Hinter den Kulissen bei Circus Krone
"Wenn ein Tier nicht will, kannst du es nicht zwingen"
16. Mai 2017, 14:15 Uhr aktualisiert am 16. Mai 2017, 14:15 Uhr
Der weiße Löwe Baluga, der sprechende Papagei Tortuga, der freche Kakadu Pinkie: Tiere sind ein fester Bestandteil des Programms beim Circus Krone. Wie ist das Leben und Arbeiten mit Tiger, Elefant und Co.? Wir waren einen Tag lang hinter den Kulissen.
Die Manege ist dunkel, die Lichter sind gedimmt. Gitterstäbe umfassen die runde Manege. Männer in schwarzer Kleidung zurren die Halterungen des Käfigs fest. Dann betritt Martin Lacey jr. die Manege. Im Dunkeln sieht man nur das rote Licht der Kamera, die er sich um den Oberkörper gebunden hat. Es riecht nach einer Mischung aus Sägespänen, Popcorn und Bratwurst. Aufgeregt tuschelnd nehmen die Zuschauer auf ihren Sitzen Platz. Dann verstummen sie. Eine Luke öffnet sich und mit stolz geschwellter Brust betritt der König der Tiere die Manege. Es ist der weiße Löwe Baluga, dessen helles Fell sogar in der Dunkelheit gut zu erkennen ist. Ein Raunen geht durch die Menge. Ruhig dreht sich der Löwendompteur zu seinem Tier um, dann öffnet sich die Luke ein zweites Mal. Ein weißer und ein brauner Tiger stolzieren in die Manege und knurren leise. Jetzt gibt es nur noch Martin Lacey und seine Wildkatzen.
Fünfeinhalb Stunden vor der ersten Aufführung in Straubing. Im Tageslicht sieht man noch nicht viel vom Zirkusglamour. Doch die vielen Zirkusmitarbeiter arbeiten bereits daran, das zu ändern. Das Grundgerüst, das Zelt und die Stuhlreihen stehen bereits. Sechs Stunden haben die Zirkusmitarbeiter dafür gebraucht. Drei Stunden für das Zelt, drei für die Stühle im Zelt. Wenige Stunden vor der Show kommt der Feinschliff. "Es werden noch die letzten Lichter aufgehängt und die Stühle müssen noch geplüscht werden", erklärt die Pressesprecherin des Circus Krone, Dr. Susanne Matzenau, und deutet auf die blanken Holzstühle oberhalb der Loge. Bevor sie zum Circus Krone kam, hat Susanne Matzenau Biologie studiert. "Danach habe ich einfach zwei Zeilen an den Circus Krone geschrieben. Der damalige Pressesprecher hatte gerade gekündigt und so haben sie mir den Job angeboten", erzählt sie. Den Schritt zum Circus hat sie nie bereut. "Wenn man im Zirkus arbeitet, muss man das Reisen eben lieben." Und das tut sie.
Sattelgang statt Backstage
Direkt hinter der Manege befindet sich der große Sattelgang, in dem sich die Künstler auf ihren Auftritt vorbereiten. "Sattelgang, so nennen wir das Backstage im Circus Krone", erklärt Matzenau. "Wir sind bei den schönen, traditionellen Begriffen geblieben. Wir sagen auch Sprechstallmeister oder Ringmeister." Mindestens zwei Nummern vor ihrem Auftritt warten die Artisten in dem großen Sattelgang. Egal ob Löwe, Elefant oder Trapezkünstler: Durch den mit Lehm, Erde und Sägespäne bestreuten, dunklen Vorraum müssen sie alle, bevor es in die hell erleuchtete Manege geht. Im Sattelgang hat alles seinen Platz: Links liegen ordentlich aufeinander gestapelt die eisernen Hocker für die Tiernummern. Dahinter parkt das schwarz verhüllte Todesrad. Die Ausgänge sind breit und aufgeräumt. Alles muss ordentlich sein, denn später während der Show ist keine Zeit mehr für die Suche nach Utensilien. Da muss alles bereit sein (Lesen Sie auch: "6.000-Kalorien-Tag" und dann noch "M & M").
Immer bereit sein muss auch Martin Lacey, wenn er mit seinen Raubkatzen in der Manege steht. Der weiße Löwe Baluga hat zusammen mit seinen beiden Tigern inzwischen hoch oben über der Luke auf der höchsten Treppenstufe Platz genommen. Plötzlich geht es schnell: Die Tür zum Löwengehege öffnet sich wieder und nacheinander kommen die anderen Raubkatzen in die Manege gelaufen. Lacey kniet mit seiner schwarzen Lederhose in der Mitte der Manege. Sein Blick ist konzentriert, während die Löwen sich gemächlich auf die eisernen Hocker in der Manege setzen. Manche von ihnen fauchen leise, andere zeigen sich völlig unbeeindruckt von der Szenerie und schlecken sich die Pfoten ab. Aber alle wissen sie, wo ihr Platz ist. Und vor allem: Wer in der Manege das Sagen hat.
