Gaststätten zu, Tourismus leidet
So ergeht es der Gastronomie im Straubinger Umland
28. April 2020, 18:42 Uhr aktualisiert am 28. April 2020, 18:42 Uhr
"Aufgeben kommt überhaupt nicht in Frage", sagt Anna Miedaner, Geschäftsführerin des Berghotel Maibrunn in Sankt Englmar. Momentan verbringt sie die Tage in ihrem Büro und spekuliert. Spekuliert, wie es weitergeht. Josef Achatz ist gleich dreifach von den Folgen des Corona-Virus ausgebremst worden: Seine Familie betreibt das Restaurant Buchner in Welchenberg, ein Hotel-Restaurant in Niederwinkling sowie die Eventlocation Grandsberger Hof in Schwarzach. Die Schließung des Gastronomiegewerbes kann Achatz grundsätzlich nachvollziehen, zu große Lockerungen könne man gerade einfach nicht erwarten. "Niemand will erst aufmachen, dann einen Corona-Fall in seiner Unterkunft haben und wieder monatelang zusperren müssen", sagt er.
Keine Frage: Das Virus ist gefährlich, Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit sind unumgänglich. Doch bei vielen Hotels und Gaststätten geht es nach der wochenlangen Pause um die Existenz. Und die Ungewissheit bleibt: Ein genaues Ausstiegsdatum aus dem Stillstand gibt es bisher nicht, lediglich vage Hoffnungen.
Es geht ums finanzielle Überleben
"Es wird schwer sein, in die Verschuldung, in die wir getrieben wurden, aus eigenen Kräften wieder herauszukommen", sagt Dr. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). Die Lage der Hotellerie und Gastronomie bewertet er "mehr als ernst" - in Niederbayern und ganz Deutschland. Es drohe eine Insolvenzwelle, etwa ein Drittel aller Betriebe stünden kurz vor dem Aus, wenn nicht weitere Maßnahmen getroffen werden.
Ein wichtiger Schritt seitens der bayerischen Regierung sei die Anpassung der Kurzarbeiterregelung gewesen, so dass die Sozialversicherungsbeiträge zu 100 Prozent der Staat übernehme. Zusätzlich wurden die Soforthilfen aufgestockt. Das und verschiedene Kreditmaßnahmen sowie Stundungsmöglichkeiten hätten anfangs sicherlich geholfen - jetzt müsse es aber neue finanzielle Zusagen geben, fordert Geppert, etwa einen Hilfsfonds.
Eine Erleichterung hat die Regierungskoalition vergangene Woche beschlossen: Gastronomiebetriebe sollen ab Juli ein Jahr lang von einer gesenkten Mehrwertsteuer auf Speisen profitieren, nur mehr sieben statt 19 Prozent werden erhoben. Miedaner vom Berghotel Maibrunn freut dieses Entgegenkommen. Achatz hätte sich die Steuersenkung schon früher gewünscht, auch auf die Befristung hätte er gerne verzichtet. Trotzdem: "Besser als nichts ist es aber auf jeden Fall." Für den Landesgeschäftsführer der Dehoga Bayern ist der reduzierte Umsatzsteuersatz "ein wichtiger Schritt", um die Verluste beim anlaufenden Geschäft zumindest etwas auszugleichen.
Eine erste Tranche hat das Berghotel Maibrunn zügig ausgezahlt bekommen. Eine weitere hat Miedaner online beantragt, über den Bund. Den Betrieb kann sie aber nur aufrecht erhalten, indem sie einen KfW-Kredit aufnimmt. Allein so lasse sich der finanzielle Ausfall stemmen. Denn laufende Kosten müssen weiter bedient werden, die Mitarbeiter könnten nicht hängengelassen werden.
Achatz zehrt aktuell vor allem von gebildeten Rücklagen, "wir werden es schon überstehen", sagt er - 40 Jahre im Geschäftsleben sei Dank. Dennoch: Versicherungen, Strom, Pacht - all das kostet weiterhin. Unterstützende Einmalzahlungen seien bisher nur teilweise bewilligt. Auf Kredite wolle er vorerst nicht zurückgreifen.
Kein Normalbetrieb auf absehbare Zeit
Abgesehen von weiteren Hilfsgeldern fehle momentan noch die Zuversicht, wie es nach dem Ende der Komplettschließung einer ganzen Branche schrittweise weitergehen soll. "Wir brauchen eine Öffnungsperspektive", sagt Geppert. Das wäre auch ein Signal zum Durchhalten, zur Hoffnung. Erste Lockerungen müsse es aus seiner Sicht Ende Mai geben, denn wenn das Pfingstgeschäft nicht mitgenommen werden könne, werde die Lage der Gastronomen noch gravierender. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hält eine langsame Öffnung der Gastronomie, möglicherweise auch der Hotellerie, aktuell um Pfingsten herum für denkbar - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das verkündete er gestern bei einer Pressekonferenz.
