solchen Turniers jubeln zu dürfen.

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Spaniens Lamine Yamal hat sich bei der EM in den Fokus der Öffentlichkeit gespielt.

König Charles III. sorgt sich nach drei dramatischen K.-o.-Spielen um den Blutdruck der Nation. Premierminister Keir Starmer lässt das Volk im Falle eines EM-Titels von einem neuen nationalen Feiertag träumen. Und der todkranke Ex-Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson richtet fast flehentlich die Worte "Tu es für mich, Bobby Robson und England" an Gareth Southgate.

Der Cheftrainer, der vor zweieinhalb Wochen noch mit Bierbechern beworfen und leidenschaftlich ausgepfiffen wurde, ist auf dem Weg zum Fußballhelden und steht im Olympiastadion vor der ultimativen Krönung. So schnell kann es gehen.

Doch der Endgegner nach holprigen Wochen könnte für England größer nicht sein. Denn Spanien ist bislang zweifellos das Team dieser EM, warf in packenden Spielen nacheinander Gastgeber Deutschland und Topfavorit Frankreich aus dem Turnier. Geht es nach Trainer Luis de la Fuente, kommt sein Team an diesem letzten EM-Wochenende gar nicht mehr aus dem Feiern heraus.

Auf den 22. Geburtstag von Ballakrobat Williams am Freitag folgt am Samstag eine kleine Sause für Supertalent Yamal, der unbedingt in Deutschland 17 werden wollte. Am Sonntag könnte Spanien dann mit dem vierten EM-Titel nach 1964, 2008 und 2012 zum alleinigen Rekordhalter vor Deutschland werden. "Ich kann mich sehr glücklich schätzen, 26 Fußball-Genies leiten zu können", schwärmte de la Fuente.

"Ich bin sehr stolz, dass uns die ganze Nation in Spanien feiert. Wir schaffen dieses Gefühl der Hoffnung. Die Menschen träumen und freuen sich", sagte der 63-Jährige über die Profis. Das gilt vor allem für Teenager Yamal, der altersmäßig auch der Enkel seines Trainers sein könnte. Der gewaltige Hype nach seinem historischen Traumtor im Halbfinale nahm noch einmal zu. Rauf und runter läuft ein Foto von Yamal, wie er als Baby von Superstar Lionel Messi gebadet wird.

Wird Yamal mit Spanien am Sonntag Europameister, wäre er genau halb so alt wie Fußball-Legende Messi bei seinem ersten großen Titel mit Argentinien. Anders als andere Jugendliche in diesem Alter wünscht sich der Superkicker vom FC Barcelona zu seinem Ehrentag keinen Führerschein, keine teuren Klamotten und keine Spielkonsole. Auf die Frage nach Geschenken sagte er: "Nichts, nur gewinnen, gewinnen, gewinnen."

Die neue Furia Roja mit Offensivschwung, viel Abgezocktheit und Rodri als Chef im Mittelfeld beeindruckt auch Southgate. "Wir spielen gegen das beste Team des Turniers und wir haben einen Tag weniger zur Vorbereitung. Aber wir sind immer noch hier und wir kämpfen", sagte der 53-Jährige, der aus den eigenen Fehlern von der EM 2021 lernen und die Schmach aus dem Finale gegen Italien endgültig tilgen will.

"Uns steht der größtmögliche Test überhaupt bevor", sagte Southgate, dem der Verband laut "Telegraph" eine Verlängerung der Zusammenarbeit bis 2026 anbieten möchte. Unabhängig vom Finalausgang.

Zwar haben sich die Three Lions bei der EM sportlich Stück für Stück gesteigert. Grundsätzliche Zweifel an dem Team, das sich dreimal nach Rückstand in die nächste Runde gerettet hat, bleiben aber. Starstürmer Kane wirkt nicht zu 100 Prozent fit und wurde zuletzt dreimal vorzeitig ausgewechselt. Die entscheidenden Tore erzielten andere wie Joker Ollie Watkins, der im Halbfinale für Kane gekommen war.

Der designierte Chef Bellingham wirkt vollkommen überspielt. Die EM ist trotz eines Geniestreichs im Achtelfinale nicht sein Turnier bisher. "Wir sind müde, aber das ist ein allerletzter Schub für unser Land und unsere Historie", sagte Bellingham, der nach dem Champions-League-Triumph mit Real Madrid erneut auf einen Silberpokal hofft. Und das mit 21 Jahren.

Zehntausende englische Fans werden nach Berlin ziehen und den seit der EM 1996 bekannten Kult-Gassenhauer "Three Lions" trällern. Die nationale Ikone Gary Lineker will von der legendären Liedzeile "Football's coming home" ("Fußball kommt nach Hause") zunächst nichts mehr hören. "Ich verbanne diese Aussage. Sie hat so lange Pech gebracht", sagte Lineker der BBC.

Geht es diesmal gut, könnte der 14. Juli in England das werden, was er in Frankreich längst ist - ein nationaler Feiertag. Die Jahre der Schmerzen, wie es in dem Song heißt, wären vorbei.

Auf das Finale bereiten sich die beiden Teams ohne großen Trubel vor. Southgate ließ England die vorletzte Einheit vor dem Endspiel am Freitag hinter geschlossenen Türen absolvieren. Der Schachzug, sich fernab der eigenen Spielorte in der Idylle einzuquartieren und möglichst viel Ruhe zu genießen, scheint bei beiden Mannschaften aufgegangen zu sein.

Am Samstag geht es für die Spanier von Donaueschingen nahe des Bodensees und für die Engländer von Blankenhain in Thüringen in die Hauptstadt. Bevor sie ihr Quartier nach fünf Wochen ein letztes Mal verlassen, genossen Kane und Bellingham im heißen Pool noch einmal die Zeit im Wellness-Bereich ihres Luxushotels. Von Berlin soll es direkt zurück auf die Insel gehen - am besten mit dem ersten Triumph nach 58 Jahren Tristesse.


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