Straubinger Tagblatt
"Manche rufen nur an, um zu sehen, ob auch wirklich jemand kommt"
29. Februar 2012, 9:39 Uhr aktualisiert am 29. Februar 2012, 9:39 Uhr
Seit August 2010 gibt es die neue Integrierte Leitstelle (ILS) in Straubing. Sie ist eine der modernsten in Bayern. Ihr Verbreitungsgebiet deckt die Landkreise Straubing-Bogen, Deggendorf und Regen sowie die Stadt Straubing ab und versorgt somit rund 340000 Einwohner. Angesichts des Flugzeughallenbrandes in Wallmühle vor kurzem haben wir einen Blick hinter die Kulissen geworfen und mit Gerhard Kleeberger, Leiter der ILS, über den Arbeitsalltag sowie die Abläufe bei einer Alarmierung gesprochen. Er schildert auch, warum bei einem Brand oder Unfall nicht unbedingt die am nächsten gelegene Feuerwehr verständigt wird.
Vor der Einrichtung einer Integrierten Leitstelle wurde der Anrufer zu einer Polizeiinspektion verbunden. Was passierte, nachdem das System reformiert wurde?
Gerhard Kleeberger: Die Zentralen richteten eine eigene Nummer zur polizeilichen Gefahrenabwehr ein, sprich die 110, und eine nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr mit der 112. Was man bei diesem Notruf auch wissen sollte: Wählt der Betroffene die 911, also die amerikanische Notrufnummer, so wird er trotzdem zur nächsten Integrierten Leitstelle verbunden. Bei der 19222 ist das auch immer noch so. Sie ist aber keine echte Notrufnummer mehr. Bei Anrufen mit dem Mobiltelefon muss hier die Vorwahl gewählt werden. Deshalb kommen bei uns manchmal Anrufe aus ganz Bayern heraus. Das ist aber kein Problem, da wir die Daten abfragen und sie dann an die Kollegen weitergeben können.
Ihr Verbreitungsgebiet umfasst drei Landkreise und die kreisfreie Stadt Straubing. Wie viele Einsätze gibt es hier pro Jahr?
55000 Einsätze des Rettungsdienstes und 3600 Einsätze der Feuerwehr. Man muss aber dazusagen, dass für mehrere Feuerwehren ein Brand mit mehreren Fahrzeugen nur ein Ereignis ist. Für den Rettungsdienst zählt jeder einzelne Patient. Beispiel Wallmühle: Es gab acht Verletzte, also acht Einsätze für den Rettungsdienst. Für die rund 30 Feuerwehrfahrzeuge war es allerdings nur ein einzelner Einsatz.
Wer wird von der ILS alarmiert?
Feuerwehr, Rettungsdienst, Technisches Hilfswerk (THW), Hubschrauber, Notarzt, Wasserwacht, Bergwacht, im Katastrophenfall auch die Kreisverwaltungsbehörde. Also alles, was nicht zur polizeilichen Gefahrenabwehr gehört.
Sie haben uns schon die Reformierung des Notrufsystems geschildert. Früher wurden die Feuerwehren mit einer sogenannten BOS-Alarmierung verständigt. Das heißt, man alarmierte die am nächsten gelegene Feuerwehr, egal welche Ausrüstung sie hatte. Wie funktioniert die Einsatzleitung heute?
Heute macht man eine objekt-, einsatz- und gerätebezogene Alarmierung. Wieder das Beispiel mit dem Hallenbrand am Flugplatz: im Vorfeld wurde von der Kreisverwaltungsbehörde festgelegt, was passiert, wenn die Schlagworte "Halle" und "Personen in Gefahr" kommen. Wir wissen, wie viel Wasser, Schaum, welche Geräte oder wie viele Atemschutzgeräteträger wir brauchen. Unser Rechner rechnet nun aus den Faktoren des Schadensobjekts, der Schlagwörter und der Daten der Kreisverwaltungsbehörde aus, welche Feuerwehren im Umkreis alarmiert werden müssen. Durch die zielgerichtete Alarmierung werden hohe Kosten vermieden, da die Arbeitgeber immer öfter Lohnausfall verlangen und so nur die wirklich benötigten Kräfte von der Arbeitsstelle abgezogen werden. Bei einem Verkehrsunfall brauchen wir zum Beispiel viel technisches Equipment, da sind das Wasser und der Schaum eher nachrangig. So sucht sich dann der Rechner nach der Vorgabe der Kreisverwaltungsbehörde immer das raus, was er auch braucht.
Wäre es dann nicht besser, die Feuerwehren zu zentralisieren?