Vier Stunden vor der ersten Show entspannen die Löwen noch in ihren Gehegen gleich neben dem Sattelgang. Sie dösen nebeneinander in der Sonne oder lecken sich gegenseitig die Ohren ab. Eine Löwin gähnt leise und entblößt dabei ihre scharfen, weißen Zähne, über die sie genüsslich mit der Zunge fährt. Im Gehege nebenan geht es etwas lebhafter zu. Eine Löwin packt gerade eine 25 Kilo schwere Kugel und hebt sie beinahe mühelos hoch. Langsam schleppt sie ihr von Heu verdrecktes Spielzeug weiter, hebt es noch höher - und platsch! Es landet im vollen Wassertrog. Zufrieden knurrt die Löwin wohlig.
Spätestens wenn Martin Lacey das Gehege betritt, blicken sowohl die schläfrigen als auch die verspielten Raubkatzen auf und drehen sich zu ihm um. "Außer Martin Lacey darf niemand zu den Löwen", erklärt Matzenau. Seit mehreren Generationen leben die Raubkatzen bereits im Circus Krone. Gespann verfolgt Susanne Matzenau die zunächst wortlose Kommunikation zwischen den Löwen und dem Dompteur. Wenn er nicht in der Manege steht, trägt der Engländer einen lässigen hellbraunen Overall und eine Kappe mit einer britischen Flagge darauf. Aufmerksam lässt er seinen Blick durch das Gehege wandern. Die Löwen spitzen die Ohren. Sie sind ein eingespieltes Team, Lacey und die 26 Raubkatzen. Und die Tiere wissen, was es bedeutet, wenn ihr Herrchen um diese Uhrzeit zu ihnen kommt: Es ist Futterzeit. "Für Martin sind die Löwen seine Familie. Am Morgen ist er als erster bei ihnen und kümmert sich um sie", sagt Tonito Alexis. Geschminkt ist der junge Halbspanier ein Clown in 5. Generation, ungeschminkt führt er zusammen mit Lacey die Besucher durch den Krone-Zoo.
"Als Clown ist man Lehrling in allem"
Für Tonito bedeutet Circus Krone Familie: "Ich bin im Circus Krone aufgewachsen und dort sogar zur Schule gegangen." In der Show tritt er gleich zweimal auf, einmal als lustiger August und danach als Weißclown. "Der Moment, wenn man als Clown geschminkt in die Manege kommt und in die strahlenden Gesichter der Kinder blickt, ist einfach schön." Er macht eine kurze Pause beim Sprechen und lächelt. Seine dunkelbraunen Augen beginnen zu strahlen. Sie strahlen genauso wie die der Kinder, wenn sie ihn später etwas tollpatschig in viel zu großen Schuhen in der Manege herumlaufen sehen. "Als Clown ist man Lehrling in allem. Man muss erst alles können, damit es nachher leicht aussieht." Einmal habe der Motor des Todesrads während einer Show gestreikt, erzählt Susanne Matzenau. Da sei Tonito einfach raus in die Manege und habe die Leute unterhalten, bis der Motor wieder lief. "Einfach unglaublich, wie er das geschafft hat. Und keiner hat etwas gemerkt."
"Tortuga ist sehr eifersüchtig"
Nur noch zweieinhalb Stunden bis zur großen Show. Von weitem hört man sie schon fröhlich zwitschern und mit den Flügeln schlagen. Ihr Gefieder leuchtet den Besuchern des Krone-Zoos schon von weitem entgegen: Die Papageien. Nur ihre Nachbarn, die Elefanten, können sie damit nicht beeindrucken. Die alten Rüsseltiere knabbern seelenruhig weiter an ihren Laubschnitten. Seit 22 Jahren trainiert Alessio Fochesato seine Papageien. Gerade wird er von einer neugierigen Schülergruppe umringt, die am Mittwochvormittag den Zoo besucht (Lesen Sie auch auf idowa+:Mit Vögeln flüstert man italienisch). Auf seinem Arm sitzt ein grüner Papagei namens Tortuga und krächzt: "Ciao!" Der kleine Vogel kann aber nicht nur Worte nachsprechen, sondern auch singen - allerdings nur, wenn er will. "Buon appetito!" will er nämlich partout nicht sagen. Stattdessen wünscht er den Zuschauern lieber ein kehliges "Buona notte!" (Gute Nacht!) - und das am helllichten Tag.
"Wenn ein Tier etwas nicht machen möchte, kannst du es nicht zwingen", sagt Alessio nach der kleinen Vorführung. Wenn er den Vogelkäfig betritt, drehen sich die Papageien sofort alle nach ihm um. "Aber Vorsicht! Stell dich am besten nicht zu nahe zu mir, Tortuga ist sehr eifersüchtig", sagt der Möchtegern-Macho Alessio grinsend und streichelt Tortuga sanft über das Gefieder. Auch die anderen Papageien kommen näher, setzen sich auf Alessios Schulter oder lassen sich durch den Käfig tragen. Pinkie, ein kleiner australischer Papagei mit pinkem Kopf und grauem Gefieder, springt auf dem Boden herum und pickt an den Schuhen der Eindringlinge. "Er öffnet gerne Schuhbänder", sagt Susanne Matzenau entschuldigend und deutet amüsiert auf die offenen Schuhbänder der Besucher.
