Darts-Wunderkind
Für David Nachreiner ist die Erde eine Scheibe
12. Januar 2017, 17:09 Uhr aktualisiert am 12. Januar 2017, 17:09 Uhr
Vor einem guten Jahr hat David Nachreiner mit dem Dartspielen begonnen - und schon heute gilt der Junge mit dem Kunstnamen "German Eagle" als das größte deutsche Talent nach WM-Teilnehmer Max Hopp. Der Grund: David ist zehn Jahre alt.
Er dreht seinen rechten Fuß um 90 Grad nach links. Den Linken stellt er parallel daneben, wobei nur die Fußspitze den Boden berührt. So steht David Nachreiner vor der roten Linie, die der Laser des Dartautomaten im Dartclub Diamond 09 in Cham auf den Boden wirft. Er nimmt Maß, führt den Dartpfeil an die rechte Wange, beschleunigt aus dem Unterarm und lässt los. Der Pfeil findet das gewünschte Ziel und bleibt in dem acht Millimeter breiten, roten Feld, der Triple 20, stecken. Die anderen beiden Würfe verfehlen das Feld nur knapp. Aber immerhin: 85 Punkte mit drei Würfen sind nicht schlecht. Hundertprozentig zufrieden sieht der U14-Europameister im E-Dart von 2016 aber nicht aus. Er steigt auf die Bierkiste, die ihm als Tritthilfe dient, holt die Pfeile aus dem Board, geht zurück an die Markierung und wirft weiter - immer und immer wieder.
Der Zehnjährige aus Waffenbrunn will so oft wie möglich die maximale Punktzahl von 180 schaffen. "Sieben 180er an einem Tag sind zurzeit mein Rekord", erzählt David, der den Dartsport 2015 für sich entdeckt hat und gerade wieder viele Stunden der Darts WM in London vor dem Bildschirm verfolgt hat. In seinem Alter schon so zielsicher zu sein, das hat nicht nur mit Talent zu tun. Vier- bis fünfmal die Woche trainiert David im Dartclub, meist unter den Augen von Vater Markus und Vorstand Michael Lankes. In den Ferien findet man ihn sogar täglich an den Boards im Chamer Parkhotel.
Schlechte Noten bedeuten Dartverbot
2016 standen 38 Turniere auf dem Programm. Da kann der Alltag ganz schön stressig werden und die Schule darunter leiden - könnte man meinen. David aber schreibt an der Maristen Realschule in Cham ausnahmslos gute Noten. "Wenn es in der Schule nicht läuft, dann gibt es auch kein Darts. Bisher musste ich aber deshalb noch nie auf mein Hobby verzichten."
Nur mit dem richtigen Trainingspensum kann David Erfolge feiern. "Der Titel bei der Europameisterschaft in Slowenien war bisher mein Highlight. Im August werde ich versuchen, ihn zu verteidigen", sagt er. Zuletzt hat er sein Können auch in Straubing unter Beweis gestellt. Dort gab es unter anderem ein offenes Einzel, in dem alle 34 Teilnehmer sämtlicher Altersklassen mitspielten. David belegte einen überraschenden dritten Platz und besiegte dabei auch gestandene, erwachsene Bundesliga-Profis.
Kleiner Mann mit Kiste
Gegen deutlich ältere und größere Gegner zu spielen, ist für David vollkommen normal. Da er nur 1,44 Meter misst, seine Darts im Idealfall aber auf einer Höhe von etwa 1,80 im Board stecken bleiben, braucht er immer eine Bierkiste als Tritthilfe. Die wird ihm inzwischen bei den einzelnen Turnieren extra zur Verfügung gestellt. "Die anderen lachen immer, wenn ich mit meiner Kiste ankomme", erzählt David. Am Ende aber zählt, wer zuletzt lacht - und das ist immer öfter der mit der Kiste.
Auch wenn sich Name und Talent langsam herumsprechen, kennt David noch nicht jeder in der Dartszene. "Einmal habe ich mich vor einem Turnier eingeworfen, als ein älterer Junge kam und sagte, dass ich weggehen soll, weil er jetzt spielen muss. Mein Vater hat das mitbekommen und ihm gesagt, dass ich sein nächster Gegner bin. Ich habe ihn dann 2:0 besiegt und nachher wollten er und seine ganze Familie ein Foto mit mir machen."
