AZ-Interview

Marcel Reif: "Der FC Bayern hat jetzt das Momentum"


Marcel Reif im AZ-Interview über den Titelkampf, Kovac und Kahn.

Marcel Reif im AZ-Interview über den Titelkampf, Kovac und Kahn.

Von AZ Redaktion

Fußball-Experte Marcel Reif analysiert im Interview den Bayern-Triumph über den BVB - und sagt: "Der große Sieger des Spiels ist Niko Kovac." Er glaubt an einen Abschied von James und Boateng.

München - Der 69 Jahre alte Kommentator ist am Sonntag (ab 11 Uhr) wieder als SPORT1-Experte beim Check24-Doppelpass zu Gast.

AZ: Herr Reif, wo erreichen wir Sie gerade?
MARCEL REIF: Am Flughafen in London. Ich werde hier morgen (für den Schweizer Pay-TV-Sender Teleclub; d. Red.) das Spiel Tottenham gegen Manchester City kommentieren.

Mit Bayern und Dortmund müssen Sie sich im Viertelfinale der Champions League ja nicht mehr beschäftigen.
Dass die Bayern gegen Liverpool vor einer schweren Aufgabe standen, war klar. Aber sie haben nicht das gebracht, was sie bringen können. Und am Samstag beim Topspiel in der Bundesliga hatte ich das Gefühl, dass die Dortmunder den gleichen Fehler gemacht haben wie Bayern gegen Liverpool. Sie haben nicht ihr Spiel gespielt und sich nicht getraut. Dann wirst du halt kalt erwischt - aber richtig. "Dortmund hat unterstrichen, dass sie noch lernen müssen"

Waren Sie überrascht, wie deutlich die Bayern den BVB bei dem 5:0 dominiert haben?
Dass sie das noch können, war keine Überraschung, auch wenn für einige der älteren Herren der Bayern die Deutsche Meisterschaft die letzte Ausfahrt ist. Überrascht war ich, wie sehr Dortmund es selbst verloren hat. Der mutlose Auftritt hat sich schon in der Aufstellung angekündigt.

"Dortmund hat unterstrichen, dass sie noch lernen müssen"

Weil Götze auf der Bank saß?
Das - und vor allem, weil Marco Reus nicht auf der Position gespielt hat, wo er am stärksten ist. Als Mittelstürmer hatte er lächerlich wenige Ballkontakte. Sie haben sich ihren besten Mann selbst genommen. Dazu kamen dann Fehler, die nicht passieren dürfen. Dortmund hat Lehrgeld bezahlt und in diesem Spiel dick und fett unterstrichen, dass sie noch jung sind und lernen müssen. Dahoud, Piszczek: Lucien Favre hatte Ideen - und die sind alle schiefgegangen.

Niko Kovacs Einfälle gingen dagegen auf. Er brachte unter anderem Javi Martínez und Thomas Müller.
Auf Martínez als Stabilisator zu setzen, war schon gegen Liverpool eine seiner besten Entscheidungen. Martínez hat auch gegen Dortmund gezeigt, wie wichtig er für diese Mannschaft ist. Und Thomas Müller findet langsam wieder in seine Form. Joachim Löws Entscheidung, auf ewig auf ihn zu verzichten, werde ich nicht begreifen. In dieser Form ist er auf dem Weg, der Müller zu werden, den wir seit vielen Jahren kennen.

Steuert Bayern jetzt auf die nächste Meisterschaft zu?
Es war ein richtungsweisendes Spiel, nicht mehr. Bayern hat einen Punkt Vorsprung und das bessere Torverhältnis. Aber wenn sie mal wieder einen Gegner für unter ihrer Würde halten, reden wir bald wieder miteinander. Die Bayern haben jetzt aber das Momentum und die Dortmunder müssen erstmal die Scherben zusammenkehren.

"Nicht Meister zu werde, wäre schon bedenklich"

Wie sehen Sie die Situation von Niko Kovac? Er hat das auch für ihn persönlich sehr wichtige BVB-Spiel gewonnen. Dennoch gibt es weiter Zweifel an ihm.
Ein Endspiel hatte er vielleicht in der Gruppenphase der Champions League gegen Lissabon. Wenn Bayern das zu Hause verloren hätte und er beratungsresistent geblieben wäre, wäre es eng geworden. Aber in vielen Dingen - wir haben gerade über Martínez geredet - hat er sich bewegt. Jetzt hat er sein erstes großes Spiel gewonnen.

