Bayerische Ess- und Sprachkultur

Sulz oder Sülze: Warum das Ü-Tüpferl überflüssig ist


Es gibt sie noch, die Wirte, wo die Sulz schmeckt und auch noch richtig geschrieben ist.

Es gibt sie noch, die Wirte, wo die Sulz schmeckt und auch noch richtig geschrieben ist.

Manchmal kann ich meinen Schnabel nicht halten, das ist nicht gut, und grad bei Kleinigkeiten. Aber was soll ich machen, ich bin halt ein Tüpferlscheißer. Kürzlich bin ich vor einem Wirtshaus gesessen. Das Personal hat dort Dirndl und Lederhose an, weil das dem Gast zeigt, dass es hier bayerisch zugeht. In vielen Straubinger Häusern ist das so, unsere Gastronomie ist da sehr authentisch, fast überauthentisch, wenn man manche Dirndl anschaut. Der Ober kommt und stellt für einen eine Sulz auf den Tisch. Da war's wieder so weit.

"Die Sülze", sagt der in eine Lederhose gekleidete Ober. "Die Sulz", sage ich. "Die Sülze", sagt der Ober. "Die Sulz", sage ich. Drauf wiederum er, mit fester Stimme: "Die Sülze." Drei Mal ist das hin- und hergegangen. Es war wie beim Tennis. Sogar am Nachbartisch haben sie das Match noch verfolgt. Dann habe ich aufgegeben. Mit einem "Oh mei, a Preiß", habe ich resigniert, dabei war er gar keiner.

Insgesamt war das unerfreulich. Der Ober hat leicht genervt gewirkt, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben kein Trinkgeld gegeben, und zwar aus Grant, und erfreulich war nur, dass meine Tochter nicht da war. Das hat mir ein "Papa, du bist so peinlich" erspart.

Dabei hat der Ober eigentlich nur das getan, was der Wirt will. Immerhin schreibt der Wirt ja auch "Sülze" statt Sulz. Jedes zweite Wirtshaus am Stadtplatz schreibt inzwischen "Sülze". Sie lassen ihre Serviceleute Lederhose und Dirndl anziehen, weil ihnen Lokalkolorit wichtig ist, und dann schreiben sie "Sülze", weil ihnen Lokalkolorit wurscht ist, und der Ober sagt demonstrativ "Sülze" statt "Sulz". Warum ist das so? Warum eigentlich schätzen wir unsere eigene Sprache nicht mehr?

…und dann kommt ein Presssack daher

Noch vor wenigen Jahren hat man Wörter wie "Sulz" ganz selbstverständlich auf die Karte oder Tafel vorm Wirtshaus geschrieben. Das war auch richtig. "Sulz" ist ein hochdeutsches Wort. Es kommt ja vom althochdeutschen "sulza", dem Salzwasser, man findet es auch im Sulzschnee, diesem halbfesten Schneezustand. In Norddeutschland haben sie daraus "Sülze" gemacht. Deshalb glauben jetzt alle, das sei das alleinseligmachende Hochdeutsch. Das ist aber falsch. Und außerdem: Ist eine Sülze überhaupt eine Sulz?

Sulz ist Sulz und nicht Sülze: Das wird auch durch das Fleisch vom Bio-Schwein nicht besser.

Sulz ist Sulz und nicht Sülze: Das wird auch durch das Fleisch vom Bio-Schwein nicht besser.

Liebe Straubinger Sülze-Wirte, dazu nun Folgendes: Als junger Mensch war ich einst in Frankfurt, in einem Lokal. Auf der Karte stand: Sülze. "Die probier' ich", hab ich gedacht. Beim Bestellen hab ich extra "Sülze" gesagt, man soll ja Sitten und Sprache dort achten, wo man zu Gast ist. Der Ober hat einen Presssack gebracht. Kennen Sie dieses Gefühl? Wenn man sich auf eine Sulz freut, und dann kommt ein Presssack daher? Es ist ein Gefühl der Enttäuschung.

"Entschuldigung, ich glaub, das ist falsch", sage ich also. "Wieso?", fragt der Ober. "Ich hab die Sülze bestellt", sage ich. "Das ist die Sülze", sagt er. An diesem Tag habe ich gelernt, dass es anderswo anders ist. Das war eigentlich schön.

Umgekehrt gibt's das natürlich auch. Dann sagen auswärtige Gäste in Straubing: "Ich hab aber Sülze bestellt." Eine Kellnerin sagt deshalb: "Ich muss immer wieder erklären, dass unsere ‚Sülze' nicht in Scheiben kommt, und dass man auch keinen Senf dazu isst."