"Lieber haben wir jetzt noch ein bisschen länger zu, bevor wir dann nochmal zusperren müssen", sagt Miedaner und stellt sich vorerst auf eine schrittweise Öffnung ihres Hotels nach den Pfingstferien ein. Dafür wurde ein umfangreiches Programm zum Schutz von Mitarbeitern und Gästen erarbeitet. Plexiglas-Vorrichtungen werden am Empfang angebracht. Desinfektionsspender soll es in der Nähe jeder Tür geben. Auch 2.000 Schutzmasken sind gekauft. Anfangs sollen nur angemeldete Gäste empfangen werden. Wenige Urlauber im Haus auf ausreichendem Abstand seien immer noch besser als gar keine. Im Restaurant werden Tische abgetrennt, über jedes Essen kommt eine Speiseglocke. Das Servicepersonal bedient mit Handschuhen. Das sei aufwändig, aber es gehe eben nicht anders. Die größte Ermutigung für die Geschäftsführerin in diesen Zeiten: "die vielen treuen Stammgäste und der Zusammenhalt des Personals."
Die Möglichkeit, bestimmte Betriebe stufenweise hochzufahren, sieht Geppert durchaus gegeben - eben weil man Abstandsregeln einhalten könne und höchste Hygieneauflagen erfülle. Ein Hygienekonzept werde man jetzt mit dem bayerischen Gesundheitsministerium besprechen. Voraussetzung zur Öffnung sei natürlich, dass sich die Zahl der Corona-Infizierten stabilisiert und man die Situation immer genau abwägt. Die Kosten für die Auflagen dürften aber nicht unangemessen hoch sein.
Das Rückgrat des Tourismus bricht weg
Neubuchungen kommen nach wie vor keine an, das Gegenteil sei der Fall: Es gebe immer mehr Stornierungen, teils bis in den November, weiß Geppert. Selbst wenn es Anfragen gäbe, müsse der Hotelier sie ablehnen, weil er seine Räume nicht öffnen darf.
Diese Umstände wirken sich auch auf den Tourismus in der Urlaubsregion Sankt Englmar aus. Man merkt, dass keine Übernachtungen mehr stattfinden, sagt Astrid Piermeier von der Tourist-Information Sankt Englmar. Es sei ruhiger geworden im Ort. Trotz eines schneearmen Winters hätte es im Januar und Februar hohe Übernachtungszahlen gegeben. Da im März nur in den ersten beiden Wochen Urlaub möglich war, seien die Übernachtungen danach deutlich rückläufig geworden - ein Ostergeschäft gab es nicht mehr.
"Ein Ort an sich kann das relativ lange ertragen", meint Piermeier. Bei den Betrieben wiederum sehe sie welche, die das nicht so gut abkönnen. Einen Unterschied macht sie bei Gastronomie und Hotellerie: Von früheren Schließzeiten während des Jahres seien Hotels es noch eher gewohnt, eine gewisse Zeit ohne Gäste auszukommen. Die Gastronomen hingegen machen ganzjährig viele Umsätze vor allem mit Getränken. Trotz mancher Möglichkeit zum Mitnehmen breche den Wirten jetzt ein Großteil der Einnahmen weg. Im Hotel in Niederwinkling gibt es jeden Sonntag Essen "to go", das werde ganz gut angenommen, so Achatz. Dieser Service ist für manche Gastronomen derzeit die einzige Möglichkeit, ihr Geschäft aufrecht zu erhalten.
"Vielleicht in zwei Wochen", hofft Piermeier, sei zumindest eine schrittweise Öffnung für Ferienhäuser oder Ferienwohnungen denkbar. Denn Buchungsanfragen von Gästen gebe es, nur unterstehen diesen den staatlichen Anweisungen und müssen gegebenenfalls verschoben werden.
Veranstaltungskalender bleibt leer
Auf das Englmarisuchen am Pfingstmontag in gewohnter Form müssen die Einwohner der Gemeinde Sankt Englmar heuer verzichten. "Das Fest ist definitiv abgesagt, der Umzug wird nicht stattfinden", sagt Piermeier. Ungewiss ist noch, ob es einen kleinen Gottesdienst geben darf. Und das, nachdem es einen besonderen Grund zur Freude gäbe: Der Brauch ist seit Kurzem Immaterielles Kulturerbe. Und es laufen Bewerbungen, damit das religiöse Schauspiel sogar bundesweit anerkannt wird.
Der Blick auf weiße Kalenderblätter ist für Achatz mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Alle Hochzeiten wurden abgesagt, die letzte Veranstaltung liegt Monate zurück. Bald kommt womöglich die nächste Frage auf: Ab wann ist eine Großveranstaltung eine solche, sollte sie zugelassen werden? Wie viele Gäste dürfen dann kommen?
"Wenn es wieder losgeht, wird das nicht gleich volle Fahrt aufnehmen", blickt Achatz realistisch nach vorne und peilt eine teilweise Aufnahme des Betriebs im Juni an. Vor allem, wenn Abstandsregelungen weiter eingehalten werden sollen, koste das die Hälfte der Kapazität. Aber es wäre ein Start - für ihn, Anna Miedaner und andere ihrer Zunft. Vielleicht gehören Touristen dann keiner seltenen Spezies mehr an.