Jedes Tier hat seinen eigenen Charakter
Für Alessio hat jeder Vogel seine ganz eigene Persönlichkeit. Wer sie trainieren will, brauche sehr viel Geduld, sagt der Italiener: "Das Geheimnis ist nicht, ihnen einfach etwas beizubringen, sondern selbst zu lernen, sich auf das Tier einzulassen. Wenn sie gerne springen, sollen sie springen, wenn sie lieber fliegen, fliegen sie und wenn sie sprechen wollen, lassen wir sie sprechen." Auch Martin Lacey legt großen Wert darauf, dass seine Löwen nicht zu etwas gezwungen werden, das sie nicht möchten. "Ich trainiere die Löwen nach ihrem Charakter. Wenn sie beispielsweise mit mir schmusen oder küssen wollen, dürfen sie es. Aber die Tiere, die das nicht mögen, zwinge ich nicht dazu." Das zeigt sich auch bei der Löwenfütterung. Während sich die eine Raubkatze bereitwillig füttern lässt, verzieht sich der andere Löwe lieber zum Schlafen ans andere Eck des Käfigs.
Ein Raunen geht durch die Menge, als Laceys Peitsche durch die Luft wirbelt. Einer der braunen Löwen fängt an zu fauchen, als Lacey näher auf ihn zukommt. Dann springt er plötzlich nach vorne und zeigt dem Dompteur seine gefährlichen weißen Zähne. Er faucht lauter, als ihn Lacey wieder zurückdrängt. Dann greift er mit einem Knurren erneut an. Die Zuschauer halten den Atem an. Ein paar Kinder in der ersten Reihe halten den Atem an, als Lacey zurückweicht und gegen das Käfiggitter knallt. Doch mit einem leisen englischen Kommando besänftigt der Dompteur seinen Löwen wieder. Das Publikum atmet hörbar auf. Es scheint alles nur ein Spiel zu sein. König Baluga hebt seinen Kopf und gähnt. Hoch oben auf seinem Sitz hat er die Aufregung in der Manege glatt verschlafen.
Tierhaltung in der Kritik
Immer wieder gerät der Circus Krone jedoch ins Visier von Tierrechtlern. Sie werfen dem Zirkus vor, dass die Tiere im Zirkusbetrieb nicht artgerecht gehalten werden können (Lesen Sie hierzu auch: Krone-Gastspiel: Tierrechtler planen eine Demonstration). Daher fordern sie seit Jahren vehement, Tierhaltung im Zirkus generell zu verbieten. Mit ihren Führungen durch den Krone-Zoo möchten die Tierpfleger und Artisten zeigen, dass ihnen das Wohl ihrer Tiere am Herzen liegt. "Bei uns werden die Tiere älter als in freier Wildbahn. Dort sind die Lebensbedingungen auch schon lange nicht mehr ideal. Dann ist es doch besser, wenn es ihnen hier bei uns gut geht", sagt Susanne Matzenau. Sie bemängelt, dass viele Tierrechtler überhaupt nicht wüssten, wie die Tiere des Circus Krone gehalten werden - trotz der Kroneschen Politik der offenen Tür: "Erst informieren und dann kritisieren. Aber Tierrechtler kommen sehr selten in unseren mitreisenden Krone-Zoo und sehen sich die Tiere und deren Lebensbedingungen mal vor Ort an. Das ist schade." Jeder, der möchte, könne selbst nachsehen, wie es den Tieren beim Circus Krone gehe, sagt Matzenau.
Wenige Minuten vor der Show. Neben der Kasse werden letzte Schönheitskorrekturen an den Absperrungen vorgenommen. Die Zirkusmitarbeiter haben ihre T-Shirts und Jeans gegen stattliche rote Offizierskostüme ausgetauscht. "Eine Frau aus München war vor kurzem so begeistert von einem unserer Mitarbeiter in Uniform, dass sie ihren Freund wegen ihm verlassen hat", erzählt Susanne Matzenau amüsiert. "Was für ein Drama. Aber dann ging es zum Glück bald weg auf Tournee." Sie lacht kurz auf, dann zeigt sie auf eine Gestalt, die an den Kassen vorbei auf den Eingang zukommt. Man muss zweimal hinsehen, um ihn unter der Schminke zu erkennen: Clown Tonito. In seinem weiten blauen Outfit und mit einem Melonenhut auf dem Kopf stolpert er auf die Pressesprecherin zu. Gleich soll er ein Interview geben. "Wenn Tonito etwas verspricht, kommt er auch", sagt er treuherzig und reißt die Augen dabei weit auf. Dann verbeugt er sich strahlend vor den Besuchern und wünscht mit lauter Stimme: "Willkommen im Circus Krooonee!"