Und was sagt ein Mann wie Ludwig Zehetner dazu? Zehetner ist Professor an der Uni Regensburg und einer der renommiertesten Experten für die bairische Sprache. Er sagt dazu: "Das kenn ich. Das ist mir auch schon passiert."

Die Österreicher haben das begriffen

Zehetner erzählt außerdem, wie ihn ein Wirt einmal gebeten hat, seine Karte durchzusehen, ob sie sprachlich korrekt ist. Es ging um das Gütesiegel "Ausgezeichnete Bayerische Küche"; eine Inspektion hatte sich angesagt, und der Wirt wollte bis in die Karte hinein stimmig sein. Es war alles stimmig, bis auf ein Detail: "Heute frische Sülze" stand auf einem Schild. "Ich hab gesagt, das ist falsch", erinnert sich Zehetner.

Doch der Wirt hat gesagt, dass es diese Schilder leider "bloß a so zum Kaufen" gibt. Da hat der Professor gesagt: "Geh her, nehma a Messer", und dann haben sie die zwei Punkterl vom ü und das e am Schluss weggemacht. "Dann war's: Heute frische Sulz", sagt Zehetner.

Nun kann man sagen: Bitte, gibt es nix Wichtigeres? Klima? Corona? Oder die Frage, wer sich öfter entschuldigen muss, Baerbock oder Laschet? Ja, freilich, das ist schon wichtig. Aber das wird ja eh ständig beschrieben, nur das Sulz-Sülze-Problem nicht. Dabei ist die eigene Sprache auch ein Kulturgut, und sogar ein Mehrwert.

Österreichs Gastronomie hat das schon lang begriffen. Der Erfolg der Topfenpalatschinken liegt nicht nur im Rezept. Es ist auch der Name. Ein "Quarkpfannkuchen" hätte wohl kaum diese Karriere gemacht, und er würde ständig verwechselt mit einem Produkt Schlesiens oder Russlands. Erst dieser bairisch-österreichische Esskultur signalisierende Name macht die Topfenpalatschinken zur Spezialität. Auch deswegen steht zum Beispiel in der Wachau beim Kirchenwirt in Weißenkirchen "Blunzn-Erdäpfel-Gröstl mit Kren und Sauerkraut" auf der Karte, und die Bandnudeln gibt es natürlich mit Eierschwammerl.

Was der Metzger zu Sulz und Pressack sagt

Eierschwammerl sind das, was man in Niederbayern Rehgeißerl oder Reherl nennt. Aber jedes Wirtshaus schreibt inzwischen: Pfifferling. In Österreich verstärkt man beim Gast das Gefühl, das er wirklich anderswo ist, und beim Einheimischen, dass er wirklich daheim ist. Wie ist das bei uns? Genau das Gegenteil. Weg mit dem eigenen Wort, man will ja weltläufig sein, also Pfifferling.

Es ist, als würden sie in Tirol "Schlutzkrapfen" wegwerfen und durch "Maultaschen" ersetzen. Aber für Touristen ist "Schlutzkrapfen" die Chance, daheim ein bisserl mit dem weltläufigen Wissen zu protzen, was ein Schlutzkrapfen ist. Das ist schlau.

Bei uns ist man nicht so schlau. Hier glaubt man, dass "Sülze" und "Pfifferling" gebildeter klingen, und man glaubt, dass der Tourist aus sprachlichen Sülze-Gebieten das erwartet. Das ist sehr unschlau. Weil genau dieser Tourist ja bei "Sülze" einen Presssack erwartet, und das ist halt etwas Anderes.

"Ein Presssack", sagt der Wimberger Max als erfahrener Metzger, "für den werden Schweinsköpfe gekocht, mit der Haut." Dann entsteht ein Gelee, das fest wird und steht, weshalb man dieses Gelee auch "Stand" nennt. "Und wenn wir eine Sulz machen", erklärt Max Wimberger weiter, "wird der Stand aus den Schweinsfüßen und der Schwarte gekocht, wenn's einer richtig macht."

Es ist ein anderer Stand, der mehr zittert, weshalb er auch Zitterer heißt. In der Sulz sind außerdem ganze Schweinefleischscheiben eingelegt, dazu ein Gurkerl, ein Ei, ein Petersil und eine Tomate. Eine Sulz ist keine Wurst und kann deshalb niemals in Scheiben geschnitten werden. Wer das nicht glaubt, kann's ja probieren.

