Papier des Umweltbundesamts
Professor über Klimapakete: "Straubinger werden Klimaflüchtlinge"
9. Dezember 2019, 15:30 Uhr aktualisiert am 9. Dezember 2019, 16:00 Uhr
Das Umweltbundesamt hat vergangene Woche in einem internen Bericht aufgezeigt, welche Maßnahmen nötig wären, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Demnach müsste unter anderem Sprit deutlich teurer werden. Prof. Dr.-Ing. Michael Sterner, Professor für "Energiespeicher und Energiesysteme" an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, erklärt im Gespräch mit idowa, warum die Vorschläge aus dem Positionspapier nicht ausreichen.
Prof. Sterner, wie beurteilen Sie die vorgeschlagenen Maßnahmen, um die Klimaziele zu erreichen?
Michael Sterner: Für den Verkehrssektor ist es der richtige Weg, aber wir müssen auch im Bereich Strom, Wärme und Industrie noch deutlich nachlegen: Kohleausstieg und Austausch aller Ölheizungen bis 2030, keine Zulassung für fossile Verbrenner ab 2030, zurück zur bäuerlichen Landwirtschaft. 90 Prozent der Klimaemissionen kommen aus der Nutzung fossiler Energie in Deutschland. Wir müssen in den nächsten 20 Jahren alle fossile Energie durch erneuerbare Energien ersetzen, mehr Aufforsten, Energie effizienter nutzen - nicht nur in Deutschland, sondern global.
Wie dringend sind diese Maßnahmen?
Sterner: Für unsere Existenz ganz entscheidend. Alle bisher beschlossenen Klimapakete in Deutschland und weltweit reichen aber nicht aus. Selbst wenn alle Maßnahmen umgesetzt würden, führt uns das zu gut drei Grad Erderwärmung. Das wäre das Ende unserer Zivilisation. Dann wächst auch im Gäuboden nichts mehr. Die Straubinger werden zu Klimaflüchtlingen Richtung Nordeuropa. Bereits jetzt hat der Mensch über die Nutzung von Kohle, Öl und Gas die Erde um ein Grad erwärmt. Die Folge im letzten Jahr in Deutschland allein 12.000 Hitzetote. Durch den Klimawandel werden extreme Wetterlagen immer häufiger. Venedig wird untergehen, viele andere Städte am Meer auch. Das ist keine Weltuntergangsmalerei, sondern knallharte Physik, mit der wir die Bundesregierung seit 20 Jahren warnen.
Was kostet die Klimawende?
Sterner: Klimaschutz ist viel günstiger als jede Klimakatastrophe. Der Kern der Energiewende ist Wind- und Solarstrom. Das sind die günstigsten Energiequellen mit dem geringsten Flächenverbrauch und dem größten Potenzial. Gleichzeitig importieren und verbrennen wir Kohle, Öl und Gas im Wert von 100 Milliarden Euro jährlich. Wenn wir das in heimische erneuerbare Energie investieren, bleibt das Geld in der Region und schafft Wertschöpfung und Arbeit vor Ort. Das lohnt sich volkswirtschaftlich.
Kann eine Preissteigerung den tatsächlichen CO-Ausstoß beeinflussen?
Sterner: Ja. Was den Schaden verursacht, muss einen entsprechenden Preis haben. Nur so reagieren Unternehmen und übernehmen Verantwortung für die Schäden, die das CO anrichtet. Die Entsorgung einer Tonne Hausmüll kostet in Straubing über 1.200 Euro, eine Tonne CO soll nun 10 Euro kosten, weniger als eine Maß Bier auf dem Oktoberfest. Das bildet die Schäden nicht ab. Das CO in der Luft einzufangen ist teuer und aufwendig. Es ist viel einfacher, es nicht in die Luft zu blasen. Daher braucht es Anreize, den Fuhrpark umzurüsten, auf E-Mobilität oder alternative Kraftstoffe umzusteigen, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen oder mehr Fahrrad zu fahren. Das haben vor allem die Kommunen in der Hand: Eine Stunde parken kostet in Regensburg 50 Cent, von Wörth an der Donau aus reinzufahren mit dem Bus sechs Euro.
Was bringen die Maßnahmen der Bundesregierung überhaupt, wenn andere Nationen nichts unternehmen?
Sterner: Wir haben die Verantwortung für das, was wir tun. Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens ist es zudem unsere völkerrechtliche Verpflichtung, unseren Platz in der "Mülltonne Atmosphäre" nicht zu überschreiten. Wir stellen ein Prozent der Bevölkerung und stoßen aber mit gut zwei Prozent doppelt so viel aus, als uns zustehen würde. Wenn wir alle von uns verursachten Emissionen zusammenzählen, landen wir auf Platz vier der Nationen mit dem größten CO-Ausstoß.
Deutschland ist zudem die viertgrößte Wirtschaftsnation. Wenn wir das Klima effektiv schützen, schauen sich das andere Länder auch ab. Wenn wir aber weiter nur Verbrennungsmotoren bauen, dann ist es bald vorbei mit der deutschen Automobilwirtschaft. China will ab 2030 nur noch E-Autos zulassen. Firmen wie Huawei und LG wollen auch bald E-Autos produzieren. Dazu kommt, dass 40 Prozent des deutschen Exports nach China geht. Wenn wir weiter auf Verbrenner setzen, riskieren wir viele Arbeitsplätze in der Branche.
Bei Klimaschutzmaßnahmen schauen China und Indien übrigens auf die EU. Entsprechend wichtig ist das Signal aus Brüssel mit der Erklärung des Klimanotstandes. Die größten Bremser der Klimazeile der EU sitzen aber in Deutschland und Bayern - aus Angst vor Veränderung und Wählerschwund. Wir haben also sehr wohl einen Einfluss auf den globalen Klimaschutz.
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