Das geht insofern nicht, da die Gemeinde als kleinster Nenner in der Verwaltungsschiene für die öffentliche Sicherheit zuständig ist. Zurzeit ist es so, dass viele kleine Ortsfeuerwehren keine Tagesalarmsicherheit mehr leisten können. Deshalb wurde vom Gesetzgeber eine Auflockerung vollzogen, so dass man da, wo man wohnt, und da, wo man arbeitet, Mitglied der örtlichen Feuerwehr sein kann und dort auch am Einsatzdienst teilnehmen kann. Ein Problem sind aber weiterhin die geringen Mitgliederzahlen. Deshalb gibt es Ortschaften, in denen die Feuerwehren fusionieren, weil sie sonst keine Einsatzkräfte mehr stellen können. Dagegen spricht aber der bayerisch-kulturelle Faktor. Die Feuerwehr ist eigentlich der Dreh- und Angelpunkt in einer Ortsgemeinschaft. Die organisieren einen Faschingsumzug, einen Faschingsball oder ein Sommernachtsfest. Das Vereinsleben in Bayern ist sehr stark durch den ehrenamtlichen Feuerwehrverein geprägt.
Was passiert, wenn ein Unfall genau im Grenzbereich zwischen zwei Leitstellen passiert?
Das haben wir bei uns als Tagesgeschäft, zwischen Hengersberg und Iggensbach. Je nachdem, welchen Funkmasten der Anrufer erwischt, wird er nach Passau oder nach Straubing verbunden. Falls der Unfall in unserem Gebiet ist, können wir trotzdem Kräfte aus dem Nachbarbezirk heranziehen.
Mit wie vielen Scherzanrufen haben Sie und ihre Kollegen im Monat zu tun?
Im Monat einer bis zwei. Wobei die Aufklärungsquote bei annähernd 100 Prozent liegt. Beim Anruf über Festnetz oder Handy wird die Nummer bei uns immer am Display angezeigt. Manche Menschen haben nichts Besseres zu tun, als bei der Feuerwehr anzurufen. Beispiel: Jemand hat angerufen, damit ihm die Feuerwehr die Wohnungstüre zur Wohnung der Freundin öffnet. Die wollte aber einfach nicht aufmachen. Einmal hatten wir jemanden, der einen schweren Verkehrsunfall meldete, nur um ein großes Aufgebot an Hilfskräften zu sehen. Den hat man danach erwischt. Das ist auch wichtig. Denn jemand, der wirklich einen Rettungswagen braucht, bleibt auf der Strecke, wenn alle Einsatzkräfte zu einem vermeintlichen schweren Unfall gerufen werden.
Nehmen wir das Beispiel Wallmühle. Eine Halle brennt und Personen sind in Gefahr, vielleicht auch verletzt. Was geschieht in der ILS vom Eingang des Notrufs bis zum Einrücken der Einsatzkräfte an der Wache?
Wir geben die Schlagwörter "Halle" und "Personen verletzt" in unser System ein. Das schlägt uns dann vor, welche Einsatzkräfte alarmiert werden müssen. Per Mausklick wird der Einsatz auf zwei Tische aufgeteilt und von zwei Disponenten bearbeitet. Einer ist für den Rettungsdienst, einer für die Feuerwehren zuständig. Die Disponenten lesen sich kurz die Vorschläge des Systems durch und klicken dann den "Alarmieren"-Button. Danach folgen viele Maßnahmen, zum Beispiel eine Information an die Polizei und Alarmfaxe an die Feuerwehren. Das macht das System automatisch. Wenn die Alarme getätigt und die Maßnahmen abgearbeitet wurden, ist es kurze Zeit ruhig. Solange bis sich die ersten Einsatzwagen über Funk melden. Dann hat der Disponent schon gut zu tun. Er überwacht auch, welche Feuerwehren schon auf dem Weg zum Einsatzort sind und welche noch nachalarmiert werden müssen. Außerdem müssen für alle Fahrzeuge Verfügungsräume festgelegt werden, das heißt, welches Fahrzeug am Einsatzort wo halten kann. Auf der Seite des Rettungsdienstes läuft alles relativ gleich ab. Im Hintergrund erkundigen wir uns nach den Verletzten und suchen das passende Krankenhaus. Nach einer Viertelstunde ganz Geschehen am Einsatzort und in der ILS wird es wieder ruhiger. Das Tagesgeschäft läuft ja nebenbei auch noch. Der Herzinfarkt in Straubing bleibt ja nicht aus, nur weil es in Wallmühle brennt. Es kommt also ganz ganz selten vor, dass ein Disponent nichts zu tun hat.
Wie sieht der Arbeitsalltag in der ILS aus?
Wir haben zwei Schichten. Tag und Nacht. Der erste am Tag kommt um 6 Uhr, der Zweite um 7 Uhr und einer um 8 Uhr. Zu dieser Uhrzeit wird nach zwölf Stunden auch wieder aufgehört. Jeder der Disponenten hat am Tag drei Stunden Bereitschaft. Das heißt, er kann sich ausruhen oder etwas anderes machen, muss aber innerhalb von zwei Minuten am Tisch sein, falls das nötig ist. So sind am Tag vier, in der Nacht drei Disponenten am Tisch. Bei sehr erhöhtem Einsatzaufkommen sind auch weitere Kräfte innerhalb einer halben Stunde abrufbar. Außerdem gibt es eine Einsatzgruppe, die bei bevorstehenden Unwettern oder Großschadensereignissen als Unterstützung angefordert wird.
Das Interview führte Alexander Laube.