Der Unterschied zum Presssack ist da ziemlich klar. Der Presssack ist eine Wurst, mit Gewürzen wie Pfeffer und Majoran, und er wird gern mit Zwiebeln serviert. Max Wimbergers Fazit: "Das ist ganz was Anderes."

Wer "Sülze" statt Sulz auf sein Taferl schreibt, führt den Gast auf die falsche Fährte. Warum tun das immer mehr Wirtshäuser? Ich habe in einer Wirtschaft nachgefragt. Die Antwort war erstaunlich: "Wenn wir ‚Sulz' schreiben würden", behauptet man hier, "dann wird unser Personal bloß gefragt, was das ist, und dass es ‚Sülze" heißen muss. Und für sowas hat das Personal keine Zeit."

Seltsamerweise steht aber ein Millirahmstrudel auf der Karte des Hauses. Da sagt offenbar kein Gast, dass es eigentlich "Milchsahnestrudel" heißen muss. "Millirahmstrudel" ist nämlich als Spezialität ein Begriff. Zustande gebracht hat das die österreichische Gastronomie. Was Österreich nicht rettet, ist verloren, und übrig bleiben nur Pfifferling, Frikadelle und viel Quark und Gesülze. Hauptsache, der Kellner ist lederbehost und die Kellnerin bedirndlt, oder, noch besser, auch lederbehost. Das ist dem Wirt wichtig, sonst ist's nicht authentisch. Für alles andere ist keine Zeit, oder kein Interesse. Man ist ja Wirt und kein Sprachtümler, nicht wahr, und Kellnerin in Lederhose ist doch bayerisch genug.

In Österreich haben sie noch Zeit und auch Interesse. Dort erklären sie gern, was ein Beuscherl ist, und sie erklären es freundlich, vom Hawelka in Wien vielleicht abgesehen. Dann hat der Gast das Gefühl, dass er wieder was gelernt hat über dieses kleine Bergvolk und dessen seltsame Sprache und Bräuche, und er überlegt vielleicht, ob er dieses Beuscherl nicht einfach probieren soll. Der Straubinger Gastronomie ist das meist zu viel Aufwand.

Es gibt sie noch, die richtige Sulz

"Wenn ein Gast fragt und man was erklären kann: Das ist doch eine gute Gelegenheit, dass man ins Gespräch kommt", hat ein österreichischer Ober einmal gesagt. Aber er ist halt ein Mann, der seinen Beruf und seine Gäste gern mag. Einer, der weiß, dass gute Gastronomie mehr ist als nur schnell ein Essen an den Tisch zu bringen. Atmosphäre gehört auch dazu, und die entsteht nicht zuallererst über Dirndl und Lederhose. Die entsteht über ein kleines Gespräch, und sei's nur ein freundliches: "Wissens, unsere Sulz is keine Sülze. A Sulz is a eine bayerische Spezialität."

Wenn hochdeutsche Wörter wie Sulz, Blaukraut und Kren von den Karten verschwinden, verschwinden sie aus der Schriftsprache. Das fördert den Eindruck, sie seien kein Hochdeutsch, sondern "nur Dialekt" und damit unverständlich. Das ist ein Verlust an sprachlichem Reichtum, an Vielfalt und Kultur. Unsere Gastronomie unterschätzt die Intelligenz ihrer Gäste, und sie vergibt die Chance, auch sprachlich etwas Besonderes zu sein.

Wörter haben auch mit Wurzeln und Identität tun, und mit der Entwicklung von Sprachgefühl. Es ist nicht schlecht, wenn man ein Gefühl für die Sprache entwickelt. Leider pflegen viele Häuser nur ein Kitschdirndl-Bayerisch wie "Wos leckeres Süaß' danoch", und sinnlos rammen sie Apostrophe in jedes Wort, das nicht rechtzeitig wegrennt: "Spei's und Trank" hab ich schon gelesen, "Von allem a bißer'l" gibt's auch.

Zum Glück gibt es aber noch Häuser, die zumindest statt falscher Sülze eine richtige Sulz haben, im Gäubodenhof zum Beispiel und im Weißbierhaus, oder im Imbiss vom Günter in der Landshuter Straße. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht auch nicht, dass die Sulzen dort außerdem ziemlich gut sind. Dafür Kompliment.

Im Video spricht Autor Wolfgang Engel über die Geschichte:

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