Darts rund um die Welt
Dass der Fünftklässler heute als größte deutsche Darthoffnung nach Max Hopp gilt, hat er auch einem ganz bestimmten System zu verdanken - RadikalDarts. Der Begriff steht nicht nur für eine Firma, die Dartautomaten herstellt. Er bezeichnet auch eine Online-Plattform, die es Spielern auf der ganzen Welt ermöglicht, sich mit anderen zu messen. So können Hobby- oder Profispieler miteinander trainieren und Wettkämpfe austragen, ohne dabei große Fahrtstrecken zurücklegen zu müssen.
Durch Kameras im Automaten sehen sich die Spieler auf einem Bildschirm. Auch die aktuellen Punktzahlen und die Punkte pro Wurf werden von dem Gerät angezeigt. "So können Nutzer der Plattform in ihrem Dorfwirtshaus bleiben und sich mit minimalem Aufwand beispielsweise mit Gegnern im Ausland messen", sagt Michael Lankes, der nicht nur Vorstand im Chamer Dartclub, sondern auch Sportfunktionär für Bayern ist.
Cham als Vorreiter im Süden
Und genau da will Lankes das System jetzt etablieren, da RadikalDarts bislang nur in Norddeutschland flächendeckend genutzt wird. Laut dem Funktionär laufen dort inzwischen 90 Prozent aller Wettkämpfe und Turniere über die Plattform. "Als erste zertifizierte Goldspielstätte Bayerns wollen wir in Cham jetzt den Vorreiter für unsere Region und ganz Bayern spielen. Bisher aber steht alles noch am Anfang", erklärt er.
Besonders für junge Spieler wie David kann das System ein wichtiges Sprungbrett sein. Der Vorteil: Da alle Ergebnisse im Netz schnell zu finden sind und der Spielstand sogar im Liveticker verfolgt werden kann, sehen viele, wie gut man ist. "Durch RadikalDarts wurde David letztendlich entdeckt. Hätte er immer nur alleine trainiert und seine Darts geworfen, wäre sein Bekanntheitsgrad heute bestimmt um einiges kleiner", ist Lankes überzeugt. Er traut dem Toptalent aus Waffenbrunn eine Menge zu. "Bei Davids derzeitiger Entwicklung gibt es eigentlich nur eine Option: Er muss Profi werden."
Trainingseinheiten mit Spaniern
Für den Traum von der Profikarriere und einer möglichen WM-Teilnahme in London tut David alles. Regelmäßig stehen Trainingsspiele gegen Norddeutsche oder auch spanische Spieler auf dem Programm. Man findet ihn schon auf Platz 200 einer weltweiten Online-Rangliste der Spieler, die in den letzten drei Jahren auf das in Deutschland bekannte English Board gespielt haben. Nicht schlecht für einen Zehnjährigen. Sein Vater stellt immer wieder fest, dass die Onlinewelt der Dartspieler noch einen ganz anderen Vorteil bietet. "David lernt über das System viele neue Leute kennen. Erst spielt man gegeneinander über das System, dann trifft man sich auf Turnieren und hat sofort eine Basis für den gemeinsamen Austausch."
David bei den Turnieren anzumelden, um seine Entwicklung voranzubringen, kostet nicht nur Zeit, sondern in erster Linie Geld. Um das aufbringen zu können, ist sein Vater auf der Suche nach einem Sponsor. RadikalDarts unterstützt David zwar, aber die Suche nach einem richtigen Hauptsponsor verlief bislang erfolglos. "Am liebsten wäre uns jemand aus der Region, beziehungsweise dem Landkreis Cham. David könnte auch durch sein Alter eine gute Werbefigur abgeben. Leider stoßen wir bis jetzt oft auf mangelndes Interesse", erklärt Lankes. Dann wandert sein Blick in den benachbarten Raum, wo David unbeirrt seine Pfeile wirft - immer und immer wieder.