Wackel-Abwehr und System-Frage
DFB: Vorsicht, Baustellen! Woran Joachim Löw bis zur EM noch arbeiten muss
11. September 2019, 6:29 Uhr aktualisiert am 11. September 2019, 6:29 Uhr
Joachim Löw mahnt nach dem 2:0 der deutschen Nationalmannschaft in Nordirland zur Geduld. Der Weg in die Spitze sei nicht einfach. Die AZ zeigt auf, woran der Bundestrainer bis zur EM 2020 noch werkeln muss.
München - Er formulierte es ein wenig beschaulich, aber im Kern doch treffend: "Es war ein bisschen viel Durcheinander", sagte Joachim Löw. Der Bundestrainer sprach von den "sehr intensiven, sehr schwierigen 90 Minuten" beim 2:0-Auswärtssieg in der EM-Qualifikation gegen Nordirland in Belfast.
Drei Punkte geholt, Tabellenführung zurückerobert, alles wieder gut? Nun ja. Das behauptet nicht mal der Mann, der das Team im kommenden Jahr zur Europameisterschaft führen will: "Wir mussten einige Schwierigkeiten überwinden in diesem Spiel", sagte Löw, "man hat in manchen Phasen gesehen, dass die Mannschaft so noch nicht zusammengespielt hat. Kontinuität und Eingespieltsein sind wichtig für die Zukunft. So einfach, wie das manche denken, so einfach geht es halt auch nicht. Der Weg in die Spitze ist kein einfaches Unterfangen."
Bis zur EM 2020 mit den Vorrunden-Heimspielen in München wird die Zeit knapp, nach dem von Löw initiierten Umbruch ist die Nationalmannschaft eine Baustelle. Die AZ zeigt, woran noch fleißig gewerkelt werden muss:
Die wackelige DFB-Abwehr
Hier geht es in der Tat drunter und drüber, vor allem die starken Niederländer deckten am Freitag beim 2:4 die Schwachstellen schonungslos auf. Kein Wunder, dass dem Bundestrainer ständig die Personalie Mats Hummels vorgehalten wird, der mit seiner Erfahrung der jungen Abwehr Halt vermitteln könnte.
Jonathan Tah, der gegen Holland einen rabenschwarzen Tag erwischte, hat Entwicklungspotenzial. Wie Antonio Rüdiger, der noch verletzt fehlte, und Matthias Ginter hat er seine internationale Klasse aber noch nicht nachgewiesen. Auch die Besetzung der Außenbahnen scheint nicht den Ansprüchen zu genügen. Zu viele Gegentore entstanden zuletzt durch Fehlpässe an der Außenlinie.
Die Frage nach dem System der Nationalmannschaft
Löw mahnt nach dem Umbruch Zeit an, um so etwas wie die dringend vermisste Konstanz zu erreichen: "Einspielen ist bei einer jungen Mannschaft schon die Priorität. Wir müssen in allen Mannschaftsteilen die Automatismen schärfen", so Löw. Nur: Mit welcher Taktik will er spielen lassen? Abwartender Konterstil wie gegen die Niederlande? Aktiv und dominant wie kurz nach der Pause gegen Nordirland? Hinten mit Dreier- oder Viererkette? Diese Fragen gilt es zu klären, bevor man beginnt, an Automatismen zu arbeiten.
Die Einstellung der Mannschaft
2:4 zuhause verloren, EM-Qualifikation in Gefahr, den Underdog-Tabellenführer vor der Brust: ein Szenario, bei dem eigentlich jedem DFB-Kicker klar sein musste: 'Das wird heiß! Da werden wir von der ersten Sekunde an voll dagegen halten müssen, mit allem, was wir haben!' Nun, es dauerte dann eine komplette Halbzeit lang, bis der viermalige Weltmeister endlich mal begann, den Außenseiter Nordirland in den Griff zu bekommen.
Der Bundestrainer meinte: "Der Mentalitätswechsel in den Zweikämpfen, in den kleinen Dingen, in den Details war besser." Aber noch lange nicht gut. Da muss Löw den Riemen finden, an dem sich seine Jungs dringend reißen müssen. Ein echter Anführer war neben Torhüter Manuel Neuer auf dem Platz nicht auszumachen, am ehesten genügt noch Joshua Kimmich diesem Anspruch.
Die Chancenauswertung des DFB-Teams
Gnabry, Reus, Werner, Havertz, Brandt - das ist schon eine Offensive zum Mit-der-Zunge-Schnalzen. Nur: Leider trifft sie viel zu selten. Als die Nordiren ihrem irren Anfangstempo Tribut zollen mussten, purzelten die Torchancen vor die deutschen Stürmerfüße wie überreife Äpfel im Herbst. Hätte man nur ein Drittel der Großchancen genutzt, wäre der restliche Abend ruhiger verlaufen. Doch sowohl Timo Werner, der in der Bundesliga zuletzt fünf Tore in drei Spielen erzielte, als auch Marco Reus fremdeln noch ein bisschen mit der Nationalmannschaft.
Die Eingliederung von Kai Havertz
Erste Aktion: Ballgewinn. Erste Torchance: ein Kopfball, der nur um Zentimeter sein Ziel verfehlte. Erster Assist: schön vertikal zum 2:0 durch Gnabry. Warum der hochtalentierte Kai Havertz nicht in der Startelf stand, begründete Löw so: "Vertrauen in einen Spieler hat nicht immer nur was mit der Aufstellung zu tun.
Kai Havertz hat wahnsinnige Qualität, aber Serge Gnabry oder andere haben auch ein bisschen gebraucht, bis sie in der Mannschaft waren." Ein gewisser Leroy Sané musste sogar bei einer WM zuschauen. Havertz nimmt es mit einem verbalen Schulterzucken: "Ich kann mich ja nicht selbst aufstellen." Wohin also mit Havertz? Eine von vielen Baustellen, an denen Löw noch arbeiten muss.
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