Interview zum Buch

Das Kuscheltierdrama in unseren Wohnzimmern

Tierpathologe Prof. Dr. Gruber macht in seinem Buch auf das stille Leiden der Haustiere aufmerksam


Der Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber bindet sich seit Jahren täglich den Obduktionskittel um. "Was wir bei unserer Arbeit sehen, ist oft richtig harte Kost."  Foto: Nadine Borau

Der Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber bindet sich seit Jahren täglich den Obduktionskittel um. "Was wir bei unserer Arbeit sehen, ist oft richtig harte Kost." Foto: Nadine Borau

Prof. Dr. Achim Gruber ist Leiter der Tierpathologie an der Freien Universität Berlin. Nach 25 Jahren im Obduktionssaal ist er zu dem Entschluss gekommen: "Unsere Haustiere brauchen einen Anwalt, der mit Sachverstand und Herz auf ihr Elend aufmerksam macht." In seinem Buch Das Kuscheltierdrama klärt er über reinrassige Irrwege auf und beschreibt, wie manche Menschen ihre Haustiere aus Unwissenheit "zu Tode lieben".

Gäuboden aktuell: Seit Jahren ist in unserer Gesellschaft immer wieder von einer "Vermenschlichung der Tiere" zu hören. In Ihrem Buch klären Sie darüber auf, dass Haustiere unsere überbordende Liebe oft mit Krankheit und Tod bezahlen müssen. Wovon raten Sie Besitzern genau ab?

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Der Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber bindet sich seit Jahren täglich den Obduktionskittel um. "Was wir bei unserer Arbeit sehen, ist oft richtig harte Kost." Foto: Nadine Borau

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Der Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber bindet sich seit Jahren täglich den Obduktionskittel um. "Was wir bei unserer Arbeit sehen, ist oft richtig harte Kost." Foto: Nadine Borau

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Die Großkopfkrankheit, besonders kurze Beine bei Dackelkatzen oder der Merle-Gendefekt sind gewollte Zuchtmerkmale, die bei den Tieren nachweislich zu Leid führen. Grafiken: Linus Beckmann

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Qualzüchtung oder falsches Futter? Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber obduziert einen Hund, um die Todesursache herauszufinden. Er sieht oft Haustiere, die wegen falscher Schönheitsideale ihr Leben lang unter Schmerzen leiden mussten. Foto: Nadine Borau

Prof. Dr. Achim Gruber: Ich rate definitiv von falschen Fütterungspraktiken ab. Hunde werden vegetarisch ernährt und Katzen mit Pralinen gefüttert. Aus Menschensicht ist das gut gemeint, aus Sicht der Natur völlig falsch bis tödlich.

Machen Tiere dabei selbst auf ihr Leid aufmerksam und fehlt es dann womöglich an der richtigen Kommunikation zwischen Mensch und Tier?

Gruber: Die Anzeichen sind häufig sehr unspezifisch und ein Laie kann das Leid oft nicht feststellen. Nehmen wir als Beispiel eine Katze, die zu viel mit roher Leber gefüttert wird. Das ruft bei Katzen eine Vitamin-A-Vergiftung hervor. Diese wird zu einer starken Verknöcherung der Halswirbelsäule führen. Die Knochen verwachsen miteinander und die Halswirbelsäule wird vollständig starr, was anfangs mit extremen Schmerzen verbunden ist. Die Katze wird sich dann nicht mehr gerne am Hals anfassen lassen. Diese Beobachtung muss der Besitzer dem Tierarzt mitteilen, damit die Krankheit frühzeitig erkannt wird und das Tier nicht länger leidet.

Seit wann können Sie diese falsch verstandene Tierliebe beobachten?

Gruber: Einen genauen Zeitpunkt kann man hier nicht festmachen. Das ist ein schleichender Prozess. Auslöser ist beispielsweise - vor allem in Großstädten - die zunehmende menschliche Vereinsamung. Das Tier wird in den Stand eines Sozialpartners erhoben und nicht mehr artgerecht gehalten.

Gibt es weitere Gründe, weswegen unsere Tiere leiden?

Gruber: Gründe, an die jeder sofort denkt, sind Tierquälerei und Vernachlässigung. Das sind allerdings Ausnahmen und sprechen nicht für die Probleme in der breiten Gesellschaft. Viel häufiger treten Infektionskrankheiten auf, die in beide Richtungen übertragen werden. Wenn wir mit unseren Tieren im Bett kuscheln oder sie während des Essens am Tisch streicheln, dürfen wir Hygieneregeln nicht vernachlässigen. Andernfalls können Erreger wie der tödliche Fuchsbandwurm übertragen werden. Andersherum kann es zum Beispiel Lippenherpes sein, der durch einen lieb gemeinten Kuss das Kaninchen oder Chinchilla tötet.

Ein weiteres Phänomen, auf das Sie aufmerksam machen, sind sogenannte Defektzüchtungen. Können Sie diesen Begriff näher erklären?

