Soziologe Frohwein sagt: Ja

Bietet die Krise dem Amateurfußball auch Chancen?


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Der Soziologe Tim Frohwein geht davon aus, dass die Coronakrise in manchen Punkten auch eine Chance für den Amateurfußball sein kann.

Es ist Ende August. Bayernliga. Der TSV Wasserburg hat den SV Donaustauf zu Gast. Knapp 700 Zuschauer sehen sich das Duell der beiden Aufsteiger an. Einer davon ist Tim Frohwein, Soziologe und Journalist aus München. "Es war wie ein Aufeinandertreffen zweier Gegenwelten", blickt er zurück. Auf der einen Seite die Wasserburger, die in den vergangenen Jahren im Eiltempo von der A-Klasse bis in die Bayernliga durchmarschiert sind und auch dort aktuell auf dem zweiten Platz stehen. Ein Erfolg, generiert vor allem mit Spielern aus der Region, angetrieben von den Haas-Brüdern, die nahe von Wasserburg aufgewachsen sind. Auf der anderen Seite stehen die Gäste aus Donaustauf. Wenige regionale Spieler, als Bayernligist in einer GmbH strukturiert. Das Spiel gewinnt Wasserburg mit 3:1.

Dass der SV Donaustauf um Geschäftsführer Matthias Klemens einer der ersten Clubs war, die laut aufgeschriehen haben und für einen Saisonabbruch plädierten, überraschte Frohwein nicht. Klar, wenn man schon im Amateurbereich profiähnliche Gehälter bezahlt. "Das ist eine andere Welt, mit anderen Möglichkeiten", findet Frohwein.

Auch Dr. Rainer Koch, der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes, hat sich zur Donaustaufer Reaktion geäußert. "Für mich steht im Amateurfußball der Sport an erster Stelle und das Geld an zweiter Stelle", schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Bayernliga und Vollzeitfußballer passen nach seiner Ansicht nicht zusammen. "Der BFV hat über 4.000 Vereine. Kapitalgesellschaften sind keine Mitgleider des BFV. Der BFV vertritt die mehrheitlichen Interessen seiner Mitglieder, das heißt seiner Amateurfußball-Vereine", so Koch. Die Mehrheit der bayerischen Amateurclubs ist dem BFV-Vorschlag, die aktuelle Saison ab September zu Ende zu spielen, gefolgt.

Geselligkeit wieder im Vordergrund?

Frohwein gefallen die Worte des Verbandspräsidenten. Er hat die Bezahlkultur im Amateurfußball untersucht und steht ihr kritisch gegenüber. Die Coronakrise könnte nun eine Chance sein, glaubt er, dass sich die Bezahlmoral ändert. Viele Vereine werden von Firmen oder Unternehmern gesponsert. Müssen diese aufgrund der Coronakrise kürzer treten, könnten die Einsparungen auch die Vereine treffen. "Vielleicht findet der eine oder andere Verein den Weg weg von der Bezahlkultur und stellt den sozialen Austausch und die Geselligkeit, wichtige Funktionen des Amateurfußballs, wieder mehr in den Vordergrund."

Dass es ab einer gewissen Liga aufwärts, Frohwein nennt hier die Bezirksliga, ohne Zahlungen an Spieler nicht mehr geht, kann der Soziologe nachvollziehen. Dass aber zum Teil schon in den untersten Ligen stattliche Summen fließen, das versteht er nicht - und würde sich hier ein Umdenken wünschen.

Tim Frohwein hat sich intensiv mit dem Thema Bezahlung im Amateurfußball beschäftigt.

Tim Frohwein hat sich intensiv mit dem Thema Bezahlung im Amateurfußball beschäftigt.

Seine Idee: Vereine, die sich bewusst über eine Art freiwillige Selbstverpflichtung dafür entscheiden, ihren Spielern nichts zu bezahlen, könnten sich deutschlandweit zusammenschließen, und dies beispielsweise mit einer gemeinsamen Plakette nach außen tragen. Wirklich überprüfen ließe sich die Umsetzung allerdings kaum, man müsste hier auf eine Selbstreinigung aus den Vereinen heraus setzen, sagt er. "Einige Vereine werden in der Krisensituation zum Umdenken gezwungen", glaubt Frohwein. "Es geht immer um das Ziel des Vereins: Für eine Geselligkeitskultur brauche ich nicht zu bezahlen."

Als zweiten Punkt, in dem die Coronakrise dem Amateurfußball auch Chancen bieten kann, nennt der Soziologe die Digitalisierung. Laut ihm sehe man aktuell bei vielen Unternehmen, die zum Beispiel Vorbehalte gegenüber Home-Office hatten, dass sie sich dem nun doch mehr öffnen müssten. "Viele sehen aktuell, dass da doch mehr möglich ist, als gedacht", sagt Frohwein. Im Amateurfußball könnte es ähnliche Fälle geben, vermutet er.

Chancen der digitalen Welt

"Wenn sich ein Vereinsverantwortlicher jetzt einen Newsletter einrichtet, um während der Krise alle Mitglieder zu erreichen, dann behält er das System vielleicht auch danach bei", nennt er eine Möglichkeit. Zudem gebe es aktuell in einigen Vereinen virtuelle Mannschaftsabende. "Und nach diesen Erfahrungen kommt man nach der Krise vielleicht auf die Idee, verhinderte Spieler beispielsweise bei der Mannschaftsbesprechung nach dem Training digital zuzuschalten", sagt Frohwein.

Auch durch die Verkäufe von virtuellen Tickets, Bratwürsten oder Bier könne man derzeit feststellen, dass die Vereine in der Krise den Weg ins Internet suchen. Auch im Thema eSport könnten Vereine, die dem bislang kritisch gegenüber standen, plötzlich Chancen und Möglichkeiten sehen. Frohwein hat festgestellt, dass es beim Antrieb zu mehr Digitalisierung auch Unterschiede zwischen den Ligen gibt: "Während die Vereine aus oberen Amateurligen versuchen, Einnahmen zu generieren, steht bei unteren etwa durch einen virtuellen Mannschaftsabend oder selbstorganisierte virtuelle eSport-Turniere eher die Geselligkeit im Vordergrund. Das ist schon auffällig."

Unter dem Strich, weiß auch Frohwein, hält die aktuelle Situation Herausforderungen für die Amateurvereine bereit. Er ist sich aber genauso sicher, dass die Krise für die Vereine auch die eine oder andere Chance mit sich bringt.