Stützpunktkoordinator im Interview
Johannes Ederer: "Deutschland fehlt ein Casemiro"
28. Juni 2018, 15:26 Uhr aktualisiert am 28. Juni 2018, 15:26 Uhr
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist enttäuschend schon in der Vorrunde aus der Weltmeisterschaft ausgeschieden. Im idowa-Interview ordnet Johannes Ederer, Stützpunktkoordinator Ostbayern, das Abschneiden ein und blickt auch auf die Entwicklungen im Jugendfußball.
Herr Ederer, die deutsche Mannschaft ist bereits nach der Vorrunde aus der Weltmeisterschaft ausgeschieden. Wie bewerten Sie das?
Johannes Ederer: Das ist natürlich extrem enttäuschend. Grundsätzlich ist in Deutschland ein extremes Schwarz-weiß-Denken vorhanden, gerade nach dem ersten Spiel wurde vieles zu negativ gesehen. Aber spätestens jetzt lassen sich gewisse Punkte auch nicht mehr wegreden. In Puncto Mentalität konnten wir nicht die typischen deutschen Tugenden wie Disziplin, Ordnung sowie Demut und Bodenständigkeit zeigen. Auch wenn der Auftritt gegen Schweden zwischenzeitlich besser war, hat man dennoch in aller Deutlichkeit gesehen, dass auch in sportlicher Sicht Probleme da sind, die es zu beheben gilt.
Woran denken Sie dabei?
Ederer: Man sieht, dass wir auf bestimmten Positionen nicht mehr absolute Weltklasse haben. Das ist vor allem auf den Außenverteidigerpositionen zu sehen, aber auch im zentralen Mittelfeld fehlt etwas in den Punkten Mentalität und Aggressivität. 2014 hatte man da zum Beispiel einen Bastian Schweinsteiger. Aktuell ist das beste Beispiel bei Brasilien Casemiro, der ja auch bei Real Madrid "unserem" Toni Kroos den Rücken freihält. So ein Spielertyp fehlt meiner Meinung nach aktuell im deutschen Spiel.
Sie sind im Nachwuchsbereich tätig. Wie sieht hier die Entwicklung in letzter Zeit aus? Gab es einen Fortschritt, einen Stillstand oder sogar einen Rückschritt?
Ederer: Von einem Rückschritt zu sprechen, wäre zu negativ. Letztlich muss man aber ganz klar festhalten: andere Nationen haben uns im Nachwuchsbereich überholt, wenn man sich die Leistungsdichte in Ländern wie Spanien oder Frankreich anschaut oder betrachtet, wie England bei den großen Nachwuchsturnieren abgeschlossen hat. Da hinken wir momentan schon ein Stück weit hinterher.
Woran machen Sie das fest?
Ederer: Ich war zuletzt eine Woche in der Sportschule Bad Blankenburg bei der deutschen Meisterschaft im Jahrgang 2004 und dann beim Länderpokal im Jahrgang 2003 in Duisburg. Auch da sind einige Sachen entscheidend aufgefallen. Es hat viel Kreativität und Individualität gefehlt. Es gab sehr wenig absolut herausstechende Talente. Viele Spieler sind angepasst und gleich. Auch auf diesem Niveau gibt es erhebliche technische und taktische Mängel.
Mehmet Scholl hat einmal kritisiert, dass oben eine "weichgespülte Masse" ankommen würde und die Spieler "18 Systeme rückwärts laufen und furzen" könnten…
Ederer: Das ist sicherlich überspitzt ausgedrückt, aber dennoch in der Sache treffend. Jede Mannschaft kann sehr gut verschiedene Systeme spielen und beherrscht das Spiel gegen den Ball. Gegen Mannschaften, die spielerische Lösungen finden, wird es aber auf Dauer schwer, mit destruktivem Fußball und lediglich gegen den Ball orientierten Mannschaftstaktitken dagegen zu halten.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Ederer: Mir steht es nicht zu, über die Arbeit in den Nachwuchsleistungszentren zu urteilen. Da habe ich zu wenig Einsicht. Letztlich ist es unsere Aufgabe im Stützpunktsystem, die Spieler in der Förderebene unter den Profivereinen so auszubilden, dass sie auf der nächsthöheren Ebene weiterhin interessant sind. Ich nehme aber auch den Verband nicht aus. Ich glaube, dass insgesamt viele Punkte Hand in Hand gehen, die dazu geführt haben, dass wir nicht mehr an absoluter Top-Spitze sind.
Talentsichtungstag am 15. Juli
Am 15. Juli findet an den 15 Stützpunkten in
Ostbayern ein Talentsichtungstag statt. Hier
werden die Talente des Jahrgangs 2007 gesucht.
Interessierte Kinder können Online noch bis zum
30. Juni angemeldet werden. Für Kurzentschlossene
ist aber auch eine Anmeldung am Sichtungstag
vor Ort noch möglich.
Worauf legen Sie bei der Stützpunktarbeit den Fokus?
Ederer: Grundsätzlich kann man überlegen, ob in der Trainerausbildung das eine oder andere Thema intensiviert oder verändert werden sollte. Auch im Vereinsfußball muss man überlegen, ob alles richtig läuft. Grundsätzlich finde ich, dass wir in Deutschland eine Mentalitätsänderung brauchen. Dahingehend, dass wir wieder Fußball spielen und nicht nur gut gegen den Ball arbeiten wollen. Wir müssen uns wieder Themen annehmen wie Technikvermittlung, Kreativität oder kognitiven und koordinativen Fähigkeiten.
Wie lässt sich das umsetzen?
Ederer: Am Stützpunkt sind wir genau diese Themen bereits angegangen. Seit gut einem Jahr haben wir verschiedenste Themen stärker akzentuiert. Das betrifft vor allem das Individualtraining. Hier ist das Motto: die Stärken stärken und die Schwächen schwächen. Hier wird mit den Spielern an unterschiedlichsten Themen gearbeitet. Das kann im Bereich Technik sein, kann bei der Koordination sein, bei der Verletzungs-Prophylaxe oder der Rehabilitation. Neu ist auch im Stützpunktprogramm, dass ein höherer Spielanteil da ist. Es wird auf Intensität und eine hohe Wiederholungszahl geachtet.
Muss sich auch abseits des Fußballs etwas ändern?
Ederer: Im Fußball jammern wir auf hohem Niveau. Es geht natürlich auch um die Sportlichkeit im Allgemeinen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, wenn immer wieder Sportunterricht ausfällt. Die Schullandschaft mit dem zunehmenden Ganztagesbetrieb hat sich verändert und damit auch die Bewegungslandschaften für die Kinder. Sie haben nicht mehr so viel Freizeit. Umso wichtiger wird es, dass gezielt Sport getrieben wird. Aber auch der spielerische Trieb ist für die Entwicklung der Kinder ganz wichtig. Kinder sollen auch einfach mal Kinder sein dürfen. Es ist auch mal gut für Kinder, selbst etwas zu organisieren. Da kann sich der Trainer auch einmal etwas zurücknehmen.