Exklusives AZ-Interview

Ex-Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld wird 70: "Man hat nur ein Leben"


Von Bernhard Lackner

Trainerlegende Ottmar Hitzfeld wird 70 Jahre alt. Hier spricht er über sein Jubiläum und erinnert sich an große sowie schwierige Zeiten. "Ich habe keine Freude mehr gespürt, wenn wir gewonnen haben", sagt der Ex-Trainer des FC Bayern.

Der Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld (1998 bis 2004 und 2007 bis 2008) feiert am Samstag seinen 70. Geburtstag. Er gewann mit den Münchnern (2001) und Borussia Dortmund (1997) die Champions League.

AZ: Herr Hitzfeld, am Samstag werden Sie 70 Jahre alt. Wie gehen Sie damit um?
OTTMAR HITZFELD: Ich freue mich darauf. Für mich ändert sich dadurch auch nichts. Ich lebe immer im Jetzt, genieße das Leben und den Ruhestand und habe kein Problem damit, älter zu werden.

Wie werden Sie feiern?
Wenn man 60, 70 Leute einlädt, dann kommen die Freunde zu kurz. Darum werde ich nur im engsten Familienkreis feiern.

Was genießen Sie an Ihrem Leben im Ruhestand?
Für mich bedeutet es Lebensqualität, wenn man keinen Stress, keinen Druck hat. Auch mal ausschlafen kann, nachts nicht aufwacht und über seine Mannschaft nachdenkt. Ich habe jetzt ein sehr angenehmes Leben. Ich habe den Schritt ja schon mit 65 nach der WM 2014 mit der Schweiz gemacht. Man hat nur ein Leben und will der Familie etwas zurückgeben.

Ottmar Hitzfeld hätte eigentlich Fritz heißen sollen

Haben Sie einen speziellen Wunsch zum 70.?
Ich bin wunschlos glücklich, dass ich eine große Familie habe, zwei Enkelkinder und das dritte kommt im Januar. Ich bin jetzt in meiner Heimat Lörrach bei meinen Geschwistern. Das Leben ist selbstbestimmt - ein Privileg.

Dass Sie mal Stürmer werden würden, war bei dem Vornamen ja vorgezeichnet, oder?
Mein Vater wollte mich eigentlich nach Fritz Walter benennen, aber meine Mutter hat gesagt: "Ne, uns kommt kein Fritz ins Haus." (lacht) Dann haben sie sich auf den Namen seines Bruders Ottmar geeinigt.

Waren die Walter-Brüder Vorbilder für Sie?
Ich habe eher Uwe Seeler bewundert, weil ich seine Generation richtig miterlebt habe. Ich durfte als junger Spieler mit 22 auch noch mit dem FC Basel gegen den Hamburger SV antreten, als er noch gespielt hat.

1972 nahmen Sie am olympischen Fußballturnier teil. Die Grundlage für Ihre Bindung zu München und dem FC Bayern?
Das kann man schon so sehen, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nie daran gedacht hätte, mal Trainer zu werden. Dass ich 1972 bei den Olympischen Spielen dabei sein durfte, das war für mich schon ein herausragendes Erlebnis. Dann noch im eigenen Land das Nationaltrikot zu tragen, das war ein besonderer Moment.

Ottmar Hitzfeld erklärt seine Mannschaftsführung

1976/77 erzielten Sie dann mal sechs Tore in einem Zweitligaspiel für den VfB Stuttgart.
Das war damals gegen Jahn Regensburg wie ein Sechser im Lotto, ich stand immer im richtigen Moment am richtigen Ort. Das war mir schon fast peinlich. Ein Riesenerlebnis, vor allem, weil auch mein Vater mit damals schon Mitte 70 im Stadion war.

Dass Sie Trainer wurden, war nicht ganz so vorgezeichnet.
Mein primäres Ziel war es, Lehrer zu werden und in Lörrach sesshaft zu sein. Ich wollte nicht von Ort zu Ort rumreisen. Ich habe mich für das Referendariat angemeldet und dann hat mir das Schulamt mitgeteilt, dass ich eine Nachprüfung machen müsste. Da war ich sauer und habe gesagt: "Dann probiere ich es halt als Trainer." Ich beschloss, mir fünf Jahre Zeit zu geben. Wenn ich da nicht gewissen Erfolg gehabt hätte, hätte ich die Nachprüfung gemacht.

Ihre ehemaligen Spieler loben Ihre gute Menschenführung. Kommt da der Pädagoge durch?
Ich wollte die Mannschaft so führen, wie ich selbst gerne geführt worden wäre. Als Profi war ich selbst ja manchmal Ersatzspieler und dann ziemlich traurig und enttäuscht. Da die richtigen Worte zu finden, war mir immer sehr wichtig. Die Ersatzspieler sind genauso wichtig wie die Stammspieler, mit ihnen muss man eigentlich sogar noch mehr sprechen.

