Lehrstunde in Sachen Cleverness
Gegen Holland: DFB-Elf verspielt 2:0-Führung
19. November 2018, 22:59 Uhr aktualisiert am 19. November 2018, 22:59 Uhr
Lange dominiert Deutschland in der Nations League klar, führt gegen die Niederlande verdient mit 2:0, doch dann bricht das Team ein, am Ende steht es 2:2. "Das ist wirklich sehr bitter", sagt Toni Kroos
Gelsenkirchen - Sechs Niederlagen im Kalenderjahr, ein Negativrekord, das dramatisch-blamable WM-Aus in der Vorrunde, nun der Abstieg aus der Nations League - 2018 geht als Horror-Jahr in die Annalen der Geschichte der Nationalmannschaft ein. Für Joachim Löw war es schmerzhaft, man habe "eine richtige Ohrfeige kassiert", sagte der Bundestrainer.
Da wollte man zum Jahresabschluss nicht noch die andere Wange hinhalten. Nach dem 0:3 im Oktober in Amsterdam musste man gegen das Umbruch-Team der Stunde, gegen die Bezwinger von Weltmeister Frankreich (2:0), Schlimmes befürchten.
Kroos: "Wir hatten große Chancen das dritte Tor zu machen"
Doch die Umbruch-Spätzünder um Löw - es ist ja doch nie zu spät - glänzten in der Schalker Arena, zumindest über weite Strecken. Bei geschlossener Halle verspielte man dann allerdings vor 42 186 Fans (rund 10 000 Plätze blieben leer) gegen den Nachbarn im letzten Spiel der Nations League eine 2:0-Führung. Holland glich mit späten Toren (85./90.+1.) noch aus - wie bitter. Eine erneute Lehrstunde in Sachen Konsequenz und Cleverness. Beides fehlt noch. "Das ist bitter, wir hatten große Chancen, das dritte Tor zu machen", sagte Mittelfeld-Ass Toni Kross, "schade, dass jetzt dieses 2:2 nach dieser guten Leistung hängen bleibt."
Werner, Sané und Gnabry können überzeugen
Positiv: Die DFB-Treffer erzielten Timo Werner und Leroy Sané, also zwei Drittel des vielversprechenden Angriffstrios, zu dem auch Serge Gnabry gehört. Nur drei Treffer hatte die DFB-Elf in den letzten sechs Pflichtspielen (inklusive der WM) erzielt, diese traurige, historisch schlechte Bilanz wurde etwas aufgehübscht. Das 1:0 (9.) entsprang bei Toni Kroos, dem Rückgrat der jungen Wilden. Gnabry leitet seinen Pass mit einem Kontakt zu Werner weiter, der Leipziger zog mit rechts mutig und vehement ab. Beim 2:0 (20.) durch Sanés abgefälschtem Linksschuss nach Kroos langem Ball aus dem Mittelkreis an den Strafraum, sah Hollands Torwart Cillessen nicht gut aus.
Nach dem Vorrunden-Aus in Russland hatte Löw den Umbruch zu spät eingeläutet, am Gros seiner Weltmeister von 2014, festgehalten. Das 0:0 im September in München gegen Frankreich war ein passabler Wiederbeginn, aber kein Neuanfang. Dann setzte es in Amsterdam eine der heilsamsten Pleiten der DFB-Historie. Mit 0:3 wurden die Altstars, vor allem das Innenverteidiger-Duo Hummels und Boateng, gegen Ende von den furiosen Holländern hinweggefegt. Boateng spielte seitdem nicht mehr, erhielt für die November-Partien eine Pause. Hummels durfte gestern ran, ist aber nicht mehr so unumstritten wie Kapitän Manuel Neuer oder Spielmacher Toni Kroos. Und Thomas Müller?
Thomas Müllers Abschied auf Raten
Der ist nur noch Joker. Ein Abschied auf Raten. "Natürlich brauchen wir die Alten noch", sagte Thilo Kehrer (22), einer der Jungen, der "fresh faces" wie man in Kunst und Kultur sagen würde. Dann schob er pflichtschuldig, aber gewitzt nach: "Was heißt hier ,die Alten'? Also die erfahrenen Spieler - ohne die wären wir ziemlich aufgeschmissen." Neuer (83 Länderspiele), Hummels (70), Kroos (91), dazu der Chef der Jugend, Joshua Kimmich (37) - das sollte doch eine Achse der Hoffnungsträger für die nächsten Jahre sein, bei Hummels zumindest für die EM 2020. Nächstes Jahr finden zehn Quali-Spiele für das Turnier in 12 europäischen Städten statt, in München werden zwei Vorrundenspiele ausgetragen. Zeit also, dass sich was dreht, dass sich was bewegt.
Quincy Promes erzielte noch das 2:1 für Holland (85.), nur orangene Kosmetik? Nein, Virgil van Dijk traf zu Beginn der Nachspielzeit zum 2:2-Ausgleich. Das Jahr der Ohrfeigen endete also mit einer weiteren Watschn, dem späten Ausgleich. Unnötig - und passend zu diesem 2018. Aber es war zumindest Wiedergutmachung light. Immerhin.
ZUM FREUEN: Das magische Dreieck Werner, Sané, Gnabry
ZUM ÄRGERN: Die leeren Plätze in der Schalker Arena
MEIN HELD: Thomas Müller, Mister 100 Länderspiele
JA, MEI: 2019 kann nur besser werden als dieses Jahr