Psychotherapie-Patientin aus Straubing

Betroffene: "Spahns Gesetzesentwurf ist gefährlich"


Vielen psychisch erkrankten Menschen fällt bereits der Weg zum Arzt selbst sehr schwer. Mit einer Beurteilungsinstanz vor der Therapie würde eine zusätzliche Hürde für die Betroffenen geschaffen, glaubt unsere Gastautorin.

Vielen psychisch erkrankten Menschen fällt bereits der Weg zum Arzt selbst sehr schwer. Mit einer Beurteilungsinstanz vor der Therapie würde eine zusätzliche Hürde für die Betroffenen geschaffen, glaubt unsere Gastautorin.

Von Redaktion idowa

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit seinem Entwurf zu einem Terminservice- und Versorgungsgesetz unter anderem die Vergabe von Psychotherapieplätzen neu regeln. Unsere Gastautorin Magdalena R. (Name von Red. geändert) aus Straubing schildert die Gefahren, die aus Ihrer Sicht bei dem Gesetzesvorschlag bestehen - sie ist eine Betroffene. Übrigens: Wie die Bundespsychotherapeutenkammer zu dem Gesetzesentwurf steht, lesen Sie hier:

Ich denke, dass der neue Gesetzesentwurf zur Psychotherapie von Minister Spahn die Situation für Patienten mit psychischen Leiden nicht verbessert, sondern verschlechtert. Durch die Beurteilung der potenziell Betroffenen vor einer möglichen Therapie wird eine zusätzliche Hürde geschaffen. Je schlechter es einem geht, desto abschreckender erscheint ein solcher Termin - und gleichzeitig hat man umso weniger Kraft, sich ihr zu stellen. Ich denke, dass die Beurteilung genau die Menschen davon abhalten wird, Hilfe zu suchen, die sie am dringendsten bräuchten. Ich halte den Gesetzesentwurf deswegen für gefährlich.

Vielleicht muss man verstehen, wie es abläuft, wenn man zum ersten Mal nach einem Therapieplatz sucht, um zu begreifen, warum die Beurteilung eine so große Hürde ist. Keiner wacht eines Tages auf, bemerkt eine große Traurigkeit, denkt an Depression und sucht sich Hilfe. Man weiß normalerweise nicht, was mit einem los ist, warum man nicht so funktioniert wie andere. Vielleicht weiß man nicht einmal, dass es nicht immer so schwer sein muss, dass es überhaupt anders geht.

Psychische Erkrankungen noch immer stark stigmatisiert

Bevor man nicht tief im Dunkel steckt, gestehen sich die Meisten psychische Probleme nicht ein. Wieso? Ganz einfach. Weil sie immer noch stark stigmatisiert sind. Geht man deswegen zum Arzt oder zur Therapie, dann könnte das Umfeld erfahren: Man wird abgewertet, nicht mehr für voll genommen, gilt als Freak - das sind zumindest die Ängste, mit denen Betroffene häufig kämpfen. Und diese Ängste führen leider dazu, dass sich Patienten häufig erst Hilfe holen, wenn es ihnen sehr schlecht geht.

Als es mir am schlechtesten ging, hatte ich keine Energie, fühlte mich kraftlos. Dafür hatte ich viele Ängste, unter anderem vor fremden Menschen. Grundlegende Dinge wie aufstehen, anziehen und sich etwas zu essen machen, erschienen mir so schwer, dass ich sie an vielen Tagen gar nicht erst anging. Ich hätte es nicht geschafft. Sich aufzuraffen und sich um Hilfe zu kümmern, ist da eine große Sache, eine wirklich große Sache. Aus dem Haus zu einem Termin zu gehen und mit einem Fremden zu sprechen - davor hatte ich damals große Angst.

Es kostet jedes Mal Kraft

Um sich einer Person gegenüber zu öffnen, muss man sich sicher und verstanden fühlen. Deswegen nehmen sich Therapeuten Zeit, man legt nicht gleich in der ersten Sitzung wie die Feuerwehr los. Man bereitet erst einmal einen Rahmen, in dem man sein darf, wie man ist. Man wird einfach angenommen, egal was man mitbringt. Es ist eben genau keine Beurteilung.

Hätte es die Regelung damals bei mir gegeben: Ich hätte große Abscheu gehabt vor der Bewertung, hätte eine Verurteilung befürchtet. Ich hätte es nicht über mich gebracht, mich meiner Angst zu stellen - der Angst davor, einem Fremden etwas zu erzählen und genau zu wissen, dass ich das Ganze noch ein zweites Mal durchstehen muss. Der Beurteiler wird ja nicht mein Therapeut, dem muss ich es nochmal erzählen. Die Gespräche in einer Therapie sind anstrengend, es ist nicht wie beim Kaffeeklatsch. Es kostet jedes Mal Kraft. Und nicht nur das.

Hoffnung und Kampfeswillen ist bei einem Schritt in Richtung Therapie wichtig, aber genau das hat man eben gerade nicht, wenn man krank ist. Jede zusätzliche Hürde, jede Angst, der man sich stellen muss, kann eine zu hohe Hürde für einen Betroffenen sein. Ich wäre damals wohl nicht zu so einem Beurteilungstermin gegangen - ich hätte es wirklich nicht gekonnt. Ich denke, viele Betroffene könnten es heute auch nicht. Sie würden damit keinen Zugang zu einer Therapie bekommen. Und ich will mir nicht vorstellen, was das für manche bedeuten könnte.

Mehr qualifizierte Therapeuten benötigt

Es gibt natürlich bereits unterschiedliche Stellen, um sich Hilfe zu suchen: der Hausarzt, dem man vertraut, soziale Dienste, die man einfach anrufen kann. Aber: Dass es so lange dauert, tatsächlich einen Therapieplatz zu bekommen, ist sehr problematisch. Es liegt wohl an der zu hohen Nachfrage bei zu wenig freien Plätzen. Es müsste mehr qualifizierte Therapeuten geben. Eine Psychologin sagte mir, dass es wegen hoher Abgaben finanziell nicht einfach wäre, sich mit einer Praxis niederzulassen. Ich kann nicht beurteilen, ob das zutreffend ist. Wenn es stimmt, dann müsste sich der Beruf mehr lohnen.

Sagen muss man, dass es über die vergangenen Jahre durchaus auch positive Entwicklungen gab. Psychische Krankheiten sind leider oftmals noch mit einem Stigma verbunden, gleichzeitig ist die Situation sicherlich nicht dieselbe, wie in der Vergangenheit. Ich finde die Veränderungen ermutigend, aber es liegen noch viel Arbeit und die richtigen Weichenstellungen vor uns.

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