Gruber: Hier werden Tieren Defekte in bestimmten Organen oder Körperfunktionen angezüchtet, die dann zu Leiden, Schmerzen oder einer Einschränkung der Artgerechtigkeit führen. Das beste Beispiel sind Hunderassen wie Mops, Französische Bulldogge, Shih Tzu oder Pekinese, die immer kürzere Nasen bekommen sollen. Die Hunde leiden darunter, weil sie unter Belastung kaum noch richtig atmen können und viele andere Probleme bekommen. Dennoch möchte ich anmerken, dass wir nie ganze Rassen verteufeln dürfen, sondern nur extreme Zuchtformen. Es gibt bei den genannten Rassen selbstverständlich auch gesunde Tiere.

Gemäß dem Tierschutzparagraf 11b sind Züchtungen bei denen "Schmerzen, Fehlbildungen und gesundheitliche Schäden in Kauf genommen werden" verboten. Wie kann es dennoch sein, dass in Deutschland bestimmte krank machende Formen gezüchtet werden?

Gruber: Schuld ist erstens die leider völlig unzureichende amtliche Umsetzung des Gesetzes. Und zweitens müssen die Menschen besser aufgeklärt werden und verstehen, welches Leid regelrecht herangezüchtet wird. Dann hört hoffentlich auch die Nachfrage nach Extravaganz, vermeintlicher Schönheit und Menschenähnlichkeit der Tiere auf, die zu Krankheiten führt.

Menschen suchen ihre Hunde oft nach rassetypischen Merkmalen aus. Nun ist die Wahl auf den gutmütigen und ruhigen Shih Tzu gefallen. Raten Sie komplett davon ab, solche Rassen überhaupt zu kaufen?

Gruber: Ich möchte hier nicht verallgemeinern. Es ist keinesfalls so, dass alle Individuen dieser Rassen von den Defekten betroffen sind. Gerade nach Veröffentlichung meines Buches sprechen mich immer mehr Leute an, die sagen "Mein Shih Tzu hat dieses Problem aber nicht." Was der künftige Hundehalter aber unbedingt tun sollte ist, sich vor dem Kauf nicht nur über die Rasse und mögliche Defekte informieren, sondern auch über die Zuchtlinien. Haben beide Elternteile bereits sehr kurze Nasen, ist es wahrscheinlich, dass auch der Welpe in zunehmendem Alter unter Problemen leiden wird.

Sie werden bei der Arbeit täglich mit dem Leid dieser Tiere konfrontiert. Werden Sie da auch mal wütend?

Gruber: Ja, werde ich. Besonders wenn die Tiere deswegen viel zu früh sterben, etwa Dackel mit Querschnittslähmungen durch einen Bandscheibenvorfall. Leider ist dieser Defekt eng mit den kurzen und krummen Beinchen gekoppelt.

Was genau beabsichtigen Sie mit Ihrem Buch?

Gruber: Ich möchte auf die in der Gesellschaft völlig vernachlässigten Probleme in der Heimtier-Mensch-Beziehung aufmerksam machen. Seit mehr als 100 Jahren wird das Leid der Versuchstiere beklagt, vor 50 Jahren machte Brigitte Bardot auf das Leid von Robbenbabys zur Pelztierproduktion aufmerksam und seit Jahrzehnten steigt das Bewusstsein für die Opfer, die Nutztiere für uns bringen. Aktuell ist das Aussterben von Wildtieren, Vögeln und Insekten in allen Zeitungen. Aber ausgerechnet unsere Haustiere - unsere besten Freunde - lieben wir krank und zu Tode, weil wir sie züchten und halten, wie es uns gefällt und nicht, wie es gut für sie wäre. Es ist höchste Zeit, die Opfer, die wir von ihnen verlangen, zum Thema zu machen.

Dabei sind es sicherlich nicht nur Hunde und Katzen, die Opfer bringen. Befürworten Sie es, dass man Kindern Käfigtiere wie Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen schenkt?

Gruber: Ich bin absolut dafür, dass Kinder mit Haustieren aufwachsen. Auch ich hatte als Kind immer Haustiere und meine Kinder wachsen ebenfalls damit auf. Allerdings sollten Tiere nur unter Aufsicht von Erwachsenen gehalten werden. Meerschweinchen sind Fluchttiere und haben beispielsweise Angst, wenn man sie von oben aus dem Käfig rausholt. Das erinnert sie an den Angriff eines Raubvogels. Besser ist es, man nimmt sie heraus, wenn sie in einem kleinen Nestchen sitzen und streichelt sie dann vorsichtig. Diesen Umgang müssen Eltern ihren Kindern unbedingt vermitteln.

Das klingt für mich nach einem Dilemma: Auf der einen Seite sollen Erwachsene ihren Kindern einen verantwortungsvollen Umgang beibringen. Auf der anderen Seite sind sie es selbst, die bei der Heimtierhaltung große Fehler machen. Wie soll das funktionieren?

Gruber: Da haben Sie absolut die richtigen Schlüsse gezogen. Ich sehe das mehr als eine rhetorische Frage. Ich möchte, dass sich der Leser meines Buches genau diese Frage stellt und daraufhin ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet.