Weihnachts-Berufsportrait

Das Christkind muss vor dem Heiligen Abend noch viel lernen


Die 18-jährige Julia Feiertag ist das Hilfs-Christkind auf dem Straubinger Christkindlmarkt.

Die 18-jährige Julia Feiertag ist das Hilfs-Christkind auf dem Straubinger Christkindlmarkt.

Von Tanja Pfeffer

Tägliches Flugtraining, Geschenkeeinpacken auf Zeit und himmlische Gesangsschule - auf ein Christkind in Ausbildung warten viele Aufgaben. Ein nicht ganz ernst gemeinter Berufssteckbrief.

Mit nackten Füßen und einem weißen Hemdchen bekleidet wartet das blondgelockte Mädchen auf einem kleinen Podest in der Engelsschneiderei. Ringsherum stehen Ständer mit Kleidern in verschiedenen Formen und Längen und Regale mit Heiligenscheinen in den Größen S, M und L. Daneben hängen mehrere Flügelpaare, der möglichen Tragfähigkeit nach geordnet. In wenigen Himmelsminuten ist es soweit: Das Mädchen probiert das erste Mal seine Arbeitskleidung an. Diese zu bekommen, ist die größte Ehre für einen Engel der Weihnachtsabteilung. Darauf arbeiten alle himmlischen Helfer im Weihnachtsdorf hin: einmal Christkind sein. Denn jedes Jahr wird ein neues Christkind aus der Schar der Weihnachtsengel ausgewählt. Seine Amtszeit beträgt ein Jahr, von 26. Dezember bis 25. Dezember des Folgejahres. Der Weihnachtsabend selbst ist der Höhepunkt der Amtszeit.

Gewand mit goldenen Sternen

Endlich darf das Christkind in sein Gewand schlüpfen. Es ist perlmuttweiß, übersäht mit kleinen, gestickten, Sternen. Um die Taille schlingt sich ein goldenes Band. Eingefasst ist der Stoff mit feiner goldener Seide. "Es ist wohlig warm. Es fühlt sich an, als wäre das Kleid nur für mich geschneidert", schwärmt das Christkind. Der Schneidermeister schmunzelt und steckt das Kleid hier und da noch ab. "Die Schneiderlehrlinge haben ja auch ganze Arbeit geleistet. Deine Maße haben sie perfekt gemessen", erklärt er. Die Lehrlinge suchen in der Zeit emsig nach dem passenden Heiligenschein. Größe S passt wie angegossen. Am Ende fehlen noch die Flügel: "Dieses Jahr kann die Traglast wieder etwas geringer sein", erklärt das Christkind. "Die vielen Tablets und Handys wiegen nicht mehr so viel wie die Bücherpakete noch vor einigen Jahren."

Viele Prüfungen

Bis das Christkind am ersten Advent zur Anprobe kommen kann, ist es ein weiter Weg. "Die Ausbildung ist kein Zuckerstangenschlecken", erzählt das Christkind, während die Lehrlinge die Flügel an dem weiß-goldenen Kleid befestigen. "Da gibt es viele Stationen zu bewältigen und Prüfungen zu meistern. Ganz zu schweigen von meinem Fitnesstrainer, der mich das letzte Jahr über Tag für Tag über die Wolken gehetzt hat." Ein Christkind muss schließlich vorbereitet sein und ein Rundfl ug in sämtliche Wohnzimmer mit jeder Menge Geschenke im Gepäck ist ein Kraftakt. Die Ausbildung zu diesem ehrenvollen Beruf beginnt am 26. Dezember. Während sich das Vorjahreschristkind von den Strapazen des Weihnachtsfl uges erholt, beginnen alle Helferengel in Himmelstadt bereits, den neuen Amtsträger vorzubereiten. Nach dem zwingend notwendigen Reine-Seele-Test startet das Christkind einen Rundgang durch alle wichtigen Ämter der Stadt: das Postamt, wo die Wunschzettel der Kinder eintreffen, die Weihnachtsbäckerei, die himmlische Konzerthalle für Engelsgesänge, die Marktforschungswolke für Geschenkeanalyse, das Fitnesscenter mit Schwerpunkt auf Trainingsfl üge, die Kreativwerkstatt für Verpackungstechnik sowie die Designabteilung für Christbaumschmuck. Die wohl wichtigsten Wolken aber sind für Christkind-Lehrlinge anfangs die Vorlesungssäle der Engelsuniversität. "Dort musste ich verschiedene Kurse belegen und viel theoretisches Wissen pauken", erinnert sich das Christkind. Dazu zählen zum Beispiel "Historische Hintergründe des Christkinds" oder "Weihnachtliche Gewürze von A bis Z". Außerdem gibt es ein Gedächtnistraining für Christkind- Anwärter. "Schließlich muss ich in der Weihnachtsnacht genau wissen, welches Kind welches Geschenk bekommt. Nicht dass ich dem Max aus Versehen das Geschenk von Nina bringe", erklärt das Christkind die Notwendigkeit dieses Fachs. Auch ein Glockenläut- Kurs steht auf dem Programm ebenso wie Gesangstraining und Geschenkeeinpacken auf Zeit. 25,7 Sekunden ist derzeit der Rekord für ein quadratisches Geschenk. "Vielleicht breche ich den noch, bevor ich abgelöst werde", so das Christkind. Am Ende der Ausbildung steht jedes Christkind noch vor einem der größten Tests: dem punktgenauen Unsichtbarmachen. Denn das Christkind darf von keinem Kind gesehen werden. "Ja gut, das ein oder andere goldene Haar dürfen wir schon zurücklassen. Am Weihnachtsbaum vielleicht, an der Türklinke oder im Garten", verrät das Christkind. Man wolle den Kindern schließlich eine Freude bereiten und sie in ihrem Glauben bestärken. "Nur sehen dürfen uns die Kinder nicht - das ist oberstes Christkind- Gebot."

Ehrenvolle Aufgabe

Flugtraining steht im Übrigen jeden Tag auf dem Programm. Flug- oder gar Höhenangst sind bei Christkindl- Anwärtern deshalb deplatziert. Sie werden neben anderen Faktoren auch beim monatlichen Leistungs- und Gesundheitscheck geprüft. "Christkind zu sein, ist eine ehrenvolle und auch wichtige Aufgabe. Man muss verantwortungsbewusst und sorgfältig arbeiten und kann sich keinen Schlendrian leisten", erzählt das Christkind. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, hat es auch einen persönlichen Assistenten. "Eigentlich ist er aber mehr eine Art Mentor. Er hilft mir bei meinen Fragen und baut mich auf, wenn ich daran zweifl e, allen Kindern und deren Erwartungen gerecht zu werden. In diesem Jahr war mein Pate der wichtigste Engel und auch Lehrmeister für mich", erzählt das Christkind. Eben dieser Assistent fl iegt nun auch auf die Wolke der Engelsschneiderei. "Christkind, du siehst märchenhaft aus! Jetzt bist du gerüstet für den Advent. Ab heute wird es richtig ernst", verkündet er und rollt ein Papier auseinander. Die To-Do- Liste des Christkinds, ist lang: Prüfen der Wunschzettel, Trennen der braven von den nicht so braven Kindern, Auswählen der Geschenke. Verkosten der Weihnachtsplätzchen mit Erstellen der diesjährigen Favoritenliste, Programmieren der Flugabfolge im Navigationsfl ügel. Erstellen von Statistiken für die Martkforschungsabteilung, Wiegen der fertigen Geschenke und Etikettieren der Pakete. Zwischendrin ist tägliches Flugtraining aufgeführt.
"Eine wichtige Aufgabe habe ich noch - weit weg von Himmelstadt und den fl auschigen Wolken dort", sagt das Christkind. "In vielen Städten habe ich weltliche Vertreter - in Nürnberg zum Beispiel oder in Straubing. Sie machen Kindern eine Freude und melden mir, was sie dort auf Erden beobachten." Das Christkind steht in ständigen Kontakt mit ihnen. "Ich brauche schließlich viele Informationen. Wo ist bei Michael der Hauseingang, in welcher Wohnzimmerecke soll der Christbaum bei Familie Schneider stehen und hat Maria im Sommer eine Katze bekommen, die sich vielleicht mit den Christbaumkugeln spielen wird? All diese Dinge erzählen mir meine Helferinnen", erklärt das Christkind. In Straubing übernimmt diese Aufgabe in diesem Jahr zum Beispiel die 18-jährige Julia Feiertag. "Und sie kann sehr viel besser hinsehen - schließlich muss sie nicht unsichtbar sein."

Goldene Locke am Christbaum

Nur noch wenige Wochen sind es bis Weihnachten. "Ich freue mich schon sehr auf den Abend. Es wird zwar stressig werden, aber die Atmosphäre in dieser Nacht soll atemberaubend sein. Die Buden der Christkindlmärkte sind schneebedeckt, der Duft von Glühwein und Bratwürstl liegt immer noch in der Luft. In den Fenstern sehe ich glückliche Gesichter, wenn ich alle Bäume schön geschmückt und die Geschenke richtig abgeliefert habe. Darauf freue ich mich am meisten", schaut das Christkind schon ein paar Wochen in die Zukunft. "Und wenn jemand nicht mehr an mich glaubt, lass' ich einfach eine meiner goldenen Locken am Christbaum hängen."

Berufssteckbrief


Berufsbezeichnung: Christkind

Ausbildungsdauer: ein Jahr - von 26. Dezember bis 25. Dezember des Folgejahres.

Ausbildungsform: duale Ausbildung (auf Theorie und Praxis wird gleichermaßen wertgelegt)

Arbeitsorte: Ausbildungszentrum in Himmelstadt sowie in den gewünschten Wohnzimmern im Einsatzgebiet

Wichtige Fähigkeiten: Kälteressistenz, Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Flexibilität, Intelligenz, Entscheidungsfreude, Kreativität, physische Fitness und Stabilität, Aerodynamik, schneller Flügeleinsatz, gute Beobachtungsgabe, Orientierungssinn, Namensgedächtnis, Kraft in den Armen und Flügeln

Arbeitskleidung: Weiß-goldenes Kleid, Heiligenschei

Verdienst: auf Provisionsbasis. Möglich sind als Extraboni strahlende Augen, fröhliche Gesichter und ein verträumtes Lächeln.

(Quelle: Himmelsagentur für Helferlein)