Es geht um die Grundsatzfrage, ob man Kovac zutraut, diesen massiven Umbruch und Neuaufbau dieser Mannschaft zu gestalten. Er ist ein noch junger und auf diesem Niveau unerfahrener Trainer. Diese Frechheit, die sich James erlaubt hat, als er ihm zugerufen hat: "München ist nicht Frankfurt!", ist inhaltlich ja nicht falsch. Hier muss man liefern. Wenn Bayern nicht mindestens die Meisterschaft gewinnt, werden sie das nicht einfach akzeptieren. Aber im Moment hat er einiges richtig gemacht und gepunktet. Der große Sieger des Spiels vom Samstag ist nicht zuletzt: Niko Kovac. Auch wenn Karl-Heinz Rummenigge am nächsten Morgen schon wieder gesagt hat, dass es keine Jobgarantie für niemanden gibt. "Nicht Meister zu werden, wäre für Bayern schon bedenklich"

Uli Hoeneß sagte am Montag: "Zweiter zu werden, wäre noch kein Desaster."
Das ist das alte "Good Cop, Bad Cop"-Spiel, damit man alle Positionen abgedeckt hat. Die Frage stellt sich im Moment nicht. Nicht Meister zu werden, wäre schon bedenklich. Es geht aber vor allem darum: Kann Kovac Bayern? Und zwar auch das neue Bayern, das es geben muss?

Mit Benjamin Pavard und Lucas Hernández wurden zwei Weltmeister ab Sommer verpflichtet, Hernández für 80 Millionen Euro.
Das wurde jetzt mal Zeit. Solche Transfers sind leider heute der einzig mögliche Ansatz, wenn man in Europa oben mitspielen möchte und ein Aspirant auf den Champions-League-Titel sein will. Hoeneß war ja der große Verteidiger der alten Linie und sagte mal: "Diesen Wahnsinn machen wir nicht mit." Heute sagt er: "Selbstverständlich machen wir's." Und die Preise werden noch höher gehen. Pavard und Hernandez halte ich für sehr gute Transfers, weil sie außen und innen verteidigen können. Aber das ist noch nicht alles. Da wird es noch zwei, drei Neue brauchen.

"Kahn ist die logische Lösung"

Was bedeuten diese Transfers für Jérôme Boateng und Mats Hummels?
Hummels war am Samstag mit der beste Mann auf dem Platz. Erstens, weil er es Löw zeigen wollte, zweitens sich selber und drittens dem Rest der Welt. Wenn so ein alter Mann spielt… Das war schon beeindruckend. Das Thema Boateng wird die Bayern dagegen in den nächsten Wochen beschäftigen. Er wollte schon im Sommer nach Paris. Im Moment ist er nur noch Innenverteidiger Nummer drei bei Bayern. Und diese Geschichte mit seiner Party zeigt auch, dass Boateng im Moment ein bisschen außerhalb der Bayern ist. Ich glaube nicht, dass das noch eine große Zukunft hat mit ihm und den Bayern.

Rummenigge kündigte bereits Abgänge an. Wen meint er damit noch?
Die anstehenden Abschiede von Robben, Ribéry und Rafinha sind ja bekannt. Und ich glaube nicht, dass James für Bayern unverzichtbar geworden ist, wenn er in so einem Spiel wie gegen Dortmund nicht spielt. Er fühlt sich nicht so wohl und 40 Millionen kann man auch anders ausgeben. Renato Sanches wird auf Sicht kein Thema mehr sein. Das sind Dinge, die man lösen muss.

Oliver Kahn kommt 2020 als Neuzugang auf der Ebene der Verantwortlichen. Ist er der Richtige, um in die Fußstapfen von Rummenigge zu treten?
Das sind große Fußstapfen. Aber wer sonst als jemand wie Oliver Kahn soll die ausfüllen? Er hat sich - auch, was wirtschaftliche Dinge angeht - weitergebildet und soll in Ruhe eingearbeitet werden. Es ist ja eine erfolgreiche Tradition bei Bayern, dass sie jemanden aus ihren Reihen an die Spitze stellen. Das können nicht viele Klubs von sich sagen. Kahn ist die logische Lösung.

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