Hitzfeld: "Ich würde mich nie als General sehen"

Hatten Sie Trainer-Vorbilder?
Ein wichtiger Trainer war für mich mein erster Trainer beim FC Basel, Helmut Benthaus. Er hat 17 Jahre bei Basel gearbeitet, ein guter Pädagoge und Psychologe, der sehr menschlich eingestellt war.

Wegen Ihrer sachlichen Art wurden Sie auch "General" genannt. Nach dem Champions-League-Sieg 1997 mit Borussia Dortmund posierten Sie mal mit Pickelhaube und Zigarre.
Die Musikgruppe, die da gespielt hat, hatte Spitzhauben auf. Die haben dann gefragt, ob ich als Gag mal eine aufziehen könnte. Das war nicht von mir geplant. Da konnte ich schlecht Nein sagen. Aber ich würde mich nie als General sehen.

Eher als Gentleman?
Wichtig ist für mich, dass die Spieler sagen: "Der Hitzfeld war korrekt, ehrlich, offen. Und hat uns nichts vorgemacht."

Nach Dortmund führten Sie 2001 auch den FC Bayern zum Champions-League-Triumph.
Das waren Höhepunkte in meinem Leben. Mit Bayern war die Erwartungshaltung eine andere. Mit Borussia Dortmund die Champions League zu gewinnen, war noch mal eine andere Dimension, weil es eine größere Überraschung war.

Wo ordnen Sie das verlorene Finale mit Bayern 1999 in Ihrer Karriere ein?
Die schwierigste Situation war es nicht, aber die bitterste. Diese letzten drei Minuten - das wünscht man keinem Sportler. Aber das hat uns stark gemacht. Ich habe gleich zur Mannschaft gesagt: "Wenn wir weiterhin solche Leistungen bringen, werden wir in den nächsten Jahren irgendwann wieder im Finale stehen und es besser machen."

Sie durchlebten auch eine schwierige Phase, standen 2004 kurz vor einem Burnout.
Ich war sechs Jahre bei Bayern, eine unglaublich lange Zeit. Das ist fast wie 20 Jahre bei einem anderen Klub. Weil man so viel erlebt und die Spannung sowie der Druck so hoch sind. Ich war einfach ausgelaugt, habe schlecht geschlafen. Und: Ich habe keine Euphorie, keine Freude mehr gespürt, wenn wir gewonnen haben.

Darum wurde Ottmar Hitzfeld nicht deutscher Nationaltrainer

Wie überwanden Sie das?
Ich hatte das Glück, dass ich damals mit Professor Holzboer, der auch Sebastian Deisler behandelt hat, sprechen konnte. Er hat mir geholfen, die Depression und diese Burnout-Phase zu überstehen.

Hat es Ihnen das leichter gemacht, 2014 den Schlussstrich unter Ihre Karriere zu ziehen?
Natürlich. Aus Erfahrung sollte man dann auch die Lehren ziehen. Deshalb habe ich, als ich 2007 zu Bayern zurückkam, den Job auch nur bis 2008 ausgeübt. Weil ich Angst hatte, dass ich ansonsten wieder in einen Burnout reinlaufen könnte. Die Arbeit als Nationaltrainer ist nicht mit der eines Vereinstrainers zu vergleichen. Deshalb habe ich meinen letzten Job als Schweizer Nationalcoach ganz bewusst gewählt.

Das Angebot, deutscher Nationaltrainer zu werden, kam 2004 einfach zu früh, oder?
Das war eine klare Entscheidung für meine Gesundheit. Ich war 2004 ausgebrannt. Dann kam das Angebot des DFB. Ich war hin- und hergerissen, aber der Zeitpunkt war der falsche. Wenn man keine Kraft und Energie hat, die man auf andere übertragen kann, hat man keinen Erfolg.

Ihr letzter unerfüllter Traum?
Ich habe nie von Klubs oder Verbänden geträumt, sondern immer in der Gegenwart gelebt und versucht, erfolgreich meinen Job zu machen. Ich bin jetzt schon viereinhalb Jahre nicht mehr im Geschäft. Ich hatte viele Angebote, aber da kann kein Verein und kein Verband der Welt kommen. Das ist eine endgültige Entscheidung.

Warum gingen Sie nie ins Ausland, etwa zu Real Madrid?
Ich dachte, wenn ich zu Real gehe, bin ich entlassen, bis ich Spanisch kann. Für mich war die Sprache im Umgang mit den Spielern immer sehr wichtig. Darum habe ich Real Madrid abgesagt und auch so ein paar anderen Spitzenklubs.

Raten Sie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, spätestens mit 70 ebenfalls den Ruhestand zu genießen?
Jeder muss für sich entscheiden, was er möchte, was ihn glücklich macht. Uli ist noch im besten Alter, Karl-Heinz Rummenigge sowieso. Von daher können sie mit ihrem Sachverstand und ihrer Fußballkompetenz die Geschicke des FC Bayern noch viele Jahre zusammen führen.

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