Straubing
Bayern als Karies-Hotspot? "Das ist Panikmache"
7. Juli 2020, 12:10 Uhr aktualisiert am 12. April 2023, 22:18 Uhr
Laut einem Report der Krankenkasse Barmer haben Kinder in Bayern besonders häufig Karies - und das, obwohl sie bundesweit betrachtet am häufigsten zur Vorsorge gehen. Wird die Zahnerkrankung im Freistaat etwa unterschätzt? Zwei Zahnärzte erklären im Gespräch, warum sie die Aufregung für übertrieben halten und ihnen Eltern oft mehr Sorgen machen als ihre Kinder.
Die Zahlen klingen alarmierend: 38 Prozent der Kinder in Bayern sollen bis zum 12. Lebensjahr bereits eine Kariesbehandlung am bleibenden Gebiss hinter sich haben. Zu diesem Schluss kommt die Krankenkasse Barmer in ihrem aktuellen Zahnreport. Ausgewertet wurden dafür die Daten ihrer Versicherten aus dem Jahr 2018. Sie sind laut Aussage der Barmer repräsentativ für die damals 104.000 Zwölfjährigen im Freistaat. Mit 38 Prozent ist Bayern dem Report zufolge ein unrühmlicher Spitzenreiter. Nur in Hamburg sei der Anteil mit 39,1 Prozent noch höher. Bislang seien Studien davon ausgegangen, dass im Freistaat nur etwa 20 Prozent der Kinder von Karies betroffen waren.
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Auch in Niederbayern und der Oberpfalz liegt die Anzahl der Karies-Fälle laut dem Report fast überall über dem bundesweiten Durchschnitt von 33 Prozent. In Straubing sind es 34,3 Prozent, in Regensburg bereits 37,5 Prozent und in Landshut sogar 39,8 Prozent. Der Landkreis Deggendorf knackt laut Barmer sogar die 40-Prozent-Marke. Besonders paradox: Gleichzeitig schneidet Bayern bei der Individualprophylaxe, also der Vorsorge, besonders gut ab. Über 70 Prozent der Kinder nutzten hier die Präventionsangebote - das seien mehr als in jedem anderen Bundesland. Daher sei es umso besorgniserregender, dass bayerische Kinder dennoch so häufig von Karies betroffen sind, sagt Prof. Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern. Warum der Freistaat deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt, dafür liefert der Report keine Erklärung. Die Schlussfolgerung ist allerdings eindeutig: Karies sei bei Kindern in Bayern "deutlich unterschätzt" worden. "Es sind in jedem Fall weitere Anstrengungen erforderlich, um die Zahngesundheit der bayerischen Kinder zu verbessern," so Wöhler weiter.
"Das ist Panikmache"
Ist Karies im Freistaat tatsächlich ein besonders gravierendes Problem? Zumindest Prof. Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Referent Patienten und Versorgungsforschung der Bayerischen Landeszahnärztekammer, sieht den Report der Barmer kritisch: "Das ist Panikmache. Es gibt nicht mehr Kariesfälle in Bayern, im Gegenteil, es werden seit Jahren weniger." Er kritisiert insbesondere das Auszählungsverfahren der Krankenkasse. Denn nur, weil eine Behandlung als Kariesbehandlung abgerechnet werde, müsse Karies nicht tatsächlich die Ursache sein. "Das kann zum Beispiel auch an einer Zahnverletzung liegen", so der Experte. Insofern seien die Zahlen aus dem Report mit Vorsicht zu genießen. "Bayern ist in Sachen Zahngesundheit zwar nicht an der Spitze, so ehrlich muss man sein, aber wir sind definitiv auch nicht Schlusslicht", sagt Benz. "Es gibt viele Studien, die das auch belegen. Davon, dass Karies im Freistaat unterschätzt wird, kann also keine Rede sein."
Eine Einschätzung, die auch der Straubinger Zahnarzt Dr. Christoph Bäuml teilt. "Sehr spezifiziert ist der Report der Barmer nicht. Zumindest in meiner Praxis kann ich ein so hohes Kariesaufkommen nicht bestätigen", sagt er. Prinzipiell kann er sich aber durchaus vorstellen, dass es regionale Unterschiede gibt. "Da kommt es ja auch auf die Bereitschaft und Angebote der Zahnärzte an, und die sind regional sicher unterschiedlich ausgeprägt", so Bäuml. Was er heute häufiger beobachtet, ist eine gewisse "Unlust zur Vorbeugung", wie er sagt. Hier sieht Bäuml allerdings primär die Eltern in der Pflicht. "Elterliche Fürsorge ist das A und O. Überspitzt formuliert: Von einem Kind, das sich noch nicht selber die Schuhe zubindet, kann ich natürlich nicht erwarten, dass es sich mit Zahngesundheit auseinandersetzt und alle Zähne richtig putzt. Das schafft ja so mancher Erwachsene nicht", sagt Bäuml. Hier müssten die Eltern ein besonderes Auge auf den Nachwuchs haben. "Früher war ja oft noch ein Elternteil daheim und konnte auf die Kinder schauen. Wenn beide Eltern voll arbeiten müssen, wird das natürlich schwieriger. Dann kann man das vielleicht schon etwas aus dem Fokus verlieren."
Ab dem ersten Milchzahn zur Frühuntersuchung
Bäuml plädiert deswegen dafür, dass Eltern ihre Kinder spielerisch an das Thema Zahngesundheit heranführen. "Jeder sollte am besten zweimal pro Jahr zum Zahnarzt gehen. Und dann kann ich die Kinder ja einfach mitnehmen", rät Bäuml. "Im Grunde kann ich schon ab dem ersten Milchzahn zur Frühuntersuchung kommen." Auch bei der Ernährung seien die Eltern oft Vorbilder für Kinder. "Ansonsten gibt es mittlerweile genügend ausgewiesene Kinderzahnpasten, das ist keine Wissenschaft. Einfach putzen, kontrollieren und bei Bedarf nachputzen - dann sollte es beim nächsten Zahnarztbesuch keine böse